# taz.de -- Gesperrte Betten
       
       > ARBEIT Der Charité-Streik hat begonnen. Krankenschwestern und -pfleger
       > wollen bessere Personalausstattung erzwingen. Sie empfinden ihre
       > Arbeitssituation als unerträglich – für sich selbst und für die Patienten
       
 (IMG) Bild: Ständig treffen neue Meldungen über Stationsschließungen ein
       
       von Jörn Boewe
       
       „Streik“ steht auf den Plakaten und Transparenten am Haupteingang des
       Virchow-Klinikums im Wedding. Es ist Montag früh, halb neun, und
       normalerweise herrscht hier um diese Zeit reger Betrieb. Doch an diesem
       Morgen ist es fast gespenstisch ruhig. Seit Beginn der Frühschicht ist ein
       Großteil der Pflegekräfte des Berliner Universitätsklinikums Charité in den
       unbefristeten Streik getreten. Den Beschäftigten geht es nicht um mehr Lohn
       – es geht um mehr Personal auf den Stationen.
       
       In der Glashalle, einem zentralen Gebäude des Virchow-Campus, haben sich an
       die 200 Krankenschwestern, -pfleger, aber auch Verwaltungs- und
       IT-Angestellte versammelt. Hier hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi
       ihr Streiklokal eingerichtet. Ständig treffen neue Meldungen über
       Stationsschließungen und gesperrte Betten ein. „Die Arbeitssituation ist
       unerträglich“, sagt eine Schwester, die gekommen ist, um sich in die
       Streikliste einzutragen. „Unerträglich für uns, aber auch für die
       Patienten. Wir sehen einfach keine andere Möglichkeit mehr, daran etwas zu
       ändern.“
       
       Zehn bis zwölf Patienten betreut eine Pflegekraft an der Charité im Schnitt
       – viel zu viel, sagen Personalrat und Gewerkschaft. Der Personalmangel
       gefährde gleichermaßen Sicherheit der Patienten und Gesundheit der
       Beschäftigten, warnen sie seit Jahren. Geändert hat sich nichts.
       Vorstandschef Karl Max Einhäupl räumte zwar unlängst ein, dass Pflegekräfte
       „oft am Limit arbeiten“. Leider gebe das Finanzierungssystem des deutschen
       Gesundheitswesens aber keinen Spielraum für mehr Einstellungen.
       
       Kein Wunder, dass viele Charité-Beschäftigte das Gefühl haben, „gegen eine
       Wand zu laufen“, wie es in einem der zahlreichen „Notrufe“ heißt, die
       Pflegekräfte in den letzten zwei Jahren an ihre Chefs schickten. Vor drei
       Wochen hatten sich 96 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder an der Charité in
       einer Urabstimmung für unbefristete Arbeitsniederlegungen ausgesprochen.
       
       Der Charité-Vorstand hat den Konflikt in den letzten Tagen weiter
       eskaliert. So wurde eine Werbeagentur beauftragt, Stimmung gegen die
       Gewerkschaft zu schüren: „Kein Streik auf dem Rücken der Patienten“ und
       „Unerfüllbare Forderungen führen nicht zum Ziel“ steht auf Aufklebern, die
       an den verschiedenen Klinikstandorten angebracht wurden. „Die meisten waren
       allerdings schnell wieder ab“, berichtet Stephan Gummert, Krankenpfleger
       und Mitglied der Streikleitung. „Auch Patienten haben die Dinger entfernt.
       Wir mussten uns um nichts kümmern.“
       
       Noch am Freitag hatte die Charité versucht, den Streik mit einem Eilantrag
       vom Arbeitsgericht verbieten zu lassen – erfolglos. „Die unternehmerische
       Freiheit des Arbeitgebers“, stellte der Richter klar, „endet dort, wo der
       Gesundheitsschutz der Mitarbeiter beginnt.“ Die Charité kündigte an, in die
       nächste Instanz zu gehen.
       
       Wie Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel mitteilte, hätten am Montag an allen
       drei Charité-Standorten in Wedding, Mitte und Steglitz insgesamt 500
       Beschäftigte die Arbeit niedergelegt, 700 der insgesamt 3.000 Betten wurden
       gesperrt. Unklar war am Nachmittag noch, wie viele Stationen komplett
       geschlossen werden mussten. Mehrere Intensivstationen konnten nicht wie
       geplant bestreikt werden, weil sie voll belegt waren. Offenbar hatte die
       Klinikleitung bis zum Schluss auf ein gerichtliches Verbot des
       Arbeitskampfes gesetzt.
       
       Lebenswichtige Operationen würden auch während des Streiks ausgeführt,
       betonte Kunkel. Verdi und Charité haben dazu eine Notdienstvereinbarung
       geschlossen, eine gemeinsame Clearingstelle soll entscheiden, was ein
       Notfall ist. Nach Charité-Angaben wurden allein für diese Woche rund 1.000
       Operationen abgesagt. Der Einnahmeausfall für das Klinikum wird auf
       mindestens eine halbe Million Euro je Streiktag geschätzt.
       
       23 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörn Boewe
       
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