# taz.de -- Ayurveda in Sri Lanka: Einölen, schwitzen, ausleiten
       
       > In Sri Lanka ist die jahrhundertealte Naturmedizin Teil derKultur der
       > Insel. Heute liegt Ayurveda wieder im Trend: bei Einheimischen und
       > Touristen gleichermaßen.
       
 (IMG) Bild: Kolonialvilla Greystones im Hochland Sri Lankas
       
       Jürgen hat es heute Morgen erwischt. Mürrisch und ins sich gekehrt nippt er
       am heißen Wasser, das wir seit unserer Ankunft literweise trinken. Der
       dritte Tag nur Suppe. Schon am Morgen. Geschmacklose Reissuppe und das bei
       Jürgens stattlicher Statur. Da hat er selbst das Rauchen, das er hier
       aufgeben will, vergessen. Seine Krise ist existenziell. Der bittere
       Entgiftungstrunk, der bereits morgens um 6 Uhr eingenommen werden muss, hat
       auch mir den Appetit verschlagen. Der dienstälteste Arzt, Doktor Fernando,
       hat ihm nach der Pulsanalyse bei unserer Ankunft in Sri Lanka das
       verschrieben.
       
       Eine ayurvedische Panchakarma-Kur zur Reinigung und Regeneration ist kein
       reiner Wohlfühlurlaub. Zumindest nicht in Greystone, auch wenn alles in der
       stilvollen Kolonialvilla im Bergland Sri Lankas auf Entspannung angelegt
       ist: die täglichen Massagen, der ausgedehnte Garten, die tropische
       Landschaft mit moderatem Klima, die absolute Ruhe, nur unterbrochen von mit
       Schießübungen beschäftigten Militärs, die hier ein Ausbildungszentrum
       haben, oder dem Gebell der Hunde, wenn eine Affenbande durch den Garten
       turnt. Diyatalawa ist reizarm. Ein gesegneter Ort. Nicht nur aus dem
       buddhistischen Tempel dringen morgens und abends die Rezitationen, auch der
       Muezzin ruft fünfmal am Tag zum Lob Allahs, und im Hindu-Tempel wird mit
       Kampfer, Öl und Blumen um den Segen der Götter gebetet. Nur die christliche
       Kirche im nahe liegenden Beruwela scheint keine Glocke zu haben. Im
       Gegensatz zu den ethnischen Konflikten zwischen Tamilen und Singhalesen
       sind religiöse Unterschiede in Sri Lanka zumindest kein offensichtliches
       Problem.
       
       In der Greystone Villa gibt es nach drei Tagen zum letzten Mal auch zum
       Mittagessen Suppe. Grüne Suppe. Die ist gesund. Ich träume von Würstchen,
       Gorgonzola und löffle lustlos weiter, fest entschlossen, konsequent zu
       kuren. Deshalb ist unsere Gruppe von neun Deutschen schließlich hier. Zur
       Vorbeugung oder zur Behandlung von Asthma, Arthritis, zu hohem Blutdruck
       und Blutzucker oder um das Rauchen aufzuhören, gesünder zu leben. Andrea,
       Beatrice und Ilse waren schon ein-, zwei- und sogar dreimal hier. Die
       ayurvedische Entschlackung scheint süchtig zu machen. Irgendwann. „Du wirst
       die Wirkung schon noch spüren, Wochen später“, verspricht die
       Ayurveda-erfahrene Ilse.
       
       Diyatalawa ist ein Nest, verschlafen, aber geschäftig: hupende Autos, die
       schwarze Schwaden hinter sich lassen, ein Laden neben dem anderen, wo sich
       zwischen Damenbinden und Schulheften irgendwo auch ein Teesieb oder ein
       Kamm findet, eine Liquor Bar für die hier stationierten Militärs und eine
       gut organisierte Post mit Internet. Die Kokosnuss am Stand gegenüber wird
       nach Genuss auf die Straße geworfen. Dort liegt schon viel. Die
       Umweltverschmutzung auf der wunderschönen tropischen Insel mit Müll und
       Abgasen tut weh. Die Kühe knabbern wegen der Trockenheit an Papier, das
       zuvor mit einem riesigen Strohbesen ordentlich zusammengekehrt und dann
       hinter das Haus unter die Palmen geworfen wurde. Der Wind hat es wieder auf
       die Straße geweht.
       
       Ayurveda liegt nicht nur im Westen im Trend, sondern auch auf Sri Lanka.
       „Man traut der einheimischen Medizin wieder mehr zu“, sagt die Ärztin von
       Greystone und Leiterin des örtlichen Ayurveda-Krankenhauses, Dr. Kumari.
       Das „Wissen vom Leben“, die einheimische Naturmedizin, wurde von den
       Engländern, die die Insel von 1818 bis 1948 regierten, misstrauisch beäugt.
       Die westliche Medizin setzte sich mit ihren Apparaten und schnell wirkenden
       Mitteln ohnehin durch. Sie war effektiv und modern. Nach der Unabhängigkeit
       wurde im Zuge der Nationalisierung auch der Ayurveda wieder entdeckt. Heute
       hat fast jede Stadt, jeder Bezirk ein - wenn auch ärmliches -
       Ayurveda-Krankenhaus. Ayurveda steht unter staatlicher Obhut und wird vom
       Ayurveda-Ministerium gefördert. Dort hofft man, ayurvedische Heilmittel zum
       Exportschlager machen zu können. Denn Sri Lanka ist ein tropischer
       Kräutergarten.
       
       Doktor Kumari zeigt mir das Ayurveda-Krankenhaus in Diyatalawa.
       Krankenschwestern mit weißen Häubchen und weißen Socken erinnern leibhaftig
       an die englische Kolonialzeit. In kleinen Kabinen wird verbunden und
       Medizin verschrieben. Acht Frauen liegen in einem kargen Krankensaal
       nebeneinander. Doktor Kumari möchte die Klinik ausbauen, um auch hier Kuren
       wie in Greystone für Einheimische anzubieten. Doch überall fehlt es an
       Geld. In der Klinik werden Rheuma oder Arthritis, Leber- und Galleleiden
       kuriert. Wenn es nicht mehr weitergeht, überweist man an westliche
       Mediziner. „Die betrachten den Ayurveda immer noch mit Skepsis“, sagt Dr.
       Kumari.
       
       Die meisten Medikamente werden im Hospital in der eigenen Apotheke
       zubereitet. Dr. Kumari präsentiert sie stolz: Berge unterschiedlichster
       Kräuter liegen in hohen Regalen, große Kupferkessel stehen auf offenen
       Feuern, mit riesigen Holzstößeln werden Kräuter klein geklopft, in
       bauchigen Tontöpfen lagern Tinkturen. Mineralien, Wurzelpasten, gemahlene
       Blätter, zerstoßene Samen. Das Handwerkszeug ist so alt wie die Methoden
       der Herstellung. Die Anblick mutet mittelalterlich an. „Die Apotheke und
       die Zubereitung der Medizin sind ein wichtiger Bereich der Klinik“, erklärt
       Dr. Kumari. „Auch wenn heute bestimmte Medikamente aus den großen
       staatlichen Ayurveda-Drugstores bezogen werden.“ Auch in Peace Heaven, dem
       Therapiezentrum der Greystone Villa, wird geköchelt und gestampft: Pillen,
       Pasten, Tinkturen, Tabletten, Abkochungen und Elixiere sind Teil der Kur.
       Hier werden die Öle speziell auf den Patienten abgestimmt und mit einer
       individuell verordneten Kräutermischung zubereitet. Hier wird die gallige
       Entgiftungstinktur täglich neu gebraut. Nach drei Tagen Kopfmassage bekomme
       ich am vierten Tag zum ersten Mal den berühmten Stirnguss, Schirodhara, der
       sich auf Hochglanzmagazinen so gut macht. Heißes Öl rinnt 40 Minuten über
       die Stirn. Tiefe Entspannung. Wundervoller Schirodhara! „Solange der Kopf
       behandelt wird, dürfen die Haare nicht gewaschen werden“, weist mich die
       Therapeutin Nelka an und versteckt die fettigen Haare unter einem Tuch. Der
       Kopf juckt. Und meine Öl-Kräuter-Mischung riecht muffig. Sie schmeichelt
       nicht den Sinnen. Noch drei weitere Tage bekomme ich den Stirnguss.
       
       „Der heiße Stirnguss mit Öl, gepaart mit den Kopfmassagen, dient dazu, das
       zentrale Nervensystem zu beruhigen und Störung wie Nervosität oder Migräne
       auszugleichen“, erklärt Danyela, die Hausdame von Greystone, im
       medizinischen Vortrag am Abend. In der Greystone Villa wird mit deutscher
       Gründlichkeit und Ernsthaftigkeit gearbeitet. Hier wird in der
       Vorbehandlung gehungert. In der Hauptbehandlung, die „zur Reinigung von
       Körper, Geist und Gefühlen“ dient, wird mit viel oder wenig Öl gearbeitet.
       Nach sieben Tagen Kopfmassagen und Stirnguss bekomme ich drei Tage lang
       Pizzhichil, eine bis zu vierzig Minuten dauernde, von zwei Masseurinnen
       synchron durchgeführte Ölmassage unter einem warmen Ölstrahl. Die Massage
       strengt an, macht mich müde. Vielleicht liegt es ja an den Suppentagen.
       „Bitte nicht duschen, damit das Öl eindringt“, so die Empfehlung meiner
       Therapeutin Nelka. Beim Essen und Wasserverbrauch sind wir wirklich
       sparsam!
       
       Nach der Behandlung mit viel Öl folgen drei Tage Massagen mit weniger Öl,
       die tief ins Gewebe gehen. Die Massagen sind wohl tuend, doch mit dem etwas
       muffig riechenden Öl auf der Haut fühle ich mich nicht unbedingt wie eine
       Göttin. Schon eher im anschließenden Kräuterbad mit Blüten und Blättern.
       Nelka begießt mich kneippartig mit dem grünlichen Wasser.
       
       In aller Stille soll die Panchakarma-Kur die aus dem Gleichgewicht geraten
       Doschas - Vata, Pitta, Kapha - wieder ins Gleichgewicht bringen. Die
       Doschas sind die Bioenergie, die je nach Konstitutionstypen verschieden
       stark ausgeprägt ist. Mit Kräutern, warmen Ölen und Massagen sollen
       Krankheitsstoffe aus den Geweben gelöst und in den Darm abtransportiert
       werden. Dort werden sie dann oral mit einer Lösung und mit Einläufen
       abgeführt. Einölen, schwitzen ausleiten - das ist die Zauberformel, die zu
       Wohlbefinden und Gesundheit führen soll. Und zwar nach einer bestimmten
       Systematik: Alles Gewebe, von Kopf bis Fuß, wird bearbeitet. Neuralgische
       Punkte werden speziell behandelt. Ich bekomme eine tägliche Gesichtsmassage
       und Kräuterpackungen zur Behandlung meiner chronisch verstopften
       Nebenhöhlen. Mit Erfolg.
       
       Ayurveda, das Wissen vom Leben, kommt aus Indien. Die vedischen Schriften
       sind in Sanskrit geschrieben. Auf Sri Lanka ist es so alt wie der
       Buddhismus. In den buddhistischen Klöstern wird es weitergeben. Viele
       ayurvedischen Ärzte stammen bis heute aus einer Ayurveda-Dynastie, in der
       sich das Wissen auf die Kinder vererbt. Auch Dr. Kumari. Ihr Vater und
       Großvater waren schon Ayurveda-Ärzte. Doch die Ausbildung auf Sri Lanka ist
       längst professionalisiert. Sechs Jahre dauert das Studium des Ayurveda an
       der Universität von Colombo.
       
       Zum Ayurveda-Arzt gehen die Sri Lankesen dann, wenn eine Krankheit
       chronisch oder schwer zu heilen ist. Ansonsten, sagt Ravi, Kräuterexperte,
       Gärtner und Mädchen für alles in Greystone, gehe seine Familie häufig zum
       westlichen Mediziner: „Das geht schneller.“ Doch die traditionelle
       Naturmedizin wird geschätzt: „Der Ayurveda ist mehr als Medizin, er ist
       eine Lebensweise, und dazu gehört gesundes Essen genauso wie Meditation
       oder Yoga“, doziert Dr. Kumari. Auf Sri Lanka ist das Teil der Kultur,
       keine Ideologie.
       
       Die letzten drei Tage nach 14 Tagen Kur in der Greystone Villa dienen der
       körperlichen Reinigung. Nach einem etwas üppigeren Abendmahl nehmen wir
       eine abführende, scheußliche Öllösung. Die Erfolgsmeldungen am nächsten Tag
       sind reichlich: Jürgen war schon fünfmal, ich andauernd und Ilse belegt die
       Toilette bis in den Abend hinein. Jeder von uns hat abgenommen. Zwei bis
       sechs Kilo, ich drei. Auch Jürgen ist längst wieder zufrieden. Am nächsten
       Tag gibt es noch die letzte Einlaufölung, die recht harmlos ist.
       
       Bei der abschließenden Arztkonsultation bekommen wir Verhaltens- und
       Ernährungstipps für drei Monate Nachkur und unseren Konstitutionstyp mit
       auf den Weg: kein Kaffee, keine Schokolade, kein Kohl, kein Obst am Abend,
       lieber Käse von der Ziege als von der Kuh. Nicht joggen. Auch kein Sex.
       
       Warum? Das beantwortet keiner. Es ist eben das alte Wissen vom Leben.
       
       11 Sep 2004
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Edith Kresta
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