# taz.de -- Bade- und Kultururlaub in Vietnam: Einst Welthafen, heute Welterbe
       
       > Jahrzehntelang hielt Hoi An einen Dornröschenschlaf. Seitdem die
       > vietnamesische Kleinstadt vom Tourismus wach geküsst wurde, erlebt sie
       > einen beispiellosen Boom.
       
 (IMG) Bild: Eine der vielen belebten Ladenstraßen in Hoi An
       
       Trinh Diem Vy ist im Stress. Verschwitzt steht sie am Gasherd und brutzelt
       Frühlingsröllchen im Wok. Lautstark ruft sie Anweisungen an ihre Köche im
       hinteren Teil der Restaurantküche. Alles muss ganz schnell gehen,
       schließlich ist eine zwanzigköpfige Reisegruppe zu bedienen. Schon kommt
       die neue Order hinein: Banh it la gai, süße Klebereisbällchen mit Gemüse
       und Bohnen, möchte ein deutsches Pärchen haben. Dies ist eine der
       Spezialitäten von Hoi An. Dazwischen klingelt Vys Handy: ein Problemfall in
       ihrem anderen Restaurant. Fünfzehn französische Touristen stehen dort vor
       der Tür. Einer ihrer über 100 Angestellten hatte vergessen, deren
       Reservierung aufzunehmen. Sie schwingt sich auf die Honda Dream und bahnt
       sich ihren Weg durch die engen Gassen.
       
       Nur mühsam gelingt es ihr, die aufgebrachten Europäer mit einem Lächeln zu
       besänftigen. Aber irgendwie schafft sie es doch noch, einen Tisch
       herzurichten. Improvisieren hat die 38-Jährige schließlich gelernt - in all
       den Jahren des kommunistischen Schlendrians, als täglich der Strom ausfiel,
       gute Nahrungsmittel Mangelware waren und ihre Familie sowieso kein Geld
       hatte. Damals, im Jahr 1991, als sie ihr erstes bescheidenes Restaurant
       eröffnete und mühsam von ihren Verwanden das Geld zusammenkratzte, nur um
       ein paar Plastikstühle und Tische zu kaufen. „Wie stolz war ich, als ich
       all meine Schulden beglichen hatte“, erinnert sich die Mutter einer heute
       16-jährigen Tochter und schwingt sich wieder auf ihr Moped.
       
       Touristen ließen sich noch Anfang der 1990er-Jahre selten in Hoi An
       blicken, das 30 Kilometer südlich von Da Nang und nur wenige Kilometer vom
       Meer entfernt liegt. „Was wollen Sie denn in diesem verschlafenen Nest?“,
       wurden Reisende von Taxifahrern auf ihrer Fahrt von der
       zentralvietnamesischen Metropole in die Kleinstadt am Thu-Bon-Fluss oft
       gefragt. Übernachtungsmöglichkeiten gab es so gut wie keine im einstigen
       Welthafen, wo chinesische Einwanderer mit Händlern aus Japan Geschäfte
       machten und bereits im frühen 17. Jahrhundert europäische Seemächte
       Niederlassungen gründeten - die britische East-India Company ebenso wie die
       holländische Vereenigde Oostindische Compagnie. An Faifo, wie die
       Hafenstadt auf alten Seekarten heißt, kam kaum eine Dschunke auf ihrem Weg
       durch das Südchinesische Meer vorbei. Doch als die Schiffe immer größer
       wurden und der Fluss immer mehr verlandete, waren die Tage des Hafens
       gezählt.
       
       Hoi An fiel in einen Dornröschenschlaf. Und dieser Tatsache ist es zu
       verdanken, dass die Stadt heute zu den schönsten Orten Vietnams zählt.
       Keine Zerstörungen durch den Vietnamkrieg und auch nur wenige Bausünden
       stören das Bild des kompakten Stadtensembles, das sich harmonisch an den
       Thu-Bon-Fluss schmiegt. Entlang der engen Gassen reihen sich
       handtuchschmale Häuser mit bis zu 60 Metern Tiefe nebeneinander wie
       Eisenspäne auf einem Magneten. Manche von ihnen sind fast 300 Jahre alt.
       Dazwischen liegen ein paar Dutzend Tempelanlagen, hoi quan genannt, in
       denen die chinesischen Bewohner ihre Schutzgötter verehren. Zu den
       Lieblingsmotiven der Fotografen zählt die überdachte Japanische Brücke mit
       ihren massiven Grundpfeilern.
       
       Spätestens seit die Unesco 1999 das alte Häuserensemble in die
       Welterbeliste aufnahm, begann ein beispielloser Tourismusboom einzusetzen.
       Vietnam zählt mittlerweile fast vier Millionen ausländische Besucher pro
       Jahr. Ein Großteil von ihnen macht auch in Hoi An Station. Denn es locken
       nicht nur die zahlreichen alten Sehenswürdigkeiten, sondern auch der nahe
       Cua-Dai-Strand mit einer Reihe edler Resorts. Die angenehmsten
       Badetemperaturen herrschen dort von April bis Oktober. Dann können Taucher
       und Schnorchler auch bei ruhiger See die Unterwasserwelt rund um die
       vorgelagerte Cham-Insel erkunden. Zudem liegen die berühmten Ruinen der
       antiken Cham-Tempelstadt My Son nur eine Autostunde entfernt. Hoi An bietet
       also die perfekte Mischung von Bade- und Kultururlaub.
       
       Die etwa 50.000 Stadtbewohner haben die Zeichen der Zeit erkannt und die
       alte Profession ihrer Vorfahren wiederentdeckt: den Handel. So reiht sich
       ein Kleidergeschäft an das andere, in dem sich Touristen in einem
       zerschlissenen Modeheft Anzüge und Kleider aussuchen können, die dann über
       Nacht geschneidert werden. Galerien präsentieren Bilder von Kitsch bis
       Kunst, und Souvenirläden verkaufen fantasievolle Kreationen ebenso wie
       billigen Krempel. Nicht wenige Einwohner haben ihr Haus in ein Minihotel
       umgewandelt. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht eine neue Unterkunft ihre
       Pforten öffnet. Hoi An ist heute eine Mischung aus Freilichtmuseum und
       Shopping-Eldorado. Während der Hochsaison zwischen November und März drängt
       sich an manchen Tagen ein endloser Touristenstrom durch die Gassen wie ein
       gewaltiger Lindwurm. Hektisch knipsende Japaner, gestenreich feilschende
       Europäer und lässig schlendernde Nordamerikaner ergeben ein
       kosmopolitisches Gemisch. Es ist fast wie in alten Zeiten, als sich die
       Händler aus Ost und West in Hoi An trafen.
       
       Wie überall auf der Welt zeigt der Tourismusboom auch hier seine Licht- und
       Schattenseiten. Trieu Quoc Hung zählt eindeutig zu den Profiteuren. Der
       47-Jährige gehört zur siebten Generation einer chinesischen
       Einwandererfamilie. Während seine Vorfahren durch den Handel mit
       traditioneller Medizin ihr Geld verdienten - sein Bruder führt heute noch
       die kleine Familienapotheke -, ist er erfolgreich ins Hotelgeschäft
       eingestiegen. 1994 verwandelte der ausgebildete Fotograf ein altes
       chinesisches Kaufmannshaus in eine Kombination aus Boutique und Hotel.
       „Mittlerweile führe ich vier Häuser, darunter ein 4-Sterne-Resort direkt am
       Thu-Bon-Fluss. 2008 werde ich mein fünftes Hotel eröffnen“, erklärt er
       voller Stolz.
       
       Solche Erfolgsgeschichten gibt es nicht wenige in Hoi An. Kein Zweifel: Für
       viele seiner Bewohner bedeutet der Tourismus einen Weg aus der Armut. Auch
       die vietnamesische Regierung hat dessen Entwicklungspotenzial erkannt und
       fördert daher im Land mehrere kommunale Tourismusprojekte, eines davon in
       Kim Bong. Das Dorf liegt auf einer Insel mitten im Thu Bon und hat eine
       jahrhundertealte Tradition im Schreinerhandwerk und in der
       Holzschnitzkunst. Nachdem diese Spezialisierung lange Zeit fast
       verschwunden war, wurde sie mit Unterstützung der Unesco wiederbelebt.
       
       Doch das lockende schnelle Geld durch den Tourismus beeinträchtigt auch den
       sozialen Frieden der Stadt. Von geldgierigen Familien bis zu korrupten
       Beamten reichen die Klagen. Zudem führt der Bauboom allmählich zur
       Verdrängung der Alteingesessenen. „Man hat nur das Wachstum vor Augen, die
       Qualität geht dabei verloren“, klagt die Restauranteignerin Trinh Diem Vy.
       „Die traditionellen Werte gelten kaum noch etwas“, findet sie. Doch auch Vy
       setzt auf Wachstum. Mittlerweile führt sie drei erfolgreiche Gaststätten
       und hat gerade die Kochschule „Morning Glory“ eröffnet. Als weiteres
       Projekt ist ein komfortables Resort geplant.
       
       Dann werden wohl die dringlichen Handy-Anrufe noch häufiger und ihre
       Fahrten mit der Honda Dream noch weiter. Vielleicht träumt Vy manchmal von
       jener Zeit, als wieder einmal der Strom ausfiel und sie bei Kerzenschein
       einfach nur dasaß und nichts tun konnte.
       
       24 Nov 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin H. Petrich
       
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