# taz.de -- Kolumne 16 mm diederichsen: Die Berlinale in drei Begriffen
       
       > Re-Encactment, Konstruktion und Geschichte - Alles was man wissen muss,
       > um bei Berlinale-Gesprächen gut aufgestellt zu sein.
       
       1.) Re-Enactment. Das ist ein Modewort, von dem Sie vielleicht schon gehört
       haben. Groß in Kunstszene und Freizeitkultur. Erwachsene Männer, die in
       tagelanger Arbeit Schlachten des 17. Jahrhunderts nachspielen, erfüllen z.
       B. den Tatbestand. Oder Performance-Künstler, die klassische Performances
       wieder aufführen. Vor kurzem gab es eine Ausstellung zum Thema in den
       KunstWerken. Nun auch auf der Berlinale. Scorsese re-enactet seinen eigenen
       Konzertfilmklassiker "The Last Waltz" bis zu Details wie den Gästen, die
       den Reigen unterbrechen. Die damaligen Hauptdarsteller The Band waren schon
       damals die erste Band, die sich nicht mehr als jugendlich, sondern als
       immer schon alt entwarf. Alt geworden ist dann eine andere Band. Die
       Rolling Stones re-enacten sich selbst und ihre Bezugspunkte. Sie covern,
       wie sie gecovert wurden. "Satisfaction" spielen sie in der Version von Otis
       Redding.
       
       Neil Young und seine Multitude glauben, der Irakkrieg sei ein Re-Enactment
       des Vietnamkrieges, weswegen man mit einem Re-Enactment des alten Protestes
       reagieren müsse. Guy Maddin hat sich möglicherweise alles ausgedacht, was
       er in seinem Psychoanalyse-Noir-Leckerschmecker-Overwhelment "My Winnipeg"
       angeblich re-enactet. Aber auch er besteht auf die Geste des Re-Enactment,
       wenn er seine Mutter als seine Mutter mit Filmklappe seine Kindheit
       wiederaufführen lässt. In Michel Gondrys "Be Kind, rewind" werden
       entmagnetisierte Videotapes durch Re-Enactments des gelöschten Films
       gerettet.
       
       2.) Konstruktion. Anders natürlich in Asien. Dort gibt es noch was
       aufzubauen. In dem thailändischen "Wonderful Town" von Aditya Assarat
       müssen die Tsunami-Schäden beseitigt werden. Ein von der Zärtlichkeit des
       Neuanfangs umwehter leichtlebiger Dandy ist Architekt für
       Toilettenkonstruktionen. Auch einer der Protagonisten von "Zuo You/In Love
       We Trust" von Wang Xiaoshuai ist beim Bau. Ihn macht der Stress mit den
       Geld- und Auftraggebern einer Beijinger Baustelle langsam impotent. Nur bei
       seiner Ex, die als Maklerin die Wohnungen in anderen, abstoßenden
       Neubauwüsten verticken muss, klappt es dann doch. Weniger melancholisch die
       Hochzeit von Hochkapitalismus und oscarreifer Perfidie-Performanz durch
       Daniel Day Lewis in Paul Thomas Andersons "There Will Be Blood".
       Stundenlang wird zu an der Grenze zum Insektensirren angesiedelten superben
       Streicherklangeffekten wortlos das Öl mit bizarren Bauten aus dem Boden
       gezwungen. Ewige ölige, schlammige Baustelle, in der man nichts anderes
       machen kann als umkommen oder umbringen.
       
       3.) Geschichte. Der böse Ölbaron Plainview ist aber, anders als bei Upton
       Sinclairs Roman "Öl", den Anderson verfilmte, keine kapitalismuskritische
       Figur. Dafür wird er zu sehr von inneren Dämonen getrieben. Die gezielt als
       gewaltig, von Brandoschen Ausmaßen angelegte Figur will eher in die Antike,
       als dass sie den Anfang von Amerika erzählen will. Andererseits war der
       Anfang von Amerika ja eine stumme, harte Version der Antike. Richtige
       Geschichte gibt es in dem Video "Invisible City" von Tan Pin Pin. Die
       Bilder aus der Frühgeschichte des Staates Singapur sind gerade mal 50 Jahre
       alt. Aber das ist wahnsinnig lange her. Believe me! Daher sieht man hier
       lauter beeindruckende 90-Jährige, die durch die Stadt führen, mit fragiler
       Hand Fotobände erläutern und famose Farbfilmarchive aufschließen, auf denen
       noch Bilder von "tribal people" in direkter Nähe des Stadtstaates zu sehen
       sind.
       
       Die Archäologie wird zur Historiografie, weil sie diese ebenfalls längst
       antiken Bilder in eine gekappte Kontinuität einträgt, die die Diktatur
       offensichtlich noch immer nicht zulassen will. Einmal löst auch Neil Young
       sein Problem, indem er erklärt, dass er die Woodstock-Generation nicht
       einfach aus einem politischen Dornröschenschlaf erwecken will, sondern ihr
       ihre Geschichte zurückgeben will. Das bedarf der Herstellungen von
       Verbindungen, des Schließens von Zwischenräumen.
       
       10 Feb 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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