# taz.de -- Mit schwerem Rucksack: Islands Vielfalt in vier Tagen
       
       > Aus lehmig-sandigem Boden steigen Rauch und Dampf auf. Wer Islands Natur
       > auf engstem Raum erleben will, muss auf den Laugavegur wandern.
       
 (IMG) Bild: Strokkur Geysir im Süden Islands kurz vor der Eruption
       
       Island, das sind blumenübersäte Tundra-Landschaften, Schneefelder im
       Hochsommer, riesige Gletscher, Berghänge in allen Farben, Dampf- und
       Rauchsäulen - und über allem Schwefelgeruch. Wer die Natur der Insel im
       Nordatlantik in kürzester Zeit auf engstem Raum erleben will, dem sei der
       Laugavegur empfohlen. Nein, nicht die Haupteinkaufsstraße von Reykjavík,
       sondern der gleichnamige, aber viel einsamere Fernwanderweg im Süden des
       Landes. 54 Kilometer, verteilt auf vier Tage, führen durch die gesamte
       Vielfalt Islands. Neben dem Inka-Pfad in Südamerika und dem Milford-Trek in
       Neuseeland gehört die Wanderung von Thorsmörk nach Landmannavegur zu den
       schönsten der Welt.
       
       Der Rucksack ist schnell gepackt und doch schwer: ein Schlafsack,
       Regenklamotten, Warmes für alle Fälle und Essen für vier Tage, denn
       unterwegs gibt es nichts. Dann geht es mit dem Linienbus von Reykjavík nach
       Thorsmörk. Schon bald verlassen wir die gut ausgebaute Ringstraße entlang
       der Küste. Vor uns liegen die Highlands. Asphalt ist hier ein Fremdwort.
       Schlaglöcher schütteln uns durch. Bald tauchen die ersten Gletscherzungen
       auf. Der Allradbus fährt immer wieder durch reißende Gebirgsbäche. Einer
       ist so groß und so breit, dass es selbst unserem erfahrenen Isländer am
       Steuer mulmig wird.
       
       „Aussteigen, ich versuche es erst mal ohne Passagiere“, erklärt er. Er
       zwingt den ächzenden und schwankenden Bus in die Fluten. Die Wellen türmen
       sich an der Seitenwand auf und versetzen das schwere Fahrzeug um ein paar
       Meter. Doch der Fahrer schafft es und kommt wie versprochen zurück. „Alle
       an Bord“, und das Ganze wird wiederholt.
       
       Um 12.30 Uhr sind wir in Thorsmörk. Es nieselt. Wie könnte es auch anders
       sein? Vor uns liegen knapp sechs Stunden Weg in Regenjacke und Regenhose.
       Die Strecke ist gut ausgeschildert und bequem zu gehen. Mit einer Ausnahme:
       Ein Seitenarm des Flusses, den wir schon vom Busfenster aus kennen, liegt
       vor uns. Schuhe und Hosen aus! Latschen an! Es geht durch die Fluten, die
       bis an die Oberschenkel reichen. Das Wasser hat Kraft. Vorsicht ist
       geboten, um nicht baden zu gehen. Wenn das schon so losgeht, was erwartet
       uns dann noch alles? Einmal drüben, erkundigen wir uns bei
       entgegenkommenden Wanderern. Es ist wohl die schwierigste Furt, meinen sie.
       Für heute gibt es keine Bäche mehr zu durchwaten. Alle weiteren auf der
       Tagesetappe sind so wild, dass selbst die Isländer Fußgängerbrücken gebaut
       haben. Durch Tundra geht es sanft hinauf zur Emstrur-Hütte, am Rande einer
       bizarren Hügellandschaft in Ocker und Schwarz.
       
       Wir fragen die Hüttenwartin nach dem Wetter für den nächsten Tag. „Gut, so
       wie heute auch“, erklärt sie uns. „Das bisschen Regen es war doch ein
       toller Tag“, animiert sie uns zum „Umdenken“. Island sei halt anders als
       der Kontinent. Doch zum Glück gibt es auch hier im Norden nicht nur „gut“,
       sondern auch „besser“. Wir wachen bei Sonnenschein und strahlend blauen
       Himmel auf. Langsam geht es auf einen Bergrücken hinauf. Wir durchqueren
       eine wellige Landschaft, und plötzlich liegt vor uns eine riesige schwarze
       Fläche aus Vulkansand und Asche. Weiter hinten schieben sich
       Gletscherzungen den Hang hinab. Der Kontrast ist überwältigend. Vegetation
       ist fortan ein Fremdwort. Ein paar Flechten, etwas Gras entlang eines
       Flusses, das ist alles, bis wir auf die andere Seite der schwarzen Ebene
       gelangen. Es ist heiß, wir geraten ins Schwitzen - ein seltenes Gefühl in
       Island.
       
       Nach zwei Flussüberquerungen und einen kurzen Aufstieg erleben wir abermals
       eine Überraschung. Vor uns liegt die Hütte am Ufer des Alftavatn, eines
       tiefblauen Sees, in dem sich die gletscherbedeckten Berge spiegeln. Der
       Blick nach Norden macht neugierig auf den nächsten Tag. Aus ockergelben
       Bergrücken steigen Rauchsäulen auf. Für den nächsten Tag meldet der
       Wetterbericht weder „gut“ noch „besser“, sondern „noch besser“. Wir
       staunen, doch er behält recht. Auch das letzte Wölkchen ist verschwunden.
       Es wird die schönste und härteste Etappe unseres Marsches.
       
       Was für zwei Tage vorgesehen ist, wollen - oder besser gesagt: müssen - wir
       in einem Tag schaffen. Denn die Hrafntinnusker-Hütte auf halbem Weg ist
       ausgebucht, und ein Zelt wollten wir nicht mitschleppen. So liegen vor uns
       24 Kilometer am Stück.
       
       „Feuer und Eis“ könnte der Titel dieses langen Tages sein. Über Steilhänge
       geht es hinauf in von kleinen Klammen und Schluchten durchzogenes Hochland
       auf knapp 1.000 Meter. Aus dem lehmig-sandigen Boden steigen Rauch und
       Dampf auf und sprudelt kochend heißes Wasser. Manche Löcher im Boden geben
       ein tiefes Brummen und Gurgeln von sich, als ginge es direkt hinab in die
       Hölle. Selbst auf dem Gletscher und auf Schneefeldern dampft es.
       
       Wir erreichen die Hrafntinnusker-Hütte. Vom dahinterliegenden Pass, der
       schnell überwunden ist, bietet sich uns eine überwältigende Aussicht.
       Islands aktivster Vulkan Hekla ist zu sehen, und in der entgegengesetzten
       Richtung liegt der größte Gletscher, der Vatnajökull, dessen Eismasse
       mächtiger ist als alle anderen europäischen Gletscher zusammengenommen.
       
       Die Gegend, durch die wir hinabgehen, ist ebenfalls von vulkanischer
       Aktivität geprägt. Allerorten zischt und dampft es. Die Beine werden immer
       schwerer durch das Hoch und Runter in der Schluchtenlandschaft. Es ist fast
       windstill, die Sonne scheint, das Wetter ist stabil. Dennoch beeilen wir
       uns. Denn einen Wetterwechsel wollen wir hier nicht erleben. In den letzten
       drei Jahren starben zwei junge Wanderer. Sie überwältigte ein Schneesturm
       mitten im Sommer.
       
       Schwarze Lavafelder unterbrechen die Ocker-Landschaft. Der Boden ist so
       heiß, dass es selbst aus den Löchern, die die Wanderstöcke hinterlassen,
       dampft. Endlich wird es flacher. Die letzten Meter führen uns vorbei an
       Löchern und Rissen, die durch Erdbeben entstanden sind.
       
       Endlich erreichen wir Landmannalaugur und damit die letzte Hütte. Der Bus
       zurück nach Reykjavík geht erst am nächsten Nachmittag. Willkommene
       Freizeit, die wir nutzen, um uns im warmen Wasser eines Naturbeckens zu
       erholen. Island, wie es im Reiseführer steht!
       
       7 Oct 2006
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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