# taz.de -- Die Wahrheit: Mütterchen Russlands Spaniel
       
       > Tagebuch einer Durchreisenden: Auf dem Weg nach Kaliningrad bietet die
       > russische Grenzverteidigung bei der Kontrolle ein Kuschelmonster auf.
       
       Auf der Kurischen Nehrung führt der Weg von Litauen nach Kaliningrad über
       die Grenze nach Russland. Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind
       nicht gerade herzlich, weshalb die russische Armee offenbar keine Kosten
       gescheut hat, den Soldaten, der unseren Linienbus kontrolliert, mit dem
       Martialischsten auszurüsten, das auf dem Grenzverteidigungsmarkt zu finden
       ist: einem gutgelaunten Cockerspaniel.
       
       Selbstverständlich durchschaut der Businsasse das ausgeklügelte
       Täuschungsmanöver, mit dessen Hilfe Reisende, die Böses gegen Mütterchen
       Russland im Schilde führen, zuerst in Sicherheit gewiegt und dann matt
       gesetzt werden sollen. Hinter feuchtem Näschen und seidenweichem Fell
       steckt nämlich ein gefährliches Monster, das sich wie im Film die
       Latexmaske von der Schnauze reißen und eine Bestie freigeben wird, doch
       kaum drückt Herrchen dem Busfahrer die Leine in die Hand, um die Pässe
       einzusammeln, zeigt die Bestie mehr Angst als Vaterlandsliebe. Olga oder
       Boris oder wie immer dieses „Ich liebe euch doch alle“-Schmusetier heißt,
       hätte zur Steigerung seines Aggressionspotenzials lieber „Putin“ oder
       „Stalin“ getauft werden sollen, zumindest legt die These, dass Namen das
       Wesen ihrer Träger beeinflussen, es nah.
       
       Als ich ein Kind war, hatten meine Großeltern einen Riesenschnauzer, der
       auf den sinnfreien, aber grimmigen Namen „Türk“ hörte. Es war die Zeit, in
       der die erste türkische Gastarbeiterwelle nach Deutschland rollte, und ich
       war überzeugt, auch der Hund wäre mit eingewandert. Türk jedenfalls hasste
       alle Menschen außer meiner Großmutter, die ihn – und bei sonntäglichen
       Besuchen auch mich – mit Keksen fütterte. An der Wohnzimmerwand hing ein
       Ölgemälde, auf dem ein Osmane in blutgetränktem Gewand sein Schwert in
       einen am Boden liegen Reiter bohrte, im Hintergrund bäumte sich, Panik im
       Auge, sein Pferd auf. Neben mir fletschte der Köter die Zähne.
       
       Diese unglückliche Verquickung verstörender Eindrücke hinterließ in meinem
       kindlichen Gemüt eine gewisse Beklommenheit gegenüber allem Türkischen,
       welche, nachdem sich die Gastarbeiter als angenehm friedlich erwiesen
       hatten, rasch verschwand und heute nur noch dem weniger friedlichen
       türkischen Präsidenten Erdogan gilt, welcher mich nicht nur morphologisch
       betrachtet – Schnauzbart! – an Omas bissigen Türk erinnert.
       
       Die Frage ist, ob Erdogan, was man mit „als Soldat Geborener“ übersetzen
       kann, trüge er einen weniger soldatischen Namen, wirklich ein sanftes
       Kerlchen geworden wäre, so wie Shaun, der deutsche Schäferhund
       amerikanischer Freunde. Als sie während eines nächtlichen Gassigehens
       überfallen wurden, leckte Shaun den Angreifern begeistert die Hände.
       
       Wäre die Sache bei einem beherzten „Erdogan, fass!“ statt einem „Shaun! Go,
       get them!“ anders ausgegangen? Dem widerspricht allerdings, dass vor Jahren
       ein Künstler, der zu Ehren der Kunst gern martialische Dinge mit seinem
       Körper veranstaltete, seine Deutsche Dogge „Hitler“ nannte. Doggen sind
       nett und doof. Hitler blieb unbeeindruckt und ungefähr so gefährlich wie
       eine beinamputierte Springmaus.
       
       9 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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