# taz.de -- Theater: Klytaimnestras Rückkehr
       
       > Mit der "Orestie" ist der Mythos aus dem Schauspielhaus Frankfurt in das
       > antike Theater von Epidauros gereist. Regisseurin Karin Neuhäuser zeigt
       > sich dem Sternenhimmel über ihr gewachsen.
       
 (IMG) Bild: "Bringt mir die Axt, die Männer mordet", sagt die verruchte Klytaimnestra.
       
       Nacht über Argolis, der mythischen Landschaft im Westen des Peloponnes. Im
       Sternzeichen des Großen Wagens beginnt das Spiel. Flammenhell verkünden die
       Scheinwerfer dem Wächter: Troja ist gefallen, die Griechen und ihr Feldherr
       Agamemnon, der König von Mykene, kehren heim.
       
       Man spielt, so würde auch jeder Neuzeitgrieche nun gleich wissen, "Die
       Orestie" von Aischylos, und man spielt sie im antiken Theater von Epidauros
       inmitten der argolischen Berge. An den Hang des Kynortion schmiegt sich das
       imposante Halbrund mit seinen 12.000 kalksteinernen Plätzen. Ein kleiner
       Bruder des mächtigen Dionysos-Theaters in Athen, der aber in seiner Lage
       und Erhaltung das hauptstädtische Monument um Längen schlägt. Atemberaubend
       ist der Blick über die Landschaft, und nur mit Schwindelfreiheit lassen
       sich die obersten Reihen ersteigen. Seit dem 4. Jahrhundert vor Christus
       wird an diesem erhabenen Ort Bühnenkunst betrieben.
       
       Für die Regisseurin und Schauspielerin Karin Neuhäuser ist es deshalb nicht
       weniger als "ein Mirakel", hier ihre Version der "Orestie" aufzuführen. Im
       Fahrwasser des Antikentaumels, der diese Saison die deutschen Theater
       heimsuchte, hat sie in Frankfurt in monumentale fünf Stunden gegossen,
       wofür Wolfgang Engel in Leipzig zwei Stunden und Michael Thalheimer in
       Berlin knappe 100 Minuten brauchten. Vielleicht sind es diese antiken
       Ausmaße, die das Hellenic Festival bewogen haben, gerade Neuhäusers
       Inszenierung nach Epidauros einzuladen und keine logistischen Mühen zu
       scheuen. Mit über 60 Mitarbeitern ist das Frankfurter Schauspiel angereist;
       das Bühnenbild musste fast komplett neu gebaut werden, weil hier kein
       Bühnenturm zu Verfügung steht und schweres Gerät nicht auf den
       ruinengesäumten Untergrund darf. Als Szene markiert eine graue Wand den
       Palast, auf der auch die griechische Übersetzung erscheint, und ein
       Wasserbassin nimmt den Großteil der Orchestra ein, den ursprünglichen
       Mittelpunkt der antiken Bühne.
       
       Die Bühnenkonventionen der Antike und die Vorgaben der Archäologen
       verlangen ihren Tribut, belohnen aber gleichzeitig mit neuen
       Spielmöglichkeiten und der sagenumwobenen Akustik, deren Geheimnis
       amerikanische Forscher gerade einmal wieder gelöst haben wollen. Da muss
       man es schon als Frevel empfinden, dass Neuhäuser den zweiten und dritten
       Teil ihrer "Orestie" mit Mikroports spielen lässt.
       
       Zumal sie ein so exzellentes Sprecherensemble zusammengestellt hat, das die
       schwierigen Verse in deutscher Sprache glasklar heraussprudelt. Neuhäuser,
       die studierte Germanistin, hat sich gegen die omnipräsente Prosaübersetzung
       von Peter Stein, der gerade eine Woche vorher an gleicher Stelle gastierte,
       und für die poetische Übertragung des ostdeutschen Altphilologen Dietrich
       Ebener entschieden. Die kennt sie auswendig, seit sie Mitte der Achtziger
       in Moers 103-mal die "Orestie" gespielt hat - ein Initiationserlebnis, fuhr
       der Regisseur Holk Freytag doch mit seinen Schauspielern nach Athen, um die
       Tageslichtverhältnisse im Dionysos-Theater zu erkunden. In Epidauros hat
       Neuhäuser davon nicht viel gesehen. Drei Nächte lang, von Sonnenuntergang
       bis kurz vor Sonnenaufgang, hat sie unterm Sternenhimmel geprobt in dem
       Theater, das zum Heiligtum des Gottes Asklepios gehört, der Sage nach ein
       Sohn Apolls und zuständig für die Heilkunst.
       
       Ein passender Ort für die "Orestie", denn Heilung wäre bitter nötig für die
       vielen Wunden, von denen die einzig erhaltene antike Tragödientrilogie als
       düstere Saga der Blutrache erzählt. Für günstige Winde hat König Agamemnon
       seine Tochter Iphigenie geopfert, nun erwartet ihn zu Hause der mütterliche
       Hass seiner Frau Klytaimnestra, die für den Gattenmord ihrem Sohn Orestes
       zum Opfer fällt. Ein ewiger Kreislauf der Gewalt, der vor keiner Generation
       halt macht. Konsequent lässt Neuhäuser so auch den Chor des ersten Teils
       als Kindersoldaten in Internatskleidchen mit schweren Stiefeln und
       Holzschwertern aufmarschieren. Bedrückend ist die Präzision, mit der sich
       die Truppe unter dem militärischem Drill des Chorführers (Falk Rockstroh)
       immer wieder neu formiert. Von den Hängen herab steigen der müde Agamemnon
       (Matthias Redlhammer) und seine exotische Kriegsbeute, die Seherin
       Kassandra (Abak Safaei-Rad), in die todbringende Arena, wo die Hausherrin
       ihrem Mann eine weißen Schleppe als Triumphteppich ins Wasser legt, die
       sich dort vielsagend blutrot färbt.
       
       Die Strenge des ersten Teils, die sich in Epidauros vor ungefähr 4.000
       griechisch-deutsch-italienischen Zuschauern potenziert, löst Neuhäuser
       später auf: Die Grabspenderinnen kommen als Putzfrauen an das Grab
       Agamemnons, dessen Geist in einem Videobildschirm auf dem Wasser den
       zögerlichen Orestes (Christian Kuchenbuch) zur Rache mahnt, bevor dieser in
       einer aberwitzigen Gerichtsshow mit Götterhilfe freigesprochen wird. Die
       Geburt der attischen Demokratie aus dem Geist neuzeitlicher
       Fernsehunterhaltung.
       
       Da bahnt sich Verflachung an, aber Friederike Kammer rettet das Ereignis
       über die Runden. Ihre elegant verruchte Klytaimnestra - Sirene, Diva und
       Macherin - ist von unwirklicher Größe und scheint mit dem Text heimgekehrt
       an den Ort ihres Ursprungs. "Bringt mir die Axt, die Männer mordet", sagt
       sie, und ein kollektives Herzrasen geht durch die Ränge. So muss er sich
       anfühlen, der Mythos. Dazu flattert aufgeregt eine Fledermaus im Dunstkreis
       der Scheinwerfer, und am Schluss, als das Bühnenlicht verlischt, fällt eine
       Sternschnuppe vom Nachthimmel.
       
       25 Aug 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristin Becker
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Musikfestival
       
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