# taz.de -- Kuba: Ein Jahr fast ohne Castro
       
       > Vor fast 12 Monaten hat Fidel Castro alle seine politischen Ämter
       > abgeben. Seitdem sich in Kuba weniger geändert, als viele erhofft und
       > andere befürchtet hatten.
       
 (IMG) Bild: Es geht auch ohne ihn - Kubas Überfigur Fidel Castro.
       
       HAVANNA taz Am 31. Juli wird es ein Jahr her sein, dass Fidel Castro seine
       Funktionen als Staatspräsident, Vorsitzender des Ministerrats und
       Generalsekretär der Kommunistischen Partei auf seinen Bruder Raúl
       übertragen hat. Zwar sollte diese Ämterübergabe nur vorübergehend sein,
       aber bis heute ist es dabei geblieben.
       
       Lange zuvor hatte es zahlreiche Prognosen darüber gegeben, was wohl nach
       dem Abtritt Fidels passieren würde. Heute kann man sagen, dass sich keine
       dieser Prognosen bewahrheitet hat.
       
       Jene Beobachter, die nach Veränderungen Ausschau halten, haben die
       Entwicklungen des vergangenen Jahres sehr aufmerksam verfolgt. Allerdings
       bedarf es der Vorsicht und der Gelassenheit, um sich nicht verwirren zu
       lassen. Die neuen Zollbestimmungen zum Beispiel, die die Einfuhr von
       DVD-Geräten erlauben, sind nicht notwendigerweise ein Zeichen für die
       Öffnung des Landes. Eindeutigere Zeichen hingegen, etwa die Haftentlassung
       einer nennenswerten Zahl politischer Gefangener oder die Einfrierung der
       Beziehungen zu Venezuela, hat es nicht gegeben. Im Gegenteil, in
       ökonomischer, politischer und sozialer Hinsicht hat sich die Abwesenheit
       Fidel Castros bislang kaum bemerkbar gemacht. Und dennoch gibt es einige
       Details, die inzwischen anders erscheinen.
       
       Als Erstes fiel den Kubanern auf, dass sich der Beginn der staatlichen
       Nachrichten im Fernsehen um 20 Uhr nicht mehr regelmäßig verschiebt. Zuvor
       war es nämlich üblich, dass die vorausgehende Sendung "Runder Tisch", an
       der Fidel Castro häufig teilnahm, um zu irgendeinem Thema einen Vortrag zu
       halten, ihre Sendezeit überzog, weil der "Comandante en Jefe" länger als
       vorgesehen sprach. In der Folge ändern sich auch nicht mehr ständig die
       Sendezeiten der Telenovelas und Spielfilme im Abendprogramm. Das mag
       unwichtig erscheinen, hat aber keine unerhebliche Auswirkung auf das Leben
       der normalen Menschen, die - wenigstens als Fernsehzuschauer - eine
       "ungewohnte Normalität" erleben.
       
       In den Monaten nach Fidel Castros Rückzug wurden zwei Sitzungen des
       Parlaments abgehalten. Dort hatten die Abgeordneten plötzlich mehr Zeit zum
       Reden zur Verfügung, weil Castro nicht mehr auf seinem Platz saß und mit
       seinen Ausführungen nicht mehr einen großen Teil der Debattenzeit in
       Anspruch nehmen konnte. Auch das ist eine kleine, aber bedeutsamere
       Änderung. Die Abgeordneten bemühen sich zwar, das Gleiche zu sagen, was
       Castro wohl auch gesagt hätte. Doch sie können nicht mehr sehen, ob zum
       Zeichen seines Einverständnisses ein zustimmendes Lächeln über Castros
       Gesicht huscht oder ob er eine Augenbraue hochzieht und damit seine
       Missbilligung ausdrückt.
       
       Eine bedeutsame Begebenheit ist auch, dass der Máximo Lider in den
       vergangenen Monaten damit begonnen hat, sich durch schriftliche
       Ausführungen öffentlich mitzuteilen. In diesen "Reflexionen" beschäftigt er
       sich überwiegend mit Themen von weltpolitischer Bedeutung, die jedoch nur
       wenig lokale Relevanz haben. Mal schreibt er über den Einsatz von Ethanol
       als Brennstoff, mal über die Herstellung eines atomaren U-Bootes in
       Großbritannien. Auffällig ist, dass er in diesen Artikeln davon absieht,
       Befehle zu erteilen oder Anweisungen zu geben. Fidel Castro beschränkt sich
       darauf, seine Meinung kundzutun, als wäre er nur der einflussreiche
       Kolumnist einer Tageszeitung.
       
       Raúl Castro hingegen hat sich an seine Ankündigung gehalten, einen eigenen
       Führungsstil zu pflegen, obwohl sich seine politischen Ideen - zumindest
       wenn man den offiziellen Dokumenten folgt - nicht einen Millimeter von
       denen seines Bruders abweichen. Und die anderen Herren, denen Fidel Castro
       eine gewisse Verantwortung für bestimmte Aufgaben übertragen hat, handeln
       so, als ob Fidel weiterhin im Amt wäre. Weder nehmen sie mit einer
       persönlichen Note irgendeine Initiative in Angriff, noch stellen sie sich
       selbst in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit.
       
       Das sind die Zeichen, die von höchster Ebene kommen, begleitet von einem
       ständigem Optimismus bezüglich der unveränderbaren Zukunft der Revolution
       und der allmählichen Genesung ihres unbestreitbaren Anführers. Will man die
       Stimmung der Bevölkerung erkunden, stößt man auf die Schwierigkeit, dass es
       an unabhängigen soziologischen Untersuchungen fehlt, die auf zuverlässigen
       Umfragen beruhen. Es bleibt alles subjektiver Bewertung überlassen. Manche
       meinen, dass die Leute allmählich die Angst verlören oder dass der Jugend
       der Revolution gleichgültig geworden sei. Aber mit der gleichen Sicherheit
       glauben andere zu wissen, dass die Partei noch immer das Vertrauen der
       Menschen genießt oder dass Fidel in Ruhe sterben könne, ohne sich um die
       Zukunft der Revolution sorgen zu müssen.
       
       So waren kubanische Intellektuellen die Einzigen, die zu Beginn des Jahres
       deutliche Worte fanden. Ihr außergewöhnlicher Aufstand begann auf eine
       harmlose Weise: Mehr als 120 Personen tauschten mittels E-Mails Nachrichten
       aus, in denen sie - in mehr oder weniger scharfer Form - die Kulturpolitik
       der Revolution kritisierten. Am Anfang stand der Protest gegen eine
       Fernsehsendung, in der verdiente Schriftsteller und Künstler gewürdigt
       werden. Dort war plötzlich ein Herr namens Luís Pavón aufgetaucht, der in
       den Siebzigerjahren die nationalen Kulturinstitutionen geleitet und eine
       extrem sektiererische, homophobe und intolerante Politik betrieben hatte.
       Diese Zeit ging später als "graues Jahrfünft" in die kubanische Geschichte
       ein.
       
       Doch Schritt für Schritt wagten die Protestmails gegen Pavóns überraschende
       Würdigung mehr und stellten allmählich sogar die Prinzipien der
       Kulturpolitik in Frage, wie sie von Fidel Castro im Jahr 1961 in seiner als
       "Worte an die Intellektuellen" bekannt gewordenen Rede formuliert hatte.
       Die Beobachter dieser Auseinandersetzung sind sich darin einig, dass sich
       die Debatte nur wegen der Abwesenheit Fidel Castros auf diese Weise
       entwickeln konnte. "Mit ihm an der Macht wären sie nicht so weit gegangen",
       ist man sich einig.
       
       Zusammenfassend kann man sagen, dass weder die Repression zugenommen noch
       eine Öffnung stattgefunden hat, die eine ideologische Pluralität zuließe.
       Eine an dem chinesischen oder dem vietnamesischen Modell orientierte
       wirtschaftliche Liberalisierung hat es ebenso wenig gegeben wie eine
       Rückkehr zu den Zeiten der Fünfjahrespläne. Unverändert geblieben ist auch
       die kubanische Außenpolitik. Das zeigte sich zum Beispiel, als die
       kubanische Regierung das Dialogangebot der Europäischen Union als arrogant
       zurückwies, weil die EU die im Frühjahr 2003 verhängten Sanktionen nicht im
       Voraus und bedingungslos aufheben wollte.
       
       Im kommenden Jahr soll das kubanische Parlament neu gewählt werden. Es wird
       sich zeigen, ob Fidel Castro erneut kandidieren wird, was gleichbedeutend
       mit einem Wahlsieg wäre. Es halten sich auch beharrlich die Gerüchte, dass
       am Ende dieses Jahres oder zu Beginn des kommenden die Kommunistische
       Partei zu ihrem sechsten Kongress zusammenkommen soll, der schon fünf Jahre
       überfällig ist. Doch unabhängig davon, ob die Delegierten Fidel Castro als
       Generalsekretär bestätigen oder ob sie seine definitive Ersetzung
       beschließen: Die Zeichen dafür, dass Fidels Abwesenheit nicht so vorläufig
       ist wie angekündigt, mehren sich. Auf lange Sicht wird man diese Zeichen
       deutlicher zu spüren bekommen, als dies heute der Fall ist.
       
       ÜBERSETZUNG: OLE SCHULZ 
       
       REINALDO ESCOBAR ist Chefredakteur der digitalen Zeitschrift Consenso. Auf
       der Website www.desdecuba.com (Link oben in der rechten Spalte) sind viele
       Beiträge der "Pavonato-Debatte" dokumentiert.
       
       26 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinaldo Escobar
       
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