# taz.de -- Der Faktor Flüchtling
       
       > ARBEITSMARKT Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte dürfen
       > nichtgegen neu gekommene Geflüchtete in Stellung gebracht werden
       
       Kaum ist die berufliche Integration der Flüchtlinge zu einer öffentlichen
       Herausforderung erklärt, kommen die „Neos“ mal wieder aus ihren Ecken.
       Mindestlohn runter oder gleich ganz aufgeben, Leiharbeit lockern, keine
       Reglementierung der Werkvertragsarbeit sind nur einige ihrer Vorschläge.
       Langzeitarbeitslose, gering Qualifizierte, Behinderte und Migranten werden
       gegen die Flüchtlinge in Stellung gebracht. Der Sozialneid mit
       möglicherweise verheerenden Ausschreitungen gegen Flüchtlinge wird
       geschürt.
       
       ## Sind Flüchtlinge die Fachkräfte von morgen?
       
       Weder führt der massive Zustrom der Flüchtlinge zu einem Wirtschaftswunder,
       wie dies aus höchsten Kreisen der Wirtschaft zu vernehmen ist, noch
       bedeutet dies ein neues „Lumpenproletariat“. Bei dieser „Herkulesaufgabe“
       geht es auch nicht nur um die Überwindung einer kurzfristigen Krise. An die
       Adresse der Bundesregierung gerichtet heißt dies allerdings: Man kann nicht
       die Arme für Flüchtlinge ausbreiten, die „Willkommenskultur“ sowie die
       Notwendigkeit ihrer Integration beschwören, gleichzeitig aber das
       Portemonnaie bei der dazu erforderlichen Finanzierung geschlossen halten.
       Die große Unterstützung in der Bevölkerung würde sich schnell in ihr
       Gegenteil verkehren.
       
       Zu befürchten ist, dass die Arbeitslosigkeit infolge des übermächtigen
       Zustromes von Flüchtlingen ansteigt. Vor allem müssen erhebliche Hürden bei
       Sprache, Qualifikation, persönlichen, familiären, kulturellen und sozialen
       Bedingungen überwunden werden.
       
       Nach bisherigen Erkenntnissen sind unter den Asylbewerbern besonders viele
       junge Menschen. Bei Bildung und beruflicher Qualifikation mangelt es
       bereits an Transparenz und Vergleichbarkeit als Mindestvoraussetzung für
       die Erfassung von Inhalt und Niveau sowie die Anerkennung. Bei den über 135
       Muttersprachen der 2015 erwarteten eine Million Flüchtlinge herrscht schon
       beinahe babylonische Verwirrung.
       
       Darüber hinaus kann ein großer Teil der Asylbewerber nicht mit einem
       dauerhaften Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik rechnen. So ist es nicht
       verwunderlich, dass bei dem Einsatz von Job Coaches in den Auffanglagern
       nur wenige Flüchtlinge für die Vermittlung in Arbeit vorgeschlagen werden
       können. Auch erreichen die Anforderungen an Sprachkurse – allgemein und
       berufsbezogen – eine Größenordnung, die mit den verfügbaren Angeboten
       keinesfalls bewältigt werden können.
       
       Ob und inwieweit die von der Wirtschaft beklagte Fachkräftelücke
       tatsächlich besteht, dürfte hinter der gemeinsamen Verantwortung zur
       Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in den Hintergrund treten.
       Allerdings ist genauso vor der Illusion zu warnen, diese gewaltige Aufgabe
       könne durch kurzfristigen Aktionismus bewältigt werden. Vielmehr bedarf es
       hierzu eines umfassenden Konzeptes, die Arbeitsangebote mit den
       Anforderungen, Qualifikationen und Qualifikationspotenzialen der
       zuwandernden Menschen abzustimmen. Hierbei ist ebenfalls die Wirtschaft
       gefordert, die Eingliederung der Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung ohne
       Vorurteile, mit größerer Offenheit und finanzieller Beteiligung zu
       unterstützen. Dabei sind auch die Arbeitsbedingungen an die Erfordernisse
       der Flüchtlinge anzupassen und flankierende Hilfestellung bei den
       persönlichen und administrativen Anforderungen ist zu leisten.
       
       ## Wirtschaft und Politik sind in der Verantwortung
       
       Die Bundesregierung ist gefordert, die Vorrangprüfung auszusetzen, die ein
       faktisches Arbeitsverbot über 15 Monate bedeutet. Danach kann derzeit ein
       Asylbewerber eine Arbeitsstelle nur dann annehmen, wenn weder ein Inländer,
       ein EU-Ausländer oder ein sonstiger anerkannter Migrant zur Verfügung
       steht. Bedingung für den Verzicht auf einen derartigen Nachweis muss
       allerdings sein, dass Tarifbedingungen oder Mindestlohn gelten, um
       Schmutzkonkurrenz zulasten aller Arbeitnehmer zu verhindern. Ebenso
       notwendig ist die Erfassung und sprachliche sowie berufliche Vorbereitung
       Jugendlicher für eine Ausbildung mit der Gewährung eines ausreichenden
       Bleiberechtes während der Ausbildung und der anschließenden Beschäftigung.
       
       ## Integration nicht zum Nulltarif
       
       Die nach den jüngsten Gipfelbeschlüssen vorgesehene finanzielle
       Unterstützung des Bundes für die Kommunen wird schon für dieses Jahr mit 1
       Milliarde Euro zusätzlich bei erwarteten 1 Million Flüchtlinge nicht
       ausreichen. Die Zahlung einer Pauschale von 670 Euro pro aufzunehmenden
       Flüchtling ab 2016 ist zwar eine richtige Weichenstellung. Damit würde der
       Bund mehr als bisher die Verantwortung für die finanziellen Folgen seiner
       Flüchtlingspolitik übernehmen. Sehr schnell könnte dies jedoch die
       Haushaltsvorgaben sprengen, wenn mehr als die angenommenen 400.000
       anerkannten Asylanten in den Kommunen zu integrieren sind.
       
       Fragwürdig unter humanitären und praktischen Auswirkungen ist die
       Verschärfung der Abschiebung in „sichere“ Balkanstaaten, deren Anzahl auf 6
       verdoppelt wird. Die gleichzeitige Erweiterung der Arbeitsmigration aus
       diesen Ländern als Alternative zum Asyl erfordert erheblich mehr
       Kontrollen, um Dumping von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu verhindern.
       Dies gilt noch mehr für die vorgesehene Lockerung beim Zugang der Asylanten
       zur Leiharbeit.
       
       Die dringend erforderliche Verringerung der Dauer der Asylverfahren hängt
       neben organisatorischen Verbesserungen entscheidend davon ab, dass die
       gravierende personelle Lücke vor allem bei den „Entscheidern“ über die
       Asylanträge im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schnell
       geschlossen wird. Mit der Nominierung des Vorstandsvorsitzenden der
       Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank Jürgen Weise, gleichzeitig zum Leiter
       des BAMF sind gute Voraussetzungen geschaffen. Für die berufliche
       Integration der Flüchtlinge entscheidend ist jedoch eine ausreichende
       finanzielle und personelle Ausstattung in den Job Centern. Hier muss der
       Bund dringend Finanzen und Personal aufstocken. Bleibt zu hoffen, dass die
       anstehenden Gesetzgebungsverfahren nicht durch weitere ungesteuerte
       Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik überholt werden. Ursula
       Engelen-Kefer
       
       1 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ursula Engelen-Kefer
       
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