# taz.de -- Neue Romane von Walser und Roth: Degeneration X
       
       > Große alte Männer über das Scheitern großer alter Männer: "Exit Ghost"
       > und "Ein liebender Mann" sind eine Zumutung, erbärmlich und peinlich.
       > Aber gerade darin liegt ihr Gelingen.
       
 (IMG) Bild: Walser schreibt übers Altwerden: Er selbst ist letztes Jahr 80 geworden.
       
       Alter gelingt nicht. Körperfunktionen fallen aus, vom Gedächtnis ganz zu
       schweigen. Dass am Ende, zumindest bis auf weiteres, der Tod steht, macht
       das unwiderruflich Tragische dieses Lebensabschnitts komplett. So gesehen
       müsste es für die Literatur das Thema schlechthin sein. Mit Martin Walser
       und Philip Roth haben gerade zwei Autoren fortgeschrittenen Alters (Walser
       feierte vergangenes Jahr seinen 80. Geburtstag, Roth wird im März 75) neue
       Romane vorgelegt, die auf auffallend ähnliche Weise das Altwerden zum Thema
       machen. Und das heißt vor allem: sein Nichtgelingen.
       
       In "Exit Ghost" trifft man das vermeintliche Alter Ego des Autors Philip
       Roth wieder, den Schriftsteller Nathan Zuckerman, der sich seit mehr als
       drei Jahrzehnten durch das Werk von Roth bewegt und der nun auf seine alten
       Tage und gepiesackt durch allerlei altersbedingte Leiden für eine
       30-jährige Frau entbrennt. Auch in Martin Walsers Roman "Ein liebender
       Mann", um den im Vorfeld schon allerhand Bohei veranstaltet wurde, geht es
       um die Leidenschaft eines alternden Schriftstellers für eine wesentliche
       jüngere Frau. Nicht um irgendwen allerdings: Walser hat sich den Übervater,
       Geheimrat und Dichterfürsten Goethe vorgenommen, der als knapp 74-Jähriger
       für die 19-jährige Ulrike von Levetzow entflammt.
       
       Es ist nicht sonderlich überraschend und deshalb kaum zu viel verraten,
       dass weder das eine noch das andere Ansinnen der alternden Bewerber erfüllt
       wird - Roth Protagonist Zuckerman ist seit einer mehr als zehn Jahre
       zurückliegenden Prostataoperation ohnehin mit Impotenz geschlagen.
       Bemerkenswerter ist dagegen, dass man mit fortschreitender Lektüre
       feststellt, dass es in diesen Büchern um etwas anderes, zumindest aber um
       eine ganze Menge mehr geht als die beiden jungen Frauen, um die Walser und
       Roth ihr Erzählen vordergründig kreisen lassen. Ängste vor dem
       Nichtschritthaltenkönnen, dem Hinausfallen aus sozialen Zusammenhängen, vor
       dem sukzessiven Versagen des eigenen Körpers sind es, für die das
       unerfüllte Schwärmen für eine junge Frau allenfalls eine affektiv
       aufgeladene Ersatzhandlung bereitstellt. Daneben kommt noch eine andere
       Ebene ins Spiel, nicht zufällig sind die Protagonisten beider Romane
       Schriftsteller. Das Verhältnis von Autor, literarischer Fiktion und
       Wirklichkeit verwebt sich mit der gerade bei Roth bangen Frage danach, was
       aus dem eigenen Leben und dem eigenen Werk gemacht wird, wenn man selbst in
       absehbarer Zeit keinen Einfluss mehr darauf haben wird.
       
       "Exit Ghost". Mit dem Titel seines Romans, der eine Regieanweisung aus
       Shakespeares "Hamlet" zitiert und zugleich einen Bogen zum ersten
       Zuckerman-Roman, "Ghostwriter", schlägt, bringt Roth das Problem auf den
       Punkt. Nur noch als flüchtige Gestalt, als Eingebung kann Hamlets Vater in
       Erscheinung treten und um Rechtfertigung bitten. Dann heißt es auch schon
       wieder abtreten. Zuckerman kommt dieser Anweisung in dem Roman gleich
       zweimal nach. Vor elf Jahren hat er sein Leben in New York abgebrochen und
       seither ein von Menschen und Nachrichten abgeschottetes Einsiedlerleben in
       der amerikanischen Provinz geführt. Am Ende, nach ein paar Tagen in New
       York, in denen Zuckerman hoffte, seine inkontinente Blase behandeln lassen
       zu können, und in denen er für kurze Zeit versucht war, die gekappten
       Verbindungen zur Gegenwart noch einmal zu spinnen, packt er zum
       wiederholten Mal die Koffer und kehrt unverrichteter Dinge, mit wattierter
       Einlage in der Unterhose in die Einsamkeit zurück.
       
       Was Zuckerman zwischen diesen beiden Fluchten erlebt, ist eine
       Spiegelgeschichte, zu deren Entzifferung es relativ weniger
       psychoanalytischer Vorkenntnisse bedarf. Durch einen Zufall trifft er Amy
       wieder. Vor fast 50 Jahren, Zuckerman stand am Anfang seiner Karriere, war
       sie die Geliebte seines Mentors und Schriftstellervorbilds E. I. Lonoff.
       Aus der begehrenswerten Schönen von damals ist, wie Zuckerman mit Grausen
       feststellt, eine verarmte und durch eine Tumoroperation am Kopf entstellte
       alte Frau geworden. Aber nicht nur durch Amy droht das Bild der
       Vergangenheit ins Wanken zu geraten, sondern vor allem durch einen
       aufstrebenden Journalisten, der eine Lonoff-Biografie schreiben will, mit
       der er ein dunkles Geheimnis - Lonoffs angeblichen Inzest mit der
       Halbschwester - enthüllen und auf diese Weise die Rezeption von dessen Werk
       neu justieren will.
       
       Kein Wunder, dass Zuckerman in seinem Entsetzen diesen Bilderstürmer auch
       gleich noch als Liebhaber von Jamie (man beachte die Namensspiegelung)
       imaginiert, besagter 30-Jähriger, an der Zuckermans Herz sich entzündet,
       während sein Körper dazu nicht mehr in der Lage ist. Nicht als Mann, nur
       noch als Autor kann er über Jamie verfügen. In seinem Hotelzimmer schreibt
       er fiktive Dialoge, in denen all jene erotischen Bande geknüpft werden, die
       in der Realität ein für allemal passé sind. Diese Dialoge sind eine Qual.
       Kaum weniger entwürdigend als die Passagen über seine geruchsintensiven
       Urinverluste. Zuckerman ahnt das offenbar selbst. Das verzagte Ende seiner
       New Yorker Reise ist bekannt. Er kapituliert vor seinem Körper und vor
       einer neuen Autorengeneration.
       
       Zumindest in physiologischer Hinsicht sieht das Ende von Martin Walsers
       "Ein liebender Mann" nicht gar so niederschmetternd aus: "Als er aufwachte,
       hatte er sein Teil in der Hand, und das war steif. Da wusste er, von wem er
       geträumt hatte." Die Erektionsfähigkeit des 74-jährigen Goethe ändert aber
       nichts daran, dass auch er als werbender Mann scheitert und dem
       jugendlichen Objekt seiner Begierde nur als Autor habhaft werden kann.
       Neben einer Reihe von Briefen lässt Walser Goethe einen Roman schreiben, in
       dem er seine Sehnsüchte ausbuchstabiert und der, wie er hofft, "ihn und
       Ulrike legitimierte".
       
       Tatsächlich geschrieben hat der historische Goethe das unter dem Namen
       "Marienbader Elegie" bekannt gewordene Gedicht, bei Walser komplett
       nachzulesen. In der jüngeren Goethe-Forschung wird die Position
       starkgemacht, dass Goethe in dem Gedicht nicht den Schmerz über die
       sommerliche Liebesschmach von 1823 verarbeitet, sondern stattdessen eine
       poetologische Diskussion über die Bedingungen dichterischer Produktivität
       vornehme. Das kann man natürlich als Versuch verstehen, Goethes olympischen
       Sockel durch eine Episode biografischen Scheiterns nicht ankratzen zu
       lassen. Interessant aber ist, dass zumindest der Roman, den Walser um
       dieses Gedicht herum schreibt, durch den Einwand sehr genau getroffen wird:
       Ulrike kommt im Grunde gar nicht vor, denn vor allem lässt Walser den alten
       Goethe sich auf Gedeih und Verderb selbst produzieren.
       
       Goethe redet und redet. Erst flaniert er dozierend mit der angebeteten
       Ulrike die Promenade von Marienbad hinauf und hinunter. Immer darauf
       bedacht, dass auch ja alle sehen mögen, was für ein attraktives Wesen er da
       am Arm führt und wie inniglich die beiden ins Gespräch vertieft sind.
       Bedacht auch darauf, seinen krummen Rücken genauso wie durch eine
       disziplinierte Lippenhaltung den Ausfall eines Zahns zu kaschieren. Was er
       indes nicht wirklich realisieren will, ist das überschaubare Interesse
       seiner Begleiterin an seinen geistigen Ergüssen, das äußerst unverhohlen
       mit Spott gepaart ist. So gerät seine emotionale Selbstverjüngungskur,
       deren gesellschaftliche Anstößigkeit ihm natürlich sehr wohl bewusst ist,
       zu einem zusehends peinlichen und für Figuren wie Leser peinigenden
       Unterfangen. Nur einmal, als sein Schreiben in Zweifel gezogen wird -
       Ulrike offenbart ihre Begeisterung für Maschinen, während er selbst gerade
       im "Wilhelm Meister" ein Hohelied auf das Handwerk angestimmt hat -,
       schwant ihm nicht nur die Unmöglichkeit seiner Liebe, sondern viel
       grundsätzlicher noch die eigene Überholtheit als Mann und Autor. Das
       allerdings hindert ihn nicht daran, um Ulrikes Hand anzuhalten. Sein Antrag
       bleibt unbeantwortet.
       
       Die kaum auslotbare Ambivalenz von Walsers Roman, die den eigentlichen Reiz
       der Lektüre ausmacht, besteht darin, dass man nie zweifelsfrei entscheiden
       kann, ob Walser mit lustvoller Entblößung die Demontage einer
       Schriftstellergröße betreibt, deren Dignität er vor einigen Jahren noch
       ziemlich kritisch gegenüberstand, man denke an sein Eckermann-Drama "In
       Goethes Hand". Oder aber, ob man hier Zeuge einer wahrhaft emphatischen
       Aneignung wird.
       
       Vielleicht ist diese Unsicherheit ein Indiz dafür, dass man schwerlich
       Parameter hat für eine Literatur, die derart ungeschönt und aus nächster
       Nähe über das Altwerden erzählt. "Das Ende ist so unermesslich, es hat
       seine eigene Poesie", heißt es bei Philip Roth. Wenn das Wesen dieses Endes
       darin besteht, dass es nicht gelingt, was bedeutet das für das Schreiben
       darüber? Die Romane von Walser und Roth sind eine Zumutung. Sie sind
       erbärmlich, peinlich und stellenweise sogar ekelerregend. Aber gerade darin
       liegt ihr Gelingen.
       
       Trotzdem muss man die Romane auch gegen sich selbst ins Feld führen:
       Zuckermans zeitweilige Demenz und Orientierungslosigkeit bilden sich nicht
       zuletzt auch in dem Erzählen von Roth ab, das immer wieder eigenartig
       sprunghaft ist oder aber mäandernd nicht von der Stelle kommt. Walser
       dagegen steht dem schwadronierenden Elan seines Protagonisten kaum nach und
       scheint dabei gerade im zweiten Teil seines Romans ganz zu vergessen, dass
       es dann irgendwann auch nichts mehr hinzuzufügen gibt zu dem
       Selbstbespiegelungsmonolog eines verschmähten Mannes. Goethe hin, Goethe
       her. Deshalb bleibt es, bei allem gebotenen Respekt für die Alten, legitim
       zu fragen, ob man so was wirklich lesen will. Angesichts der demoskopischen
       Voraussagen steht zu befürchten: Wir werden müssen.
       
       Philip Roth: "Exit Ghost". Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren,
       Carl Hanser Verlag, München 2008, 304 Seiten, 19,90 Euro. Martin Walser:
       "Ein liebender Mann". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008, 288 Seiten,
       19,90 Euro.
       
       2 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wiebke Porombka
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA