# taz.de -- Kommentar: Fetisch Schießbefehl
       
       > Die Öffentlich ist fixiert darauf, den zentralen "Schießbefehl" zu
       > finden. Dabei ist das eigentlich Beunruhigende, das perfide Zusammenspiel
       > von Gruppendruck und vorauseilendem Gehorsam.
       
       Die Magdeburger Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde hat ein Dokument
       präsentiert, in dem Spezialkräfte der Stasi dazu aufgefordert wurden,
       fahnenflüchtige Grenzsoldaten notfalls zu töten - im Zweifelsfall auch
       mitsamt ihrer ganzen Familie. Eine vergleichbare Anweisung wurde schon 1997
       in einem wissenschaftlichen Sammelband veröffentlicht, ohne größeres
       Aufsehen zu erregen. Der Begriff "Schießbefehl" löst jetzt zwar Emotionen
       aus; um jenen lange gesuchten allgemeinen Schießbefehl, der zum Töten
       flüchtiger Zivilisten auffordert, handelt es sich bei dem nun vorgelegten
       Dokument aber gerade nicht.
       
       Bleibt die Frage, warum die Existenz oder Nichtexistenz ebendieses
       "Schießbefehls" die Gemüter noch immer so bewegt. Darin zeigt sich eine
       erstaunliche Parallele zu der jahrzehntelangen, ebenso vergeblichen Suche
       nach einem "Führerbefehl" für die Ermordung der europäischen Juden. So
       unvergleichbar die Tatbestände sind: In beiden Fällen macht sich eine
       Öffentlichkeit, auf die Fahndung nach einem solchen zentralen Befehl
       fixiert, allzu naive Vorstellungen von Entscheidungsprozessen und
       Befehlsketten. Das Beunruhigende an solchen Apparaten wie dem
       DDR-Grenzregime ist ja gerade das perfide Zusammenspiel von Gruppendruck
       und vorauseilendem Gehorsam, Belohnung und Bestrafung, das sich mit einer
       einzigen knappen Anweisung - selbst wenn es sie denn gäbe - gar nicht
       hinreichend erklären lässt.
       
       In der NS-Debatte mussten sich jene Historiker, die den Holocaust nicht
       eindimensional auf einen zentralen Befehl zurückführen wollten,
       Verharmlosung vorwerfen lassen - weil sie angeblich die Schuld der
       Führungsspitze leugneten. Dabei hat gerade die Suche nach einer Anweisung
       von oben etwas Entlastendes an sich. Sie lässt sich zwar medial leicht
       ausschlachten, steht aber auch im Falle der DDR dem tieferen Verständnis
       der historischen Zusammenhänge eher entgegen.
       
       All jene, die jetzt über den mutmaßlichen "Schießbefehl" jubeln, verhalten
       sich deshalb kaum weniger oberflächlich als die von ihnen kritisierten
       Vertreter der Popkultur, die die DDR nur noch unter ästhetischen Aspekten
       betrachten.
       
       13 Aug 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralph Bollmann
       
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