# taz.de -- Tour de France: Distanzierte Nähe
       
       > Jubeln, Boykottieren, über Dopung berichten oder nicht: Tour-Journalisten
       > streiten darüber, wie sie die Frankreich-Rundfahrt am besten begleiten
       > sollen.
       
 (IMG) Bild: Im Spiegel der Öffentlichkeit: Radprofis in Frankreich
       
       JOIGNY taz Als Fabian Cancellara am Montagnachmittag mit einem fulminanten
       Antritt über den Schlossplatz von Compiègne dem Etappensieg entgegenstob,
       hielt es niemand mehr auf den schlichten Holzstühlen, die in der Turnhalle
       des örtlichen Gymnasiums für die schreibenden Journalisten aufgereiht
       waren. Die gewöhnlich eher abgebrühten Reporter scharten sich um die
       Fernsehbildschirme, hielten wie gemeine Fans den Atem an und brachen in
       Szenenapplaus aus, als Cancellara nur Zentimeter vor Erik Zabel sein
       Rennrad über die Ziellinie drückte.
       
       "Sicher weiß ich, welche Probleme dieser Sport hat", sagte der
       Korrespondent der Pariser Sportzeitung LEquipe, Philippe Le Gars, der auch
       stehend applaudiert hatte, kurz darauf. "Aber es ist doch noch immer ein
       schöner Sport." Seine Leidenschaft für den Sport, so Le Gars, sei gewiss
       nach der Festina-Affäre 1998 einer gewissen Desillusionierung gewichen,
       aber sie sei noch immer vorhanden. Er passe bei seinen Berichten seither
       auf, nicht mehr in Überschwänglichkeit zu verfallen und Superlative sowie
       Adjektive wie "heroisch" und "grandios" zu vermeiden. Aber er berichte
       selbstverständlich weiter über Radrennen. Es seien schließlich Ereignisse
       wie jedes andere auch und er empfinde es als seine journalistische Pflicht,
       sie zu würdigen.
       
       Le Gars Meinung entspricht der Mehrheitsmeinung im internationalen
       Pressetross bei der Tour de France. Alle französischen Zeitungen sowie der
       International Herald Tribune beispielsweise machten am Dienstag ihre
       Sportseite mit dem Sieger Cancellara auf, selbst die bürgerliche Le Monde,
       die sich seit Jahren mit ihrer harten Linie profiliert, wenn es um Doping
       geht. Alleine der Figaro widmet sich auf seiner zweiten Sportseite in einem
       Interview mit dem früheren Tour-Sieger Laurent Fignon dem Thema Doping. Die
       Berichterstattung zur Tour de France ist hierzulande schon längst zur
       Normalität zurückgekehrt.
       
       Die Tatsache, dass sich viele deutsche Medien noch immer in das Dopingthema
       verbeißen, befremdet viele Journalisten bei der Tour. "Sicher berichte ich
       über Doping, wenn es morgen einen neuen Fall gibt", sagt etwa Samuel Abt,
       der seit 30 Jahren für die New York Times und den International Herald
       Tribune die Tour begleitet. "Aber im Moment muss man das Thema doch an den
       Haaren in die Tour hereinschleifen." Die Entscheidung einiger deutscher
       Zeitungen, den Sport zu ignorieren und die gesamte Veranstaltung nur noch
       als Treffen einer organisierten Verbrecherbande darzustellen, hält Abt für
       "billig und unsensibel". Es sei verabscheuungswürdig und arrogant, so Abt,
       "jegliche athletische Anstrengung als unwürdig abzutun. Zumal in
       Deutschland zwei Mannschaften mit jungen Leuten sich bemühen, alles richtig
       zu machen." Das Dopingproblem, so Abt, sei ja schließlich nicht neu und er
       frage sich, wo denn die ganzen investigativen deutschen Reporter 1997
       gewesen seien, als das gedopte Team Telekom die Tour gewann. Damals, so
       Abt, habe er aus Deutschland nicht viele Fragen gehört.
       
       Andere Kollegen haben ein wenig mehr Verständnis als Abt für die Reaktion
       der deutschen Medien auf die Enthüllungen der vergangenen Monate. "Das war
       bei uns nach dem Festina-Skandal 1998 genauso", sagt Philippe Le Gars. Auch
       Lars Werge vom dänischen Ekstra Bladet findet das "normal". "Als sich 1999
       der Verdacht gegen Riis immer mehr verdichtete, haben wir uns auch beinahe
       ausschließlich auf Doping konzentriert." Allerdings, so Werge, habe das
       nach etwa zwei Jahren sowohl die Journalisten als auch die Leser ermüdet
       und man sei zu einer gemischteren Themenauswahl zurückgekehrt. Ganz auf die
       Berichterstattung über den Radsport zu verzichten, sei indes nie in Frage
       gekommen.
       
       "Ich kann als Journalist ja auch nicht den Irakkrieg ignorieren, nur weil
       ich ihn nicht mag", stimmt Philippe Le Gars Werges Einschätzung zu, dass
       man die Tour als Reporter nicht übergehen kann. Der Journalist, so Le Gars,
       sei doch vor allem Zeuge und Beobachter. "Ich bin nicht allwissend. Ich
       habe 1996 auch Bjarne Riis als großen Champion bezeichnet." Sicher, so Le
       Gars, wisse er jetzt mehr, aber man können eben immer nur mit dem arbeiten,
       was man jeweils weiß und wahrnimmt. Die Lehre daraus sei für ihn, so Le
       Gars, dass "der Sport ein offenes Buch ist, das immer weitergeschrieben
       wird und nie zu Ende ist". Die Suche nach letzten Wahrheiten und
       abschließenden Urteilen hat er schon lange aufgegeben.
       
       12 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Moll
       
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