# taz.de -- Ermordeter Jounalist Hrant Dink: Schuld ohne Sühne
       
       > Vor einem Jahr wurde in Istanbul der Journalist Hrant Dink ermordet, weil
       > er sich für einen kritischen Umgang mit der armenisch-türkischen
       > Geschichte einsetzte.
       
 (IMG) Bild: "Für Hrant, für Gerechtigkeit": Ein Gedenkmarsch in Istanbul für den ermordeten Journalisten Dink.
       
       "Ja, wir Armenier wollen dieses Land, weil unsere Wurzeln hier sind. Aber
       habt keine Angst. Wir wollen euch das Land nicht wegnehmen. Wir wollen nur
       darunter begraben werden." 
       
       Hrant Dink in "Habt keine Angst"
       
       Saruhi Gureghian (Name von der Redaktion geändert) war in Berlin, als es
       passierte. Es war eine Verwandte aus Paris, welche ihr die traurige
       Nachricht überbrachte. Den Moment werde sie nie vergessen, erzählt sie.
       Denn sie verlor an diesem Tag nicht nur einen Menschen, den sie bewunderte,
       sondern auch ein Familienmitglied. Der Journalist Hrant Dink war ein Cousin
       ihrer Mutter, Gureghian hatte als Kind im selben Haus gewohnt wie er und
       mit ihm gespielt. "Er war herzensgut", sagt sie.
       
       Nach der ersten Trauer wurde sie wütend. "Man hätte es vielleicht nicht
       verhindern können, aber man hätte ihn besser schützen können", kritisiert
       Gureghian, die Mitglied der armenischen Gemeinde zu Berlin ist. Etwa 40.000
       Armenier leben in Deutschland. Die Diaspora ist ein kleiner Kosmos, nur
       wenige nehmen ihn wahr. Das Schicksal der armenischen Gemeinde rückte erst
       wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, als Hrant Dink ermordet
       wurde.
       
       Heute vor genau einem Jahr wurde Hrant Dink beerdigt. Er wurde am 19.
       Januar von einem jungen türkischen Nationalisten erschossen. Der Mann war
       der prominenteste Vertreter der Armenier in der Türkei. Als Chefredakteur
       der kleinen Zeitung Agos setzte er sich für die Rechte der Minderheit ein
       und dafür, dass die türkische Gesellschaft sich mit dem Massaker an den
       Armeniern während des Ersten Weltkriegs auseinandersetzt. Durch sein
       Engagement und die ständige Erinnerung an dieses ungeliebte Thema wurde er
       zu einer Hassfigur für türkische Faschisten. "Keine Angst, mir passiert
       nichts", hat Hrant Dink immer wieder gesagt, wenn Freunde und Verwandte
       sich um ihn sorgten. Es sollte seine Nächsten wohl beruhigen, aber es klang
       eher unheilvoll.
       
       "Ja, ich mag mich unruhig fühlen wie eine Taube, aber ich weiß, dass in
       diesem Land kein Mensch einer Taube etwas zuleide tut." Hrant Dink in
       seinem letzten Artikel, erschienen in Agos 
       
       Nach seiner Ermordung kamen ihm zu Ehren 50.000 Menschen in Istanbul
       zusammen - protestierend gegen Hrant Dinks Ermordung. Nie zuvor hatte man
       in der Türkei so sehr öffentlich eines Armeniers wegen getrauert. "Aber
       warum gingen die Menschen erst nach seinem Tod auf die Straße?", fragt
       Saruhi Gureghian. "Warum haben sie sich nicht schon vorher mit ihm
       solidarisiert?" Und fügt hinzu: "Warum wird auch hier in Deutschland kaum
       über die armenische Geschichte gesprochen, für die sich Hrant so
       einsetzte?"
       
       Weil es ein hochsensibles Thema ist. Auch in Deutschland, besonders jedoch
       in der Türkei. Schätzungsweise anderthalb Millionen Armenier wurden von
       1915 bis 1923 im Osmanischen Reich umgebracht. Laut offizieller
       Geschichtsschreibung hatte die damalige Regierung die Armenier von der
       türkisch-russischen Front in sicherere Gebiete umsiedeln wollen. Die Toten
       seien lediglich eine Folge der Siedlungspolitik gewesen, von einem Genozid
       könne keine Rede sein. Die Armenier und der überwiegende Teil der
       Geschichtsforschung sehen das anders. In der Türkei wird kaum etwas mehr
       bekämpft als das Wort "Völkermord". Und der damalige Verbündete Deutschland
       schweigt sich über dieses Thema aus.
       
       Dabei ist kaum ein Land in das Schicksal der Armenier so verstrickt gewesen
       wie Deutschland. Deutsche Offiziere hatten den Oberbefehl über die Armee
       des türkischen Kriegsverbündeten; Generäle machten bei der Planung und
       Durchführung der Deportationen mit. Trotzdem wurde dieses Thema Jahrzehnte
       diplomatisch totgeschwiegen, und auch heute wird es gemieden. Vor allem das
       Wort "Genozid" ist immer noch eine Tretmine, die es zu umgehen gilt.
       
       Erst 2004 hatte Brandenburg, als erstes Bundesland, die Behandlung des
       Völkermordes an den Armeniern in den Lehrplan der Schulen aufgenommen. Es
       war der Klammersatz zum Thema "Entgrenzung von Kriegen;
       Ausrottung/Völkermord (z. B. Genozid an der armenischen Bevölkerung
       Kleinasiens)", der zu Protesten des türkischen Generalkonsuls führte. In
       einem Akt der Selbstzensur wurde das Sätzchen gestrichen. Als sich
       schließlich die armenische Botschafterin über diesen Diener vor der Türkei
       beschwerte, lenkte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ein. Und er
       hielt Wort: Der umstrittene Passus konnte und sollte in den Schulbüchern
       verbleiben. Seitdem lernen die Schüler wieder, wie der Konflikt zwischen
       Türken und Armeniern eskalierte.
       
       Auch vor dem Kulturbetrieb, der so gerne mit seiner Kunstfreiheit winkt,
       macht die Selbstzensur nicht Halt. Im Sommer 2004 wurde nach türkischem
       Einspruch das Drama "Beast on the Moon" aus dem offiziellen Programm der
       Europäischen Kulturtage in Karlsruhe gestrichen. Das Stück von Richard
       Kalinoski erzählt, wie das Trauma des Genozids die Überlebenden nicht mehr
       loslässt. Er wollte den Eindruck vermeiden, die türkische Gemeinde gängeln
       zu wollen, beteuerte der Generalintendant des Badischen Staatstheaters,
       Achim Thorwald, damals. Wie es um die Kunstfreiheit steht? Was denn mit der
       armenischen Gemeinde sei? Ob er heute immer noch so entscheiden würde?
       Thorwald wollte diese Fragen nicht beantworten.
       
       2006 geriet der Bundestagsabgeordnete Hakki Keskin von der Linkspartei in
       die öffentliche Kritik, weil er den Begriff "Völkermord" im Zusammenhang
       mit dem armenischen Massaker ablehnte. Zwar seien zahlreiche Armenier von
       Türken vertrieben worden, aber um einen Genozid habe es sich nicht
       gehandelt. "Die Argumentationsweise von Hakki Keskin unterscheidet sich
       kaum vom Diskurs der türkischen Nationalisten", kritisierte daraufhin Engin
       Erkiner, auch von der Linkspartei. Erkiners Beschwerden sowie die aus der
       armenischen Gemeinde blieben folgenlos. Wer sich heute auf Hakki Keskins
       Homepage umschaut, findet von ihm diesen Eintrag: "Ich möchte ausdrücklich
       hervorheben, dass die Türkei in diesem Zusammenhang nicht die Tatsache
       leugnet, dass bei der Deportation Hunderttausende Armenier, aber auch
       Muslime, ums Leben kamen." Und schiebt hinterher: "Die Türkei wendet sich
       jedoch entschieden gegen die Unterstellung einer vorsätzlichen
       Vernichtungsabsicht, deren authentischer Nachweis bislang ausgeblieben
       ist."
       
       Parteikollege Bodo Ramelow ist genervt, wenn er auf Hakki Keskin
       angesprochen wird. "Für mich ist es ein Völkermord", sagt der
       stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Linken. "Ich verstehe
       aber meinen Kollegen, der aus der türkischen Sozialisation kommt, dass er
       dafür plädiert, dass in der Türkei darüber entspannt geredet werden muss."
       Sobald man anfange, etwas differenzierter zu sein, werde man als Schwein
       betrachtet, findet Ramelow.
       
       In Deutschland wurde das Thema als "Sache der beiden betroffenen Länder"
       bezeichnet, wie es 2002 in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine
       Anfrage hieß. Aber 2005 wurde es dann doch zu einer deutschen
       Angelegenheit. Plötzlich ermahnte der Bundestag in einer
       fraktionsübergreifenden Entschließung die Türkei, die Vertreibungen und
       Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich aufzuarbeiten. Die
       Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, dass "ein Ausgleich zwischen
       Türken und Armeniern, ein Ausgleich durch Aufarbeitung, Versöhnen und
       Verzeihen historischer Schuld erreicht wird". Zugleich verweist die
       Entschließung auf die "unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches", das als
       Verbündeter des Osmanischen Reiches "nicht einmal versucht hat, die Gräuel
       zu stoppen".
       
       Das heikle Wort "Völkermord" wurde aber vermieden. In der Begründung heißt
       es, dass "zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale
       Organisationen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord
       bezeichneten". Andere Länder sind hier schon weiter: In einer Resolution
       des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses wird das Massaker
       im Osmanischen Reich als Völkermord angeprangert. In Frankreich und der
       Schweiz werden die Vertreibungen und Ermordungen als Genozid anerkannt.
       
       "Deutschland tut sich schwer damit, auf andere zu zeigen, weil es selbst
       historische Schuld auf sich geladen hat", sagt Tessa Hofmann,
       Genozidforscherin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Es
       herrsche eine gewisse Furcht vor der türkischen Gemeinschaft, was
       schließlich zu einer Selbstzensur führe: "Die Kränkung der armenischen
       Gemeinde wird billigend in Kauf genommen." Was sie über die
       Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Linkspartei denkt? "Hakki Keskin
       schreibt türkische Außenpolitik im Deutschen Bundestag fort", kritisiert
       Tessa Hofmann. "In der Schweiz wäre er wohl nicht durch seine Immunität als
       Abgeordneter geschützt. Denn dort wird Völkermordleugnung strafrechtlich
       geahndet."
       
       "Das ist der Kampf aller, die sich in der Türkei um Demokratisierung
       bemühen. Wenn ich aufgebe, wäre das eine Schande für uns alle. Hier ist das
       Land meiner Vorfahren, hier sind meine Wurzeln und ich habe ein Recht
       darauf, in dem Land zu sterben, in dem ich geboren bin." Hrant Dink in
       seinem letzten Interview, erschienen auf stern.de
       
       23 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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