# taz.de -- Martin Suter im Interview: "Weynfeldt würde nicht SVP wählen"
       
       > Der Schweizer Autor hat mit "Der letzte Weynfeldt" eine Hommage auf den
       > konservativen Bohemien geschrieben. Ein Gespräch über Rechtspopulist
       > Blocher und das Aussterben der Konservativen mit Stil.
       
       taz: Herr Suter, Ihre Hauptfigur Adrian Weynfeldt ist wohlhabend, korrekt,
       verklemmt, freundlich, stilbewusst und etwas altmodisch: Haben wir uns so
       die klassische Schweiz vorzustellen? 
       
       Martin Suter: Nein, nein. Leider nicht er ist ja einer der Letzten, die so
       sind. Mein Roman ist fast schon ein Nachruf auf diese Form von Höflichkeit.
       Wohlhabende gibt es schon noch viele in der Schweiz, aber sie haben immer
       weniger Anstand.
       
       Aber könnte man sagen: Ihre Figur des Adrian Weynfeldt ist ein typischer
       Minderheitsschweizer, der zur Mehrheit gehört? 
       
       Nein, ich glaube, das kann man nicht sagen: Ich streite es ab.
       
       Ähnlich wie in Ihrem ersten Roman "Small World", der 1997 herauskam, ist
       die Handlung im Beziehungsgeflecht des alteingesessenen Bürgertums der
       Stadt Zürich angelegt. Was fasziniert Sie an diesem Milieu so sehr? 
       
       Auch "Small World" ist ja nicht nur in diesem Milieu angesiedelt. Die
       Schweizer Gesellschaft besteht aus verschiedenen Schichten. Und der letzte
       Weynfeldt verkehrt auch in bohemistischen Kreisen, die ganz sicher nicht
       zur Oberschicht zählen.
       
       Weynfeldt ist ein Solitär, auf seine Weise bohemistisch mit streng
       ritualisierten Freundschafts- und Höflichkeitsformeln. Aus seinem
       emotionalen Schneckenhaus lässt er sich nur durch die Leidenschaft für die
       Kunst und eine hilfsbedürftige, attraktive Frau - der existenzialistische
       Underdog - locken. Ein klassisches Motiv, was hat Sie dazu animiert, es
       erneut zu variieren? 
       
       Mich hat interessiert, was passiert, wenn eine Frau einen Mann davon
       abhält, sich das Leben zu nehmen und diese Frau ihn dann für ihr Leben
       verantwortlich macht. Das war die Ausgangslage. Dass das jetzt ein
       wohlhabender Junggeselle, ein Kunstexperte ist, war eine spätere
       Entscheidung. Schließlich brauchte meine Figur einen Beruf und einen Ruf,
       den sie aufs Spiel setzen konnte. Sie sollte eine Entwicklung durchmachen,
       wie alle Figuren in meinen Geschichten. Die Versuchsanordnung war diesmal
       so, dass die zwei wichtigsten Figuren, Weynfeldt und Lorena, eine
       gegenläufige Entwicklung durchmachen.
       
       Inwiefern ist Lorenas Entwicklung gegenläufig zu der Weynfeldts? 
       
       Sie wird ein bisschen mehr wie er und er ein bisschen mehr wie sie.
       
       Setzt Weynfeldts bohemistische Haltung eigentlich materiellen Reichtum
       voraus? 
       
       Nein. Seine weniger reichen Freunde sind ja auch Bohemiens.
       
       Sind sie das wirklich? 
       
       Sie brauchen halt einen Sponsor. Sie wollen auf jeden Fall welche sein. Und
       mit Weynfeldts Hilfe können sie das auch ein wenig ausleben. Aber, ich
       glaube nicht, dass es Wohlstand voraussetzt, um Bohemien zu sein. Ein
       Sponsor ist aber sicher hilfreich.
       
       Halten Sie Ihre Romanfigur in ihrer Mischung aus Feinsinnigkeit, Gönnertum,
       schlechtem Gewissen und Snobismus für einen exemplarischen Nachkömmling der
       Schweizer Oberschicht? 
       
       Nein, leider nicht. Das schlechte Gewissen ist das, was den meisten in der
       richtigen Welt fehlt. Ich hab auch schon solche getroffen, die das
       vielleicht haben; das ungute Gefühl, dass sie so viel Geld besitzen und das
       meiste davon nicht erarbeitet, sondern ererbt haben.
       
       Gibt es da ein Problem mit dem Arbeits- oder mit dem Besitzethos? 
       
       Ach, es ist schwieriger. Weynfeldt hat ja zwei Freundeskreise. Der eine ist
       der aus den alten wohlhabenden Kreisen seiner Eltern, und da ist das kein
       Thema. Zu denen hat er problemlos Zugang. Aber bei den anderen, den knapp
       Vierzigjährigen, ist er ein wenig der Fremdkörper geblieben. Da muss er
       sich ein bisschen klein machen, um aufgenommen und geduldet zu werden. Es
       gibt einen tiefen gesellschaftlichen Graben zwischen ihm und den anderen.
       Diesen versucht er durch gelegentliches Sponsoring, durch Höflichkeit und
       Rücksichtnahme zu überbrücken, was ihm aber nur äußerlich und nicht
       wirklich gelingt.
       
       Laut Titel ist er der "letzte" Weynfeldt. Biologisch scheint er ja noch
       zeugungsfähig, die Verbindung zur angehimmelten jüngeren Frau ist nie außer
       Reichweite. Warum also der letzte? 
       
       Ja, aber der letzte Weynfeldt ist nicht nur der letzte seines Geschlechts,
       sondern auch der letzte einer Art. Es ist eine Hommage an eine aussterbende
       Gattung.
       
       Der Letzte einer Art, der aber auch ein sehr konservativer Typ ist. 
       
       Er ist ein ziemlich konservativer Typ. Er ist halt so erzogen und so
       geimpft.
       
       Aber warum glauben Sie, dass diese Gattung gerade ausstirbt? 
       
       Ich fürchte, die konservativen Typen sterben nicht aus. Aber Typen wie
       Weynfeldt. Er ist ja nicht nur ein Trottel, er ist sehr rücksichtsvoll, er
       ist sehr höflich, er hat Umgangsformen, er hat einen gewissen Stil. Diese
       Kombination zusammen mit Geld, die stirbt aus.
       
       Verändert sich nicht einfach nur der Stil, die Vorlieben, der Typus aber
       bleibt? 
       
       Ich glaube nicht.
       
       Sie lassen die direkte Politik in Ihren Romanen gerne draußen. Aber könnte
       ein Gentlemen wie Adrian Weynfeldt nicht auch für Blochers
       ultranationalistische SVP votieren, wie dies ein Drittel des Schweizer
       Wahlvolks tut? 
       
       Es ist näher an einem Viertel als an einem Drittel. Es sind irgendwas um 29
       Prozent.
       
       Sagen wir: ein knappes Drittel oder ein gutes Viertel. 
       
       Er würde nicht helfen, die SVP salonfähig zu machen. Eine Figur wie der
       Weynfeldt würde nicht SVP wählen. Er ist ja meine Figur und ich würde es
       ihm strikt verbieten.
       
       Und die Freunde, sein Umfeld? 
       
       Es gibt in diesem Roman keine SVP-Wähler. SVP-Leser hat er vielleicht
       schon.
       
       Nach der Abwahl des Rechtspopulisten Blocher im Dezember sagten Sie, die
       Schweiz besinne sich nun "wieder auf das Bewährte". Was meinen Sie damit? 
       
       Ja das war eigentlich ein Schreibfehler. Der Spiegel hat das korrigiert.
       Ich habe das bewährte System gemeint. Das der Kollegialität. Das hieße zum
       Beispiel, dass es in der Regierung nicht jemanden hat, der gleichzeitig
       regiert und opponiert. Das Parlament ging vor vier Jahren vor Blocher in
       die Knie. Und jetzt hat mich schon überrascht, wie die etwas tapsig
       gewordene Linke in der Schweiz die Abwahl Blochers auf die Reihe kriegte.
       
       Dass sie den Mut dazu hatte? 
       
       Wenn die Mehrheit im Parlament nicht mehr Blocher wählen wollte, musste sie
       sich auf einen gemeinsamen Gedanken in diesem Fall einigen. Und das musste
       unter dem Deckel bleiben. Das war schon eine große Intrige. Hut ab. Das hat
       mich angenehm überrascht.
       
       Und "das Bewährte": War es nicht gerade auch "das Bewährte" wie die
       Konkordanz und ein eigenbrötlerischer Konservatismus wie des Herrn
       Weynfeldt, die Blocher stärkten? 
       
       Natürlich ist es dieses System, das diese Regierungszusammenarbeit über die
       Parteien hinweg nicht nur ermöglicht, sondern fast nötig gemacht hat. Aber:
       Es ist immer noch so, dass das Parlament mit absoluter Mehrheit einen
       Minister wählt. Eine Partei kann eine Person mit einem guten Viertel oder
       schwachen Drittel der Sitze nun mal nicht alleine bestimmen.
       
       Ist es nicht auch so eine Charaktereigenschaft des Herrn Weynfeldt, dass
       man eher den Auseinandersetzungen aus dem Weg geht, sich arrangiert, statt
       den Konflikt zu suchen? 
       
       Ich glaube schon, dass der Weynfeldt einer wäre, der sich arrangiert, aber
       er ist ja auch kein Politiker.
       
       In Ihrem Roman spielt ein Bild des Malers Felix Vallotton eine besondere
       Rolle. Die Erotik des Motivs ist einleuchtend gewählt. Was bedeutet Ihnen
       Vallotton? 
       
       Der gefällt mir schon besonders gut. Vallotton macht ein paar Dinge, die
       ich auch versuche, beim Schreiben hinzukriegen. Er reduziert, lässt weg. Er
       weiß, was man betonen muss, um nicht nur ein Bild abzubilden, sondern auch
       Bilder in unseren Köpfen entstehen zu lassen. Vallotton liebt das
       Geheimnisvolle und das Verschmitzte. Er hat immer eine Pointe, ein kleines
       Witzchen eingebaut. Dann malt er diese großflächigen Gouachen. Da hab ich
       mir für die Handlung vorgestellt: die lassen sich auch einfacher fälschen
       als zum Beispiel etwas Impressionistisches.
       
       Sie selber leben mit Ihrer Partnerin und zwei kleinen Adoptivkindern in
       Guatemala und Ibiza. Würde sich da nicht auch literarisch ein
       Kulissenwechsel anbieten? 
       
       Ich habs versucht und dabei einen Roman in den Sand gesetzt. Guatemala ist
       ja unser Hauptsitz. Im Frühjahr kommen wir nach Europa, und im Herbst gehts
       dann schon wieder zurück. Aber die Passagen über Guatemala, die
       Beschreibungen einer Landschaft oder eines Marktes dort, haben sich wie ein
       Geo-Artikel gelesen.
       
       Wie recherchieren Sie von Guatemala aus? 
       
       Wir sind ja beide Schweizer und nicht aus der Schweiz geflüchtet. Wir
       kommen ja regelmäßig in die Schweiz zurück. Den Gesamtkatalog von
       Vallotton, das war ein Paket von drei Bänden, den hab ich per Internet
       antiquarisch in Frankreich gefunden und mir nach Guatemala schicken lassen.
       Der Verlag hilft. Und mit Herrn Keller, einem Kunstexperten, hab ich für
       meinen aktuellen Roman ausführlich telefoniert. Mit Skype oder Jajah kostet
       das praktisch nichts.
       
       INTERVIEW: ANDREAS FANIZADEH
       
       1 Feb 2008
       
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