# taz.de -- Motorräder auf Deutschlands Straßen: Born to be laut
       
       > Noch nie waren so viele Biker unterwegs. Gern röhren sie bei schönem
       > Wetter durch Dörfer, Anwohner haben kaum eine Handhabe dagegen.
       
 (IMG) Bild: Nicht überall gerne gehört: Motorradcliquen auf Achse.
       
       SCHNAIT taz | Oswald Meier kann sich nicht mehr freuen, wenn an Wochenenden
       die Sonne scheint. „Dann ist hier die Hölle los“, erzählt der 65-jährige
       Rentner, der eigentlich anders heißt. Bei schönem Wetter fallen sie ein in
       Schnait im Remstal, 15 Kilometer östlich von Stuttgart. Behelmte Gestalten
       auf Feuerstühlen, oft allein, manchmal auch als „marodierendes Rudel“, wie
       Meier die Karawanen von Motorrädern bezeichnet, die an seinem Haus
       vorbeidröhnen. 270 Maschinen in dreieinhalb Stunden zählte die Polizei an
       einem Maisonntag.
       
       Die Biker kommen, um Gas zu geben auf der K 1865, die von Schnait in sieben
       Kehren hinauf in den Schurwald führt. Auf YouTube hat ein Fahrer
       dokumentiert, wie die Drehzahlen am roten Bereich kratzen, wie Mensch und
       Maschine mit über 80 Sachen in den Ort rasen. „Die strecke macht sooo
       Bock“, kommentiert einer.
       
       Biker nerven zunehmend, weil es hierzulande so viele motorisierte Zweiräder
       wie noch nie gibt: Ende 2014 knapp 6 Millionen, darunter 4,1 Millionen
       Krafträder. Die Motorrad- und Rollerbranche erzielte 2014 das größte
       Zulassungsplus der letzten 17 Jahre: 8,7 Prozent. Im ersten Halbjahr 2015
       kamen 96 066 Fahrzeuge neu auf die Straße, knapp 5 Prozent mehr als im
       Vorjahreszeitraum. „Großartige neue Modelle, eine neue Lust auf Motorräder
       und Roller als urbane Mobilitätsgaranten und die stabile deutsche
       Wirtschaftspolitik“, begründet dies der Industrieverband Motorrad.
       
       In Schnait sind viele der 250 Anwohner mit ihren Nerven am Ende. Seit 2002
       kämpfen sie in der „Interessengemeinschaft gegen Lärm und Raserei“ für
       Verkehrsberuhigung. „Die Rechtslage gibt verkehrsbeschränkende Maßnahmen
       nicht her“, bekamen sie zu hören. Anträge der Kommune auf Tempo 30 wurden
       vom Regierungspräsidium Stuttgart (RPS) lange abgeschmettert. Erst im
       vergangenen Jahr stimmte die Behörde einem Versuch zu: Im Sommerhalbjahr
       gilt an Wochenenden Tempo 40 in Schnait, 70 jenseits des Ortsschilds. Die
       Straßenverkehrsordnung erlaubt es, Verkehr zum Schutz der Bevölkerung vor
       Lärm und Abgasen zu beschränken.
       
       Alle Gesetze und Grenzwerte verhindern nicht, dass in deutschen
       Mittelgebirgen und in den Alpen an schönen Tagen „eine Geräuschkulisse wie
       auf der Rennstrecke herrscht“, so die Klagen von Bürgerinitiativen
       bundesweit. Doch auch in Ballungsräumen leiden die Menschen. „Laute
       Motorräder sind der Schlafkiller Nummer eins im Revier“, berichtete die
       Westdeutsche Allgemeine Zeitung über Lärmstudien an der A 45 in Dortmund.
       
       ## Viele schwarze Schafe
       
       Oft dröhnen die Maschinen mehr als amtlich besiegelt. Zwar gelten ab Januar
       2016 neue EU-Lärmmess-Vorschriften. Bei praxisnahem Messbetrieb waren
       einzelne Motorräder jedoch lauter als im gesetzlichen Verfahren, wie Tests
       des baden-württembergischen Verkehrsministeriums zeigten. „Insbesondere
       lärmintensives hochtouriges Beschleunigen und Geschwindigkeiten über 80
       werden nicht berücksichtigt“, kritisiert Staatssekretärin Gisela Splett
       (Grüne) als Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung. Für Anwohner
       beliebter Motorradstrecken keine gute Nachricht: Auch neue Motorräder
       werden bei sportlicher Fahrweise auf Jahre hinaus lärmen.
       
       Zudem sind viele schwarze Schafe unterwegs. Zwischen März und Mitte Juli
       2015 kontrollierte die Polizei in Oberbayern 1.400 Biker. Dabei zählten die
       Beamten 308 Ordnungswidrigkeiten, 123 Verwarnungen und 18 Straftaten – eine
       Quote von knapp 30 Prozent. Das sei „ein immens hoher Wert“, so die
       Polizei. Die meisten Verstöße betrafen manipulierte Auspuffanlagen. Sie
       kosten nach der Punktereform in 2014 nur noch 90 Euro Bußgeld. Zuvor gab es
       zusätzlich drei Punkte in Flensburg.
       
       Wann Verkehr zu laut ist, lässt sich kaum schnell sagen. Es gibt etliche
       Grenz-, Richt- und Orientierungswerte, je nach Tages- und Nachtzeit, für
       Wohngebiete andere als für Dörfer, für neue Straßen andere als für alte.
       
       Im Herbst wollen die Behörden entscheiden, ob in Schnait dauerhaft Tempo 40
       gilt. Anwohner Meier hat resigniert: „Wer nach Feierabend kurz mal Hunderte
       Kilometer Richtung Alpen runterreißt, macht sich keine Gedanken über
       Motorenlärm oder Klimawandel.“
       
       2 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Lessat
       
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