# taz.de -- Nachruf auf Friedrich Gerstenberger: Abschied vom Führsprecher
       
       > Friedrich Gerstenberger hat in Bremen die Tagesstätte für Menschen ohne
       > Wohnung gegründet. Montag wird der Lobbyist für die, die keine Lobby
       > haben, beigesetzt.
       
 (IMG) Bild: Unterstützer der Wohnungslosen: Friedrich Gerstenberger
       
       BREMEN taz | Er war ein Lobbyist für jene, die sonst keine Lobby haben:
       Friedrich Gerstenberger. Nun starb, kurz nach seinem 74. Geburtstag, der
       Gründer der „Tasse“. Bis zuletzt war er Vorsitzender des 1993 gegründeten
       Vereins „Allwo“, der in Walle die Tagesstätte für Menschen ohne Wohnung
       betreibt. Am Montag wird Friedrich Gerstenberger auf dem Riensberger
       Friedhof beigesetzt.
       
       In der Tasse sind sie nicht einfach Obdachlose, hier sind sie „Gäste“.
       „Sein respektvoller Umgang“ mit ihnen „bleibt uns ein Vorbild“, heißt es in
       der Todesanzeige der Tasse. Die Institution will Menschen ohne eigene
       Wohnung helfen, ein möglichst selbstständiges und menschenwürdiges Leben zu
       führen, ihnen Schutz und Ruhe bieten. „Das war ein großes Anliegen von
       ihm“, sagt eine Mitarbeiterin der Tasse.
       
       ## Unabhängig und spendenfinanziert
       
       Viermal in der Woche ist die seit jeher unabhängige, ehrenamtlich
       betriebene und rein spendenfinanzierte Institution geöffnet. Hier können
       die Gäste duschen und Wäsche waschen, sich unterhalten, ein Buch lesen oder
       Spiele spielen, dazu Kaffee trinken oder Tee, und es gibt auch immer etwas
       zu essen.
       
       Sonntags gibt es immer ein großes Frühstück, dann kommen, wie auch gegen
       Monatsende, noch mehr Gäste als sonst, bis zu 90, wo es sonst im Schnitt 30
       bis 50 sind. Die Tendenz ist steigend, sagt eine Mitarbeiterin. In den
       letzten Jahren, so die Tasse, „kommen mehr Jugendliche und Frauen,
       zunehmend auch Gäste, die richtig hungrig“ sind. Und einige Gesichter „sehe
       ich schon sehr lange“, sagt eine, die selbst schon lange als Mitarbeiterin
       dabei ist.
       
       ## Anregend und liebenswürdig
       
       Gerstenberger beschäftigte sich auch als promovierter Wissenschaftler mit
       dem Thema Wohnungslosigkeit. Bis zu seiner Verrentung 2006 war er
       Mitarbeiter am Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Uni
       Oldenburg, wo er als „beliebter und engagierter Hochschullehrer“, als
       „anregender und liebenswürdiger Kollege“ und als „kompetenter und integrer
       Forscher“ gewürdigt wird. Verheiratet war er mit der Politik- und
       Wirtschaftswissenschaftlerin Hilde Gerstenberger, die von 1974 bis 2005
       Professorin für Theorie der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates an
       der Uni Bremen war.
       
       1993 schrieb er auch mal für die taz.bremen: Gerstenberger hatte einen
       Aufsatz zur Wohnungslosigkeit in Bremen verfasst, zunächst für der
       Armutsbericht der Wohlfahrtsverbände. Da sich insbesondere die Innere
       Mission darin angegriffen sah – nicht ganz zu unrecht – wurde der Text dann
       nicht in den Bericht „Armut in Bremen“ aufgenommen und statt dessen in
       leicht gekürzter Form in der taz abgedruckt. Darin kritisiert er unter
       anderem ein neues „Dauer-Großasyl“ für Wohnungslose: „Das also ist das
       Resultat einer zwanzigjährigen Politik, die damit antrat, das Problem der
       ‚Nichtseßhaften‘ auf Dauer zu lösen und nie mehr Massenunterkünfte zulassen
       zu wollen.“ Die Frage ist bis heute sehr aktuell.
       
       28 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Zier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Obdachlosigkeit
 (DIR) Ehrenamt
 (DIR) Unterkunft
 (DIR) Armutsbericht
 (DIR) Bremen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Sozialer Status und Lebenserwartung: Geld oder Leben
       
       Dass Arme früher sterben als Reiche, sagt auch der Senat. Den Zusammenhang
       von sozialer Lage und Gesundheit diskutiert die Linkspartei am Mittwoch mit
       Fachleuten.
       
 (DIR) Unbezahlte Unterkünfte in Bremen: Tricks mit der Barmherzigkeit
       
       Im Streit mit der Inneren Mission Bremen: Die Künstlerin Alexandra Bremer
       sieht sich mit ihren Mini-Häuschen für Wohnungslose hintergangen.