# taz.de -- „Retromania” in der Computerszene: Technik von gestern, die begeistert
       
       > Es lebe die digitale Archäologie: Am Wochenende dürfen Bastler, Nerds und
       > Hacker gleich bei mehreren Ereignissen in Berlin alte Computer
       > wiederbeleben.
       
 (IMG) Bild: Oll, aber doll: Amiga-Computer aus den späten 80ern.
       
       Jetzt auch die Computer!
       
       Schon länger ist in der Diskussion über Pop ein Phänomen zu beobachten, das
       der britische Musikjournalist Simon Reynolds in seinem gleichnamigen Buch
       als „Retromania” beschrieben hat: das Kleben der Popkultur an ihrer eigenen
       Vergangenheit, eine nicht enden wollende Postmoderne, in der die
       Jugendmoden und Musikstile vergangener Tage einem ständigen Recycling und
       endloser Revivals unterworfen werden.
       
       Die Computer, die ihren Teil zum Entstehen jüngerer Gestationen von
       Popkultur beigetragen haben, kommen in Reynolds Buch nicht vor – trotz
       Musikstilen wie 8Bit-Pop und Chiptunes, die ganz im Geist der von ihm
       diagnostizierten Retromania funktionieren und wenigstens als Klangzitat
       durchaus auch im zeitgenössischen Techno, R’n’Bund HipHop eine Rolle
       spielen.
       
       Dabei gibt es schon seit fast zwei Jahrzehnten eine eigene Szene, die sich
       ganz der Feier und dem Erhalt von klassischen Computer – von den alten,
       bürogroßen Mainframe-Rechnern bis zu den frühen PCs der 70er und 80er Jahre
       – verschrieben hat. Bei Vintage Computer Fairs und Festivals treffen sich
       regelmäßig Bastler, Nerds und Hacker, um der gemeinsamen Passion zu frönen
       – so wie an diesem Wochenende in Berlin.
       
       Normalerweise finden solche Veranstaltungen in Turnhallen, Gemeindehäusern
       oder den Veranstaltungsräumen von Gaststätten statt. Doch das Vintage
       Computing Festival Berlin (VCFB) wird vom Fachbereich Medienwissenschaft
       der Humboldt-Universität organisiert, der einen Schwerpunkt auf die
       Medienarchäologie legt und einen etwas schickeren Veranstaltungsort zu
       bieten hat: das Pergamon-Palais direkt gegenüber vom Pergamonmuseum. (Der
       Fachbereich hat übrigens auch einen formidablen Fundus technologischer
       Artefakte in einem Souterrain gleich um die Ecke eingerichtet, der auf
       Anfrage besichtigt werden kann.)
       
       Bei dem Festival kann man am Wochenende Rechner besehen, von denen keiner
       auch nur einen Bruchteil der Rechenpower eines zeitgenössischen Smartphones
       hat, die aber bei ihren ehemaligen Nutzern trotzdem Kultstatus genießen.
       Selbst wenn einem Markennamen von lange verblichenen Computerfirmen wie
       Acorn, Osborne, Sinclair oder Amiga nichts sagen, kann man das interessant
       finden. Denn die digitale Archäologie, die hier betrieben wird, sichert den
       Bestand von Technologie, die durchaus kulturhistorische Bedeutung hat. Die
       ausgestellten Maschinen sind Teil der Vor- und Frühgeschichte des
       Informationszeitalters, sie standen am Beginn einer Entwicklung, die in den
       letzten gut drei Jahrzehnten die Art, wie wir leben, arbeiten und uns
       unterhalten, vollkommen umformatiert hat.
       
       In einer Ausstellung kann man historische Computerspielplattformen wie die
       Intellivision, den Vectrex oder den Nintendo Virtual Boy besichtigen und
       ausprobieren, letzterer übrigens ein direkter Vorgänger von Oculus Rift,
       einer Datenbrille, die einen in inzwischen fotorealistische und ruckelfreie
       3D-Welten eintauchen lässt und deren Veröffentlichung im kommenden Jahr von
       Gamern ungeduldig entgegengefiebert wird. Wer einen kaputten Computer aus
       der Steinzeit der Datenverarbeitung hat, kann ihn sich hier vielleicht
       reparieren lassen (Anmeldung über die Website der Veranstaltung unter
       www.vcfb.de). Für Kinder gibt es einen Workshop, bei dem sie kleine
       Käferroboter zusammenlöten, die blinken, piepsen und krabbeln können. Und
       bei einer Party am Samstagabend werden die Computermusiker TheRyk und
       Thunder.Bird demonstrieren, dass man auch den alten Maschinen noch durchaus
       futuristische Töne entlocken kann.
       
       Und damit noch nicht genug des höheren Bastlertums an diesem Wochenende. Im
       Postbahnhof findet die Maker Fair statt. Die Messe, die von der
       DIY-Zeitschrift Make organisiert wird, hat schon zweimal in Hannover
       stattgefunden. In Berlin war der Ansturm der Frickler, die ihre
       Technikprojekte vorstellen wollen, so groß, dass neben der Halle sogar noch
       ein Zelt aufgestellt werden musste, um alle unterzubringen. Zu sehen geben
       soll es das Neuste aus dem Bereich der 3D-Drucker, der selbst gebauten
       Roboter, Drohnen und des Internet of Things, aber auch traditionelle
       Handarbeit – am besten in Verbindung mit neuer Technologie wie zum Beispiel
       beim Computerstricken. In Workshops kann man lernen, wie man die Temperatur
       und die Bodenfeuchtigkeit im eigenen Garten mit einem selbst gebauten
       Arduino-Gerät misst, wie man eine Computermaus baut, deren Bauteile fair
       gehandelt und produziert wurden, und wie man elektronischen Schmuck
       entwirft. Und in mehreren Veranstaltungen wird demonstriert, wie man alte
       Elektronik und Computertechnik neuer Bestimmung zuführt.
       
       Wem das alles noch nicht nerdig genug ist, der geht an diesem Wochenende
       zur Deadline im ORWOhaus in Marzahn. Das ist eine sogenannte Demoparty,
       einem Veranstaltungstyp, der in die Frühzeit der Hackerkultur zurückgeht.
       Als Mitte der 80er Jahre die Piraterie von PC-Games zum Volkssport unter
       jugendlichen Geeks wurde, schufen die technisch versiertesten Hacker kurze
       digitale Animation, die abliefen, bevor man die von ihnen geknackten Spiele
       laden konnte.
       
       Das Ausreizen von inzwischen historischer Hardware für solche Minifilmchen
       wird bis heute bei den Demoparties zelebriert, die zum Teil Tausende von
       Teilnehmern anziehen. Diese Veranstaltungen sind teils Wettbewerb, bei dem
       die besten Demos prämiert werden, die an diesem Wochenende programmiert
       wurden, teils zwanglose Zusammenkunft eines Computeruntergrunds, der sich
       so an sich selbst freut, dass es bei den meisten Demoparties Nebenräume
       gibt, in denen man sich mit dem Schlafsack hinhauen kann, um nicht Zeit
       damit zu verschwenden, nach Hause oder ins Hotel zu gehen.
       
       Dass diese eigentlich vollkommen anachronistischen Technikraves bis heute
       durchgeführt werden, ist vielleicht der beste Beweis dafür, dass auch die
       Computerkultur längst in die Phase der „Retromania“ eingetreten ist.
       Offenbar gibt für jedes auch noch so arkane Kapitel historischer
       Digtaltechnik eine Fangemeinschaft, die die technische Vergangenheit nicht
       ruhen lassen möchte.
       
       2 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tilman Baumgärtel
       
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