# taz.de -- Online gegen die Dunkelziffer
       
       > Antisemitismus Opfer von Pöbeleien und Übergriffen können auf einer neuen
       > Internetplattform den Vorfall anonym melden. Nur das „subjektive
       > Empfinden“ der Betroffenen zähle, so Initiator Benjamin Steinitz
       
 (IMG) Bild: Wurden davor gewarnt, die Berliner U-Bahn zu benutzen: Teilnehmer der Makkabi-Spiele, hier das israelische Hockey-Team
       
       von Yvonne Hissel
       
       Es passiert in der Bahn, auf dem Schulhof, auf der Straße – nicht eine
       Woche vergeht in Berlin, ohne dass Juden und Jüdinnen beleidigt oder
       angegriffen werden. Genauso lange hat es gedauert, bis auf der neuen
       Website report-antisemitism.de die ersten Meldungen von Betroffenen
       eingegangen sind. Etwa Beschwerden über verbale Angriffe auf offener Straße
       und eine Körperverletzung in Neukölln.
       
       Benjamin Steinitz ist Leiter der Recherche- und Informationsstelle für
       Antisemitismus (RIAS) und Initiator von report-antisemitism, der bundesweit
       ersten Internetmeldeplattform für antisemitische Vorfälle. Mithilfe der
       Website möchte er ein umfassendes Netzwerk zur Meldung von
       judenfeindlichen Vorfällen in Berlin aufbauen.
       
       Die Idee dazu hatte Steinitz vor einem Jahr. In Zusammenarbeit mit
       jüdischen Gemeinden in Berlin hatte er herausgefunden, dass die
       statistische Erfassung von antisemitischen Fällen bei der Polizei offenbar
       Defizite aufweist. „Im Jahr 2014 wurden von der Polizei knapp 200
       antisemitische Vorfälle in Berlin aufgenommen“, berichtet er. „Allerdings
       handelte es sich dabei ausschließlich um strafrechtlich relevante Angriffe.
       Alltägliche Pöbeleien, Beleidigungen und Drohungen sind in dieser Zahl
       nicht inbegriffen.“
       
       ## Eigene Untersuchung
       
       Er führte daher eine Befragung in zehn Berliner Synagogen durch und fand
       heraus, dass die Dunkelziffer des alltäglichen Antisemitismus sehr hoch
       ist. „Wir ermittelten in persönlichen Gesprächen und Beobachtungen von
       politischen Demonstrationen 100 antisemitische Vorfälle. Davon waren 70 der
       Polizei unbekannt.“
       
       Steinitz hofft, dass die neue Onlinemeldeplattform auch die Hemmschwelle
       senkt, alltägliche Vorfälle zu melden. „Jeder Mensch kann die Plattform
       nutzen“, so Steinitz. Denn: „Nur wenn Antisemitismus als Problem in der
       Gesellschaft wahrgenommen wird, kann etwas dagegen unternommen werden.“
       
       Report-antisemitism dient allerdings nicht allein der statistischen
       Auswertung von Daten. Bei jeder Meldung muss eine E-Mail-Adresse angegeben
       werden, über die Betroffenen Hilfe angeboten werden kann. Das kann in Form
       eines Gespräches bei der RIAS passieren oder durch die Vermittlung von
       Rechtsbeistand im Falle von strafrechtlich relevanten Vorfällen. Ob die
       Meldungen schließlich auf der Facebook-Seite der RIAS öffentlich gemacht
       werden oder anonym in die Statistik einfließen, entscheiden die Betroffenen
       selbst.
       
       „Viele Opfer fürchten, bei der Polizei nicht viel zu erreichen, da die
       Täter oft unbekannt sind. Dabei ist es wichtig, Menschen, die
       antisemitische Erfahrungen gemacht haben, Gehör zu schenken“, so Steinitz.
       Zugleich bietet das Onlineverfahren die Möglichkeit, anonym zu bleiben.
       Polizeiähnliche Befragungen müsse niemand befürchten.
       
       Steinitz betont auch, dass die RIAS über gemeldete Vorfälle nicht urteilt.
       Es werden alle Fälle in die Statistik aufgenommen, die von den Opfern als
       diskriminierend empfunden werden. „Bei uns zählen die subjektiven Gefühle
       der Opfer und keine wissenschaftlichen Kategorien von Antisemitismus.“
       
       Dass Antisemitismus immer noch ein aktuelles Problem ist, wird auch wieder
       im Zuge der seit Dienstag laufenden Maccabi Games deutlich. Die rund 2.000
       AthletInnen, die an den jüdischen Wettspielen teilnehmen, wurden gewarnt,
       in der Öffentlichkeit als jüdische Gruppen erkennbar zu sein. Sie sollen
       außerdem den Nahverkehr meiden und „sensiblen Gebieten“ Berlins
       fernbleiben.
       
       30 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Yvonne Hissel
       
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