# taz.de -- Neuer Sorokin-Roman: Goldlocke auf Glatze
       
       > Dir Zukunft ist düster und sieht der Gegenwart verdammt ähnlich. In der
       > Vladimir Sorokins neuem Roman "Der Tag des Opritschniks".
       
 (IMG) Bild: Schönes Cover ohne Glatze: "Der Tag des Opritschniks".
       
       Das Tropfen des Wasserhahns in seinem Badezimmer beschäftige ihn weit mehr
       als das, was sich im Tschetschenienkrieg abspiele. Erst wenige Jahre ist es
       her, dass Vladimir Sorokin durch solcherlei Statements regelmäßig das
       Unpolitische seines Denkens und Schreibens unterstrichen hat. Er stand
       nicht allein mit diesem Anspruch auf eine frei schwebende
       schriftstellerische Autonomie. Der war nur allzu gut nachvollziehbar,
       nachdem mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die alten Zuschreibungen von
       Staatsdichter, Untergrundautoren und Emigranten endgültig zu den Akten
       gelegt werden konnten.
       
       Ob das, was Sorokin in Romanen wie "Der himmelblaue Speck" oder in seiner
       "Ljod"-Trilogie - ähnlich wie zeitgleich Pelewin oder Viktor Jerofejew -
       aus Genreversatzstücken von Cyberpunk, Krimi und Comic unter Zutat
       sämtlicher Körperflüssigkeiten zu einem sex- und gewaltgesättigten
       Literaturcocktail mixte, tatsächlich ganz so unpolitisch war, wie der Autor
       glauben machen wollte, darf man natürlich bezweifeln. Ästhetisch und
       moralisch unverdaulich war er einigen allemal. Das brachte Sorokin 2002 ein
       Verfahren wegen Pornografie ein.
       
       So oder so - für den bekennenden Metaphysiker Sorokin markiert sein neuer
       Roman "Der Tag des Opritschniks" nun einen Sinneswandel, den er auf die
       Entwicklungen seines Landes unter der Putin-Regierung zurückführt. Deshalb
       ist das Zukunftsszenario, das er diesmal entwirft, Moskau 2027, nicht nur
       nicht allzu fern, sondern durchaus gewollt voller Bezüge zum heutigen
       Russland. Russländischer Staat nennt sich Sorokins Großrussland, eine Mauer
       trennt es von Europa. Die Gaspipeline, die noch durch diese Mauer führt und
       die unliebsamen Nachbarn mit Energie versorgt, soll bald endgültig gekappt
       werden. Bereits gekappt ist der Austausch von Reisenden: In einem
       öffentlichen Akt hat man alle Pässe verbrannt und zelebriert nun einen
       bedingungslosen Nationalismus, für dessen Einhaltung ein totalitäres
       Überwachungsregime mit seinem Alleinherrscher sorgt.
       
       Protagonist und Icherzähler von Sorokins Roman ist der Opritschnik Andrej
       Komjaga, Mitglied einer Elite, die für die Liquidierung all jener zuständig
       ist, die mit den Regeln des Systems nicht konform gehen. Ausgestattet mit
       allerlei symbolischem Requisiten - Hundeköpfe und stählerne Besen schmücken
       ihre Autos, die rasierten Schädel tragen nur noch eine einzelne, mit
       Goldstaub gefärbte Locke - morden, vergewaltigen und brandschatzen die
       Opritschniki und ziehen nebenbei die Fäden in wirtschaftlichen
       Angelegenheiten. Für Entspannung sorgen gemeinschaftliche Drogen- und
       Sexrituale. Satirischer Höhepunkt ist eine Massenkopulation, bei der die
       künstlich installierten Genitalien zu leuchten beginnen: "Die Klöten der
       Opritschniki geben Licht!", verkündet der Erzähler ergriffen.
       
       Sorokin zitiert in seinem jüngsten Werk nicht nur die Terrorherrschaft
       Iwans des Schrecklichen wieder herbei, dessen brutale Leibgarde sich
       Opritschnina nannte. Er zeichnet in einer Verschränkung von historischer
       Martialität und technologischen Futurismus eine Antiutopie, die in der
       Tradition von Orwell oder Huxley steht. Was dabei herausgekommen ist, ist
       nicht nur eine düstere Zukunftsprognose für das heutige Russland unter
       Putin. Es ist vor allem ein Thesenroman. Vermutlich liegt es an diesen
       inhaltlichen Thesen, die abbildend, prognostizierend und erklärend zugleich
       sein sollen, dass der Roman sprachlich im Gegensatz zu der wild wuchernden
       Eigenwilligkeit von Sorokins früheren Büchern eher verhalten daherkommt.
       Das literarisch wenig Verstörende oder Betörende ist aber nur die eine
       Seite.
       
       Die andere Seite ist das, was Sorokin über die russischen Verhältnisse
       sagt. Und das ist trotz seiner gesellschaftspolitischen Aussage doch von
       einer gewissen Beliebigkeit. Die Mischung von mittelalterlicher Szenerie
       und zuweilen etwas tumben und altmodisch wirkenden technizistischen
       Visionen führt dazu, dass die inhaltliche Sprengkraft sich in Grenzen hält.
       Das Ganze ist dann doch nicht so bedingungslos nah dran an den
       Entwicklungen, die in Russland derzeit vor sich gehen. Dokumentarisch
       angelegte Arbeiten, wie sie im Umkreis um Anna Politkowskaja entstanden
       sind, haben in dieser Hinsicht mehr zu sagen.
       
       Am Ende ist es etwas Grundsätzlicheres, was Sorokins Roman zu einem
       wichtigen Buch macht. Während gemeinhin den russischen Literaten gerade ein
       Schulterschluss mit der Unterhaltungsbranche vorgeworfen wird, ist "Der Tag
       des Opritschniks" ein Appell dazu, sich mit dem politischen Geschehen
       auseinanderzusetzen und daraus den einen oder anderen unverdaulichen
       Cocktail zu mixen.
       
       Vladimir Sorokin: "Der Tag des Opritschniks". Aus dem Russischen von
       Andreas Tretner. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 221 Seiten, 18,95 Euro
       
       29 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wiebke Porombka
       
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 (DIR) Wladimir Putin
       
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