# taz.de -- Krise in Kenia: "Unruhen sind ein Protest der Armen"
       
       > In Kenia wird ein politischer Konflikt ausgefochten, der sich ethnisch
       > ausdrückt, sagt Menschenrechtlerin Gladwell Otieno. Auch eine
       > Neuauszählung der Wahl wird nichts bringen, meint sie.
       
 (IMG) Bild: "Wir standen noch nie so dicht vor dem Abgrund", sagt Otieno angesichts der Krise.
       
       taz: Frau Otieno, seit Sonntag toben in Kenia Unruhen, viele sagen, das
       Land steht am Rand des Bürgerkriegs. Wie schlimm ist die Lage wirklich? 
       
       Gladwell Otieno: Die Lage in Kenia ist seit der Unabhängigkeit noch nie so
       kritisch gewesen. Ruhig ist es eigentlich nur in der Zentralprovinz, wo
       Präsident Mwai Kibaki mit fast absoluter Mehrheit gewählt wurde. Aber davon
       abgesehen wird überall gekämpft, in Mombasa, Nairobi und vor allem im
       Westen. Wir standen noch nie so dicht am Abgrund.
       
       Warum ist das so? Schließlich ging es Kenia unter Präsident Kibaki so gut
       wie lange nicht mehr, die Wirtschaft wuchs, es gab mehr demokratische
       Freiheiten 
       
       Kenia ist trotzdem bis heute eines der Länder, wo eine sehr, sehr kleine
       Minderheit sehr viel Reichtum hat und die Mehrheit unter der Armutsgrenze
       lebt. Der Protest gegen die gefälschte Wahl ist ein Protest der Armen gegen
       Kibaki und seine Clique von reichen Männern aus dem Kikuyu-Stamm, die als
       sehr arrogant und verschlossen gelten.
       
       Die Regierung wirft der Opposition sogar Völkermord vor. Sehen wir also
       einen ethnischen Konflikt? 
       
       Die Sache ist ein bisschen komplizierter als nur ein Kampf zwischen zwei
       Stämmen, die sich seit Anbeginn tief hassen würden. Es ist ein politischer
       Konflikt, der sich ethnisch ausdrückt. Die politischen Führer aller
       Parteien nutzen diese Unterschiede aus und manipulieren sie, um jeweils ihr
       Volk hinter sich zu haben. Es ist nicht etwa in unseren Genen verankert,
       dass wir uns hassen müssen, weil wir zu unterschiedlichen, sogenannten
       Ethnien gehören.
       
       Viele Kikuyu, die größte Ethnie, zu der auch Kibaki gehört, fürchten um ihr
       Leben, wenn Raila Odinga und die Luo an die Macht kämen. Ist das aus der
       Luft gegriffen? 
       
       Bei den Kikuyu wurde vor der Wahl eine regelrechte "Railaphobie" vor Odinga
       geschürt, die mit Rationalität nichts mehr zu tun hatte. Und jetzt reden
       sich alle Kikuyu ein, sie seien Opfer eines Genozids. Dabei wurden in
       Kisumu mehr als hundert Luo gezielt von der Polizei erschossen. Und es gibt
       keine Hinweise darauf, dass selbst der Brandanschlag auf die Kirche in
       Eldoret, wo viele Kikuyu unter den 30 Opfern waren, von irgendwoher zentral
       gesteuert sei.
       
       Eldoret ist das Zentrum der Kalenjin, der Volksgruppe, zu der auch
       Expräsident Daniel Arap Moi gehört - nicht das der Volksgruppe der Luo.
       Wieso gab es gerade dort dieses Massaker? 
       
       Die Oppositionsführer sind aber nicht nur Luo. William Ruto, der Mitglied
       der Führungsriege ist, hat für Odingas Partei eigentlich das wichtigste
       Ergebnis gebracht und die Kalenjin gegen den Widerstand von Moi für die
       Opposition erobert. Das war für die Kalenjin wirklich eine kleine
       Revolution. Moi war sicher, er hätte seine Volksgruppe fest im Griff. Dass
       seine drei Söhne und sein Ziehkind Nicholas Biwott so deutlich abgewählt
       wurden, hätte er vorher nie für möglich gehalten.
       
       Warum übt trotz der Ausschreitungen im ganzen Land außer den
       Oppositionsführern niemand ernsthaft Kritik an Kibaki, sondern eher an
       seinen Unterstützern? 
       
       Wir Kenianer sind ein bisschen wie die russischen Bauern, die immer
       dachten, der Zar weiß nicht, was seine Statthalter in der Region treiben.
       Ich bin mir aber sicher, dass Kibaki Bescheid weiß und er mit drin hängt -
       anders wäre eine Fälschung solchen Ausmaßes gar nicht möglich.
       
       Die Wahlfälschung konnte man ja praktisch im Fernsehen live verfolgen. Wenn
       die Regierung schon die Wahl fälscht, warum nicht richtig? 
       
       Die Technik hat sich auch hier im Land so verändert, dass jeder über
       Live-Fernsehen, SMS und Radio verfolgen konnte, wie in einem Wahlkreis das
       eine und später im Wahlzentrum ein ganz anderes Ergebnis verkündet wurde.
       Das war unter Moi noch leichter. Und als es Proteste gab, haben sie auch in
       den alten Bahnen gedacht: dann setzen wir die Polizei ein und der
       Widerstand wird schon brechen. Aber das wird diesmal wohl nicht klappen.
       
       Kann es denn überhaupt eine Lösung geben? Eine Kompromisslinie, wenn beide
       Männer Präsident werden wollen, gibt es doch kaum. 
       
       Am Ende sind alle Politiker: kaum einer will wirklich die jetzt geforderten
       Neuwahlen, die würden zu viel kosten. Man wird sich also irgendwo in der
       Mitte einigen. Eine Neuauszählung klingt verlockend, aber in den
       vergangenen Tagen hat die von der Regierung kontrollierte Wahlkommission
       einen Kreiswahlleiter nach dem anderen einbestellt und Dokumente fälschen
       lassen, die bei der Prüfung wichtig sind. Also steht zu befürchten, dass
       sie nach der Wahl auch die Wahlprüfung fälschen wollen. Da helfen dann nur
       noch die Dokumente der Wahlbeobachter, die sind der einzige Vergleich, den
       wir noch haben.
       
       INTERVIEW: MARC ENGELHARDT
       
       4 Jan 2008
       
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