# taz.de -- Armenier in der Türkei: Arbeit im gehassten Land
       
       > Das armenische Ehepaar Kevork und Iskuhi arbeitet in dem Land, das den
       > Genozid an den Armeniern leugnet. Über eine Ferien-Saison der
       > vorsichtigen Annäherung.
       
 (IMG) Bild: Im türkischen Alltag fragt man nicht nach dem Armeniern. Man hält Antworten parat. Marktszene in Istanbul.
       
       Wenn Kevork und seine Frau Iskuhi* geahnt hätten, dass ausgerechnet in
       diesem Sommer die nationalistischen Wogen in der Türkei wieder hochschlagen
       würden, dann hätten sie sich die Sache vielleicht noch mal anders überlegt.
       Vielleicht hätten sie dann die lange Reise von der armenischen Hauptstadt
       Eriwan bis in dieses Dorf an der türkischen Mittelmeerküste gar nicht
       angetreten. Aber jetzt ist es zu spät. Und genau genommen passiert ja auch
       nichts Schlimmes. Nichts Schlimmeres jedenfalls als dieser ständige Hauch
       von Angst.
       
       Es ist das erste Mal, dass Iskuhi bei Türken arbeitet. Bislang war sie
       Hausangestellte bei einer armenischen Familie in Istanbul. Diese Familie
       hat sie nun an die türkischen Inhaber einer kleinen Pension
       weiterempfohlen. Iskuhis Familie stammt aus Erzurum in der Nordtürkei und
       ist in der Zeit der Armenier-Massaker von 1915 bis 1917 ins heutige
       Armenien geflohen. "Meine Großmutter hat immer wieder erzählt, was damals
       passiert ist", sagt Iskuhi. Zu mir sagt sie das, einer mutmaßlichen
       Christin, nicht zu ihren türkischen Chefs.
       
       Kevorks Familie lebt hingegen seit jeher im heutigen Armenien, sie hatte
       nicht unter den Massakern zu leiden, aber auch er weiß Bescheid, denn der
       Genozid ist in Armenien so präsent wie der Holocaust in Israel. Insofern
       wäre es für die beiden wohl angenehmer gewesen, wenn sie irgendwo anders
       Arbeit gefunden hätten als ausgerechnet in der Türkei. Aber wo hätte das
       sein können? Europa ist verschlossen, und die anderen Kaukasusrepubliken
       sind ebenso arm wie Armenien. Blieb nur das Land, das den Genozid an den
       Armeniern leugnet.
       
       Die beiden konnten aber immerhin hoffen, auf liberal eingestellte Leute zu
       treffen. Denn dass extrem nationalistische Türken ein Ehepaar aus Armenien
       beschäftigen würden, war kaum anzunehmen. Und tatsächlich ist das
       Verhältnis zu den Arbeitgebern gut. Die Chefin, eine resolute pensionierte
       Lehrerin aus Istanbul, ist froh, diese Städter mit Uniabschluss eingestellt
       zu haben anstelle der ländlichen Kurden, die bislang in der kleinen Pension
       für Ordnung sorgten. "Die beiden denken mit", vertraut sie mir an. "Sie
       arbeiten eigenverantwortlich. Und sie sind unheimlich nett. Ich habe sie
       richtig liebgewonnen." Natürlich arbeitet das Ehepaar sieben Tage die
       Woche, von morgens halb neun bis nachts um elf. Aber das ist im Tourismus
       hier so üblich. Und die Pensionsinhaber bezahlen ihnen mehr als den
       staatlichen Mindestlohn von monatlich umgerechnet 170 Euro, obwohl sie die
       beiden illegal Beschäftigten auch richtig ausbeuten könnten.
       
       Die Saison geht zu Ende, es sind kaum noch Gäste in der Pension. Mittags
       setzt sich Ayda, die Chefin, mit Iskuhi an einen Tisch, sie trinken Mokka
       und rauchen. Abends versammelt sich alles um den Kamin, in dem ein Feuer
       lodert. Iskuhi pult Granatäpfel und verteilt die Kerne gerecht an alle.
       Kevork steht ab und zu auf und legt getrocknete Palmwedel ins Feuer.
       
       Doch trotz aller Herzlichkeit werden die beiden ein vages Gefühl der
       Bedrohung nicht los. Kurz zuvor hatte die französische Nationalversammlung
       die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe gestellt, und
       dann ist auch noch der Schriftsteller Orhan Pamuk, der wegen seiner
       Anerkennung des Massenmords an den Armeniern in der Türkei vor Gericht
       gestanden hatte, für den Nobelpreis nominiert worden. "Wir haben Angst",
       gesteht Iskuhi. "Im Dorf wissen alle, dass wir Armenier sind." Einmal kommt
       der Bürgermeister zu Besuch und erkundigt sich angelegentlich nach dem
       Befinden der beiden. Es schwingt etwas Ungesagtes mit bei dieser Nachfrage.
       Ein Bemühen, besonders nett zu sein. Einerseits. Gleichzeitig aber geraten
       sie durch die Nachfrage ins Blickfeld, sie, die doch am liebsten unsichtbar
       bleiben würden in diesem 300-Seelen-Dorf.
       
       Attila, ein Einheimischer, arbeitet als Fahrer für die Pension. Ein netter
       junger Mann mit derbem Witz und unkompliziertem Weltbild. "Morgen kommen
       zwei französische Gäste", sagt er zu Kevork. "Mit denen könnt ihr dann ja
       gemeinsame Sache machen." Kevork schweigt. Attila meint es nicht so. Aber
       eigentlich meint er es eben doch so.
       
       Wenn unbekannte türkische Gäste fragen, woher die beiden stammen, gibt die
       Pensionswirtin je nach ihrer Einschätzung des Gastes unterschiedliche
       Antworten. Manchmal macht sie die beiden kurzerhand zu Russen. Manchmal
       meint die Pensionswirtin auch, die Gäste können die Wahrheit verkraften und
       sagt ihnen, die beiden Angestellten stammten aus Armenien. Dann breitet
       sich immer ein längeres Schweigen aus.
       
       "Was ist eigentlich tatsächlich passiert, damals? War das wirklich
       Völkermord?", fragt eines Abends die pensionierte Lehrerin, als wir
       zusammen vor dem Kamin sitzen. "Uns hat man immer erzählt, es war Krieg,
       und auch die Armenier hätten Türken umgebracht." Mich fragt sie, als
       unbeteiligte Dritte sozusagen. Die beiden Armenier sitzen dabei und
       schweigen.
       
       Dass sie fragt, ist erstaunlich genug. In der Türkei hält man zu diesem
       Thema vor allem Antworten bereit. Und zwar immer dieselben, mit kleinen
       Abweichungen. Eine liberale Version dieser Antworten rattert der Sohn der
       Pensionswirtin herunter, der ein paar Tage später aus Istanbul eintrifft,
       wo er Jura studiert. Zwar seien in der Tat Verbrechen an den Armeniern
       begangen worden, sagt er, und damit müsse man sich in der Türkei
       auseinandersetzen (das ist der liberale Teil der Argumentation), aber ein
       Völkermord sei das nicht gewesen, denn schließlich hätten die Armenier
       angefangen.
       
       Die von den Vereinten Nationen aufgestellte Definition von Völkermord
       befasst sich nicht mit der Frage, wer angefangen hat. Darauf verweise ich
       den angehenden Juristen. Aggressiv fragt der junge Mann daraufhin den
       schweigenden Kevork, woher er denn wissen wolle, dass es ein Völkermord
       war. Aus Dokumentarfilmen im Fernsehen, antwortet der gequält. Kevork ist
       auf einmal zum Kronzeugen für die Genozidthese geworden, jetzt muss er den
       Genozid nachweisen, auf der Stelle. Iskuhi, Kevorks Frau, bringt das Thema
       auf Kevorks exzessiven Fernsehkonsum. Daraufhin stürzt sich die Runde
       erleichtert auf das Thema Fernsehsucht.
       
       Am Tag darauf steht Kevork im Garten auf einer Leiter und schneidet mit
       einem scharfen Teppichmesser die toten Palmblätter ab. Am Fuß der Leiter
       stehen Ayda, die Pensionswirtin, und ihre Tochter Rüya und witzeln: Das
       Ehepaar könne sich ja jetzt mithilfe des Teppichmessers an ihnen für den
       Genozid rächen. Die beiden Armenier lächeln höflich. "Die Leute im Dorf
       fragen mich, wieso um Himmels willen ich ausgerechnet Armenier eingestellt
       habe", vertraut die Wirtin mir an. Ob das nicht gefährlich sei? Sie aber
       mache sich keine Sorgen und schließe auch nachts ihr Zimmer nicht ab.
       
       Dann hat Kevork Geburtstag. 43 wird er. Den ganzen Tag steht Iskuhi in der
       Küche und bereitet ein Festmahl vor. Abends wird eine große Tafel gedeckt,
       an die setzen sich die Wirtsfamilie, der Fahrer Attila und das armenische
       Ehepaar. Kevork bekommt vom Sohn der Wirtin ein großes Glas Wodka
       eingeschenkt, die Chefin hält eine Rede auf ihn und kündigt an, das Paar in
       Eriwan besuchen zu wollen. Kevork hat Tränen in den Augen und sagt gerührt:
       "Was habe ich für ein Glück."
       
       Die Betten werden abgezogen, die letzten Liegestühle weggepackt, das Haus
       winterfest gemacht; die beiden Armenier warten sehnlichst darauf, entlassen
       zu werden und nach Hause fahren zu können. Ayda pflückt voller
       Abschiedsschmerz Samen aus den Palmen. Die will Iskuhi in Eriwan in einem
       Blumenkasten auf dem Fensterbrett ausbringen und, wenn sie aufgegangen
       sind, einen Handel mit Babypalmen aufmachen. Dann braucht sie vielleicht
       nicht mehr im Ausland zu arbeiten.
       
       Die beiden erwartet eine beschwerliche Heimkehr, denn die
       armenisch-türkische Grenze ist geschlossen; zu fliegen getrauen sie sich
       nicht: An Flughäfen sind die Passkontrollen zu scharf, und schließlich ist
       ihr Touristenvisum schon ewig abgelaufen. Sie werden den Nachtbus nach
       Istanbul nehmen. Von dort werden sie nach Georgien weiterfahren und von
       dort nach Armenien. In der Pension wird über diese lange Reise diskutiert.
       Auch ein paar türkische Gäste hören zu. "So ein Unsinn, dass die Armenier
       die Grenze geschlossen halten", sagt einer von ihnen. "An uns liegt es
       jedenfalls nicht. Sie bräuchten bloß auf diese dumme Forderung, dass wir
       den Völkermord anerkennen, zu verzichten, und schon könnten Armenier
       problemlos hierher und wir Türken ohne weiteres dorthin." Die beiden
       Armenier schweigen.
       
       14 Oct 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antje Bauer
       
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