# taz.de -- Mit Mut und Idee zur Niederlage
       
       > Fussball Eine Halbzeit lang hält Hertha BSC den Favoriten VfL Wolfsburg
       > vor 30.000 Zuschauern ordentlich auf Trab. Dann aber geht der alten Dame
       > die Puste aus
       
 (IMG) Bild: Voller Einsatz: Hertha-Spieler Fabian Lustenberger und Wolfsburg-Spieler Julian Draxler (rechts) im Kopfballduell
       
       von Christian Otto
       
       Für einen Verlierer sah Tolga Cigerci ziemlich glücklich aus. Es war
       natürlich doof, am Ende doch noch mit 0:2 (0:0) beim VfL Wolfsburg verloren
       zu haben. Mit ein wenig mehr kühlem Kopf wäre zumindest ein Remis möglich
       gewesen. Aber für Cigerci blieb doch immer noch die Freude darüber, nach
       sechsmonatiger Pause endlich wieder eine Hauptrolle im Mittelfeld von
       Hertha BSC Berlin gespielt zu haben. Der Mann strahlte und war so
       zufrieden, wie man das als Teil einer Niederlage wohl gerade noch so sein
       darf. Cigerci war zurück in die Startelf der Hertha berufen worden und
       durfte ausgerechnet gegen seinen früheren Verein sein Können beweisen. „Ich
       bin hier in Wolfsburg aufgewachsen und Profi geworden. Etwas Schöneres, als
       dann hier spielen zu dürfen, gibt es für mich nicht“, sagte Cigerci über
       sein Comeback.
       
       Aber natürlich wäre da noch etwas Schöneres denkbar gewesen. Denn das
       Hertha-Team um Cigerci trauerte vor 30.000 Zuschauern seiner großen Chance
       nach. Sie hatten den hohen Favoriten aus Wolfsburg, der vier Tage zuvor
       noch in der Champions League ZSKA Moskau mit 1:0 geschlagen hatte und sich
       wohl erst wieder an die Bundesliga gewöhnen musste, tüchtig geärgert. Eine
       Halbzeit lang, das fand auch Hertha-Trainer Pal Dardai, hatten sich zwei
       gute Mannschaften ein spannendes Duell geliefert. Dann aber kam die Szene
       in der 76. Minute, in der sich sein Team wohl sogar auf dem Weg zum Sieg
       gesehen hatte. Sieben mutige Hertha-Spieler waren an einem Angriff auf das
       VfL-Tor beteiligt, verloren aber im Zuge einer misslungenen Flanke von
       Mitchell Weiser den Ball und wurden Sekunden später bitter bestraft. Der
       kurz zuvor eingewechselte Wolfsburger Bas Dost erzielte das 1:0 und stutzte
       auf diesem Weg einen aufmüpfigen Herausforderer zurecht. „Diesen
       unbedingten Siegeswillen“, sagte Hertha-Trainer Dardei über sein Team,
       „werden wir kontrollieren müssen.“
       
       Wie aber findet man die richtige Balance zwischen Übermut und Vernunft? Den
       Hertha-Profis war sie an diesem 5. Spieltag der Fußballbundesliga nicht
       vergönnt. Sie bereiteten Dost den Weg zum Führungstreffer für Wolfsburg.
       Und ein Foul von Fabian Lustenberger an Julian Draxler später stand es
       sogar 2:0 (88. Minute) – weil Dost auch vom Elfmeterpunkt getroffen hatte.
       Damit war die Strafe dafür kassiert, dass sich die Hertha bis in die
       Schlussphase hinein nicht eingeigelt, sondern mutig kombiniert und gestürmt
       hatte. „Wir müssen doch auch nach vorne spielen“, meinte Mittelfeldspieler
       Cigerci, wusste aber auch, dass seinem Team gegen Ende der Partie interne
       Probleme in die Quere gekommen waren.
       
       Cigerci fehlte es wie Neuzugang Vedad Ibisevic, der erstmals von Beginn an
       mitgespielt hatte, am Ende an der nötigen Fitness für ein Aufmucken bis zur
       letzten Spielminute. Ihr Trainer hätte gern klug gewechselt und frisches
       Personal mit viel Puste zum Einsatz gebracht – war aber gezwungen, Torhüter
       Thomas Kraft und Innenverteidiger Sebastian Langkamp wegen Verletzungen
       vorzeitig vom Feld zu nehmen. Damit war auch so manche Möglichkeit verbaut,
       dem nicht enden wollenden Wolfsburger Druck bis zuletzt standzuhalten.
       
       Trotzdem wäre der erhoffte Geniestreich beinahe gelungen. Denn Dardais
       Schachzug mit Cigerci als Ballverteiler vor der Abwehr war ein richtig
       guter. Der 23-Jährige überzeugte als Takt- und Ideengeber der Hertha. Ihm
       war die Erleichterung darüber anzumerken, dass sein mehrmonatiges
       Reservistendasein wegen einer Zehenverletzung und eines Ermüdungsbruchs im
       Fuß ein Ende gefunden hatte.
       
       Cigerci gab nach der Niederlage in Wolfsburg erstaunlich viele Interviews,
       begrüßte immer wieder alte Bekannte und fühlt sich offenbar sehr wohl im
       Untergeschoss des Wolfsburger Stadions. Seit dem Sommer 2014 ist er nicht
       mehr eine Leihgabe des VfL Wolfsburg an Hertha BSC, sondern ein wirklicher
       Berliner Fußballer. Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann hat der Mann
       ziemlich große Lust, am morgigen Dienstag schon wieder seine Klasse unter
       Beweis zu stellen. Hertha empfängt ab 20 Uhr im Olympiastadion die
       Überraschungsmannschaft des 1. FC Köln. Cigerci hat sich eindrucksvoll für
       eine weitere Chance von Beginn an empfohlen, bleibt aber kleinlaut sowie
       bescheiden. Der Trainer, so seine Vorahnung, werde schon eine gute
       Entscheidung treffen.
       
       21 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Otto
       
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