# taz.de -- Kolumne: Himmlische Regen-Performance
       
       > Tags heißt es auf der documenta 12 "Gegen Lobbyismus in der Kunst" -
       > nachts bedenklicherweise "Bürgerstolz & Stadtfrieden".
       
       Kassel ist voller Wunder, und obwohl die Stadt recht überschaubar ist,
       kommt der angereiste Documenta-Neuling aus dem Staunen nicht mehr heraus.
       Da gibt es junge Platinkreditkarteninhaber mit persönlichen
       Schirmträgerinnen, Kunstenthusiastinnen schlitzen blaue Müllsäcke auf und
       ziehen sie als Regencape kopfüber, Menschen warten minutenlang bei leerer
       Fahrbahn bis die Ampel auf Grün schaltet,
       
       Kassler Kunstdandys in schlecht sitzenden Anzügen und weißen Schuhen
       flanieren gehetzt über den Friedrichplatz. "Gehört das hier so oder ist das
       eine Installation?", fragt sich die kunstferne Besucherin ein ums andere
       Mal. Auch der Himmel entpuppt sich als große Performancemaschine und fährt
       das ganze Repertoire auf: Da gibt es den plötzlichen Platzregen, den
       reinigenden Gewitterregen, den stumpfen Nieselregen und den ausdauernden
       Bindfadenregen und kaum sind die Kleider getrocknet, geht ein ergiebiger
       Landregen auf die hessische Kunstmetropole nieder. Abends ziehen alle zur
       Lolitabar, der Kasseler Szenelocation, die sich vorgenommen hat unter dem
       Motto "Bürgerstolz & Stadtfrieden" - auf Englisch "Citizen Pride & Urban
       Peace" - 101 Tage lange "Art, Culture and Life" zu bieten.
       
       Noch interessanter ist es tagsüber auf der Truman-Show-artig unwirklichen
       Freifläche vor dem Friedericianum. Der Schandfleck "nicht blühendes
       Mohnfeld" liegt in voller Brache, ständig glaubt man desorientierte
       Chinesen zu sehen. Hat doch der Künstler Ai Weiwei 1001 Landsleute aus
       sämtlichen Provinzen nach Kassel importiert, um bei den in Sachen Kunst
       Verschickten das wichtige Grundgefühl der Verlorenheit zu evozieren.
       
       Der Besuch des Bundespräsidenten war ein weiteres großes Highlight des
       ersten Tages. Zwei niedliche Demonstrationen hatten sich formiert: Zwei
       junge Frauen protestierten auf einem Stuhl mit einem Plakat gegen den
       "Lobbyismus in der Kunst" und ein launiger Einzeldemonstrant mit neckischem
       violett-schwarz gestreiftem Zylinder forderte mehr Demokratie. So kann man
       aber beim besten Willen dieses von Weiwei geforderte wichtige Grundgefühl
       der Verlorenheit in Kassel nicht empfinden.
       
       18 Jun 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christiane Rösinger
       
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