# taz.de -- Debatte Jugendkriminalität: Solche Männer wollen wir?
       
       > Mit Lust stürzen sich gerade konservative Männer auf das Problem
       > "gewalttätige männliche Jugendliche". Und verschweigen dabei wortreich
       > dessen eigentliche Ursache.
       
       In der aktuellen Aufladung des Wahlkampfthemas über die Gewaltbereitschaft
       bei männlichen Jugendlichen fällt die Lust auf, mit der dieses Thema
       besonders von konservativen Männern diskutiert wird. Diese Lust verweist
       auf einen wesentlichen Erkenntniskontext der Geschlechterforschung, den
       Verdeckungszusammenhang.
       
       In der aktuellen Debatte wird der entscheidende Konflikt ausgeblendet - der
       Konflikt der jungen Männer mit den von ihnen erwarteten
       Männlichkeitsdarstellungen. Männlichkeit ist eine tradierte,
       gesellschaftliche Festlegung von Werten, Verhaltensweisen und Zielen. Sie
       entfaltet sich durch vielschichtige Dynamiken, die über Institutionen wie
       Kindergarten, Schule oder Betrieb wirksam werden und im Prozess der
       Selbstsozialisation angeeignet werden. Dabei treten zahlreiche Widersprüche
       auf. Jeder Mann muss sich mit diesen Widersprüchen auseinandersetzen und
       ist unwiederbringlich mit den gesellschaftlichen Festlegungen verstrickt -
       es sei denn, er widersetzt sich denselben.
       
       Nun wird im Wahlkampf die Angst vor den männlichen, unterprivilegierten
       Jugendlichen betont. Wie im Kopftuchstreit auch, wird die Furcht vor diesen
       Jugendlichen als wirksames Wahlkampfthema geschürt und damit die Abgrenzung
       vom männlichen Machismo oder gewalttätigen Vater in türkischen Familien als
       vermeintliche Lösung gehandelt. Reduziert auf den Strafvollzug wird
       Ratlosigkeit mit rechtspopulistischen Durchgreifparolen kaschiert.
       
       Was sich in der aktuellen Diskussion zeigt, ist die Abgrenzung gegenüber
       einer Suche nach angemessenen Lösungen für die Problemlagen der männlichen
       Betroffenen. Die Diskussion über das unzureichende Jugendstrafrecht lenkt
       von dem Problem ab, dass Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen
       Übereinkunft männlicher Darstellungsweisen und den Problemlagen der
       betroffenen Männer und ihrer Opfer bestehen.
       
       Die zentralen Widersprüche in der Männlichkeitskonstruktion sind geprägt
       davon, dass es verschiedene männliche Dominanzhaltungen gibt, die als
       solche anerkannt sind. Da gibt es die legitimierte machtvolle Haltung des
       Global Players, aber auch den soldatisch geschulten Krieger, der sich im
       Kampf bewährt. Verdeckungszusammenhänge kaschieren, wo und wie Letzterer
       eingefordert oder überflüssig geworden ist.
       
       Der Wert des Mannes hängt von seinem erworbenen Status ab, das heißt, der
       Mann erwirbt seine Definition arbeitend und sich durchsetzend. In der
       Männlichkeitskonstruktion wird die Selbststählung erworben.
       Intimitätsbezogene Erfahrungen, assoziiert mit Gefühl, Intuition, Schwäche,
       Fürsorge und Nachgiebigkeit, werden als vermeintlich weiblich abgewehrt.
       Die Unvereinbarkeit der Widersprüche manifestieren sich in den Problemen,
       die Männer machen und haben. Männer müssten eigentlich darauf aufmerksam
       machen, dass die gesellschaftlichen Anforderungen sie latent krank und
       verrückt machen.
       
       Das Dilemma beginnt darin, dass Männlichkeitserziehung eine
       (Selbst)erziehung zur Durchsetzung- und Dominanzhaltung verlangt, in der
       der (vermeintliche?) Genuss männlicher Privilegien öffentlich inszeniert
       wird. Der Preis für diese Privilegien, den viele Männer zahlen, ist bedingt
       durch die verleugneten Widersprüche, die sich aus vielfältigen
       Diffamierungs- und Delegationsprinzipien im männlichen Leben ergeben.
       
       In der Schule, und auch schon im Kindergarten, werden Kinder und
       Jugendliche einem Verfahren von Auslese und Ausgrenzung unterworfen. Nun
       wird neuerdings in der frühkindlichen Erziehung die große Chance zur
       Prävention gesehen. Und in diesem Kontext lässt sich angeblich auch
       Männlichkeit neu definieren. Wie die Veränderung männlicher
       Darstellungsweisen gemeint ist, welche Dominanzhaltungen als erwünscht und
       welche als überflüssig betrachtet werden sollen, wird jedoch oft der
       einzelnen pädagogischen Fachkraft überlassen.
       
       Wenn der Kriminologe Christian Pfeiffer nun immer wieder auf den Konsum von
       Killerspielen bei Hauptschülern verweist und vorträgt, dass diese im
       Schnitt fünfeinhalb Stunden pro Tag mit solchen Spielen die Abstumpfung
       gegenüber dem Leiden der Opfer trainieren, ist dies wichtig - greift jedoch
       zu kurz.
       
       Nicht der Medienkonsum ist das Problem. Es besteht viel mehr darin, dass
       nur einigen männlichen Jugendlichen Erfolg bescheinigt ist in der Aneignung
       einer machtvoll dominanten Haltung - nämlich denen, die
       Männlichkeitskonstruktionen im Rahmen der gesellschaftlichen Vorstellungen
       von männlicher Karriere und Erfolg einfließen lassen können.
       
       Tätigkeitsfelder (etwa angelernte Tätigkeiten und Handlangerdienste) sind
       verloren gegangen, nicht aber die identitätsstiftenden Kontexte soldatisch
       kämpferischer Zusammenhänge. Jugendliche, denen Sinnzusammenhänge abhanden
       kommen, greifen auf alte, vermeintlich sinnstiftende Bilder zurück und
       finden diese bestätigt in einschlägigen Medienangeboten. Die meisten
       Gymnasiasten verweigern den Wehrdienst. Deren Männlichkeitskonstruktion ist
       folglich nur bedingt korreliert mit der Vorbereitung auf soldatische
       Tugenden des Tötens, die bekanntlich die Fähigkeit voraussetzen, die Leiden
       des Feindes nicht in Rechnung zu stellen. Brennende Vorstädte und andere
       Reaktionsweisen der männlich Ausgegrenzten spiegeln den Zorn der
       betroffenen Personen - die Betroffenen fühlen sich outgesourct. Militärisch
       sind sie so überflüssig geworden wie ökonomisch. Nur in den Medien scheint
       der Held des Kampfes zu überleben und verbindet die Lust an der
       Gewaltausübung mit der Sinnsuche und Verunsicherung männlicher
       Jugendlicher.
       
       Folglich kann die Antwort nicht in Trainingscamps liegen. Hier wird die
       Unterwerfung im Sinne althergebrachter Männlichkeitserwartungen durch Drill
       und Unterwerfung geübt. Die Betroffenen aber scheitern an der Komplexität
       und den Widersprüchen ihrer Lebenswelten, in denen angesichts hochgradiger
       Frustrationspotenziale dennoch Eigenmotivation und Lernlust gefordert sind.
       
       Begleitung im Umgang mit Veränderungen in der Arbeitsmarktsituation und
       eine angemessene Flankierung von männlichen Kindern und Jugendlichen setzt
       die Kenntnis fachlich relevanten Genderwissens voraus. Prävention und
       Intervention zu trennen ist nachweislich unsinnig; vielmehr sind Konzepte
       gefordert, die männlichen Jugendlichen angemessene Anerkennungserfahrungen
       zur Seite stellen. Insofern sind nicht nur Bildungsmaßnahmen unerlässlich,
       sondern darüber hinaus ist eine Qualifikation von männlichen und weiblichen
       Fachkräften erforderlich für Kindergarten, schulische und außerschulische
       wie berufsbegleitende Bildungskontexte. Es gilt althergebrachte
       Vorstellungen über männliche Karrieren zu hinterfragen und Jugendliche so
       zu begleiten, dass sie nicht auf sich und ihre Überforderung im Umgang mit
       den Widersprüchen in der Männlichkeitskonstruktion zurückverwiesen werden.
       
       13 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Corinna Voigt-Kehlenbeck
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA