# taz.de -- Leichtathletik-Hallenmeisterschaft der Senioren: Die schnellen Alten
       
       > Bei der Leichtathletik-Hallenmeisterschaft der Senioren rennen 70-Jährige
       > um die Wette. Der Star der Szene heißt Guido Müller, Jahrgang 1938.
       
 (IMG) Bild: Stundenlanges Kaffeetrinken und Kuchenessen war gestern: Heute geht's um Zehntelsekunden.
       
       Der Lauf von Klaus Heidinger dauert nur zwei Sekunden. Er schiebt sich aus
       den Startblöcken, sprintet los, doch er kommt nicht weit. Heidinger plumpst
       zu Boden. Mit dem linken Bein stimmt etwas nicht. Humpelnd irrt er herum.
       Der Leichtathlet aus Emmendingen wollte bei den Seniorenmeisterschaften in
       Erfurt noch einmal einen guten Lauf über 60 Meter hinlegen. 8,97 Sekunden
       ist seine Bestzeit im vergangenen Jahr gewesen. Die hätte er gern
       unterboten. Aber das verdammte Bein hat nicht mitgemacht. Heidinger ahnt,
       dass etwas Schlimmes passiert ist. "Die ist durch, das ist so lappig hier
       hinten, die ist durch, mein Gott", sagt er und deutet auf seine
       Achillessehne. Dort, wo sonst ein fester Strang Muskel und Knochen
       verbindet, ist nur weiches Gewebe.
       
       "Aber so dramatisch ist das nicht, ich bin ja schon 70", sagt der verletzte
       Laufveteran. "Meine Frau wird sicher ganz schön schimpfen, die wollte
       nämlich nicht, dass ich herfahre." Es ist wohl das Ende der
       Leichtathletikkarriere des Klaus Heidinger, einstmals Deutscher Meister
       über 300 Meter Hürden in der Seniorenklasse der über 50-Jährigen. Insgeheim
       hat er mit einer Verletzung gerechnet, weil er eh Probleme mit der linken
       Ferse hat. Er wusste, dass das Risiko hoch ist, dass das Gewebe nicht mehr
       so strapazierfähig ist, dass die Muskeln schwinden, der Körper Wasser
       verliert und die Regenerationszeiten länger werden. Heidinger ist nicht der
       Einzige, der sich bei den Hallenmeisterschaften verletzt, es gibt Zerrungen
       und Muskelrisse. Die medizinische Abteilung hat gut zu tun.
       
       Guido Müller kommt ungeschoren davon. Er ist im selben Lauf mit Heidinger
       losgesprintet und hat souverän gewonnen. Den Endlauf gewinnt der 69-Jährige
       in 8,32 Sekunden. Das ist eine Zeit, über die durchtrainierte Mittdreißiger
       froh wären, Müller schafft sie spielend. Er gewinnt in Erfurt auch noch
       über 200 und 400 Meter. Auf dieser Strecke distanziert er seine
       Konkurrenten um Längen. Der Zweite hat fast zehn Sekunden Rückstand. Müller
       findet das ganz normal. Siege bei Meisterschaften sind Routine geworden für
       den Läufer des TSV Vaterstetten. Fast 80 Titel hat er bei Meisterschaften
       eingeheimst. Er ist so etwas wie der heimliche Star der Senioren. In der
       vorletzten Ausgabe der Zeitschrift Senioren Leichtathletik war er sogar auf
       dem Titelbild: Mit grauer Mähne und Brille hastet ein sehniger Alter im
       weißen Dress über die Tartanbahn. Er sieht aus wie ein rüstiger Studienrat,
       den immer noch der Ehrgeiz piekst, der nicht loskommt von Spikes und
       Steigerungsläufen. Müller ist 1938 geboren.
       
       Andere in seinem Alter unterhalten sich über die Verdauung, rheumatische
       Beschwerden und diverse Zipperlein, Müller geht in seiner bayerischen
       Heimat auf den Sportplatz und dreht ein paar Runden. Fit bis ins hohe Alter
       wollen die Läufer, Werfer und Springer sein, die sich nur ungern Senioren
       nennen. Lieber wird der Begriff Masters-Leichtathletik verwendet. Das
       klingt nach Erfahrung und Reife. "Es geht um Anerkennung", sagt Kurt
       Kaschke (52), Sprecher der Interessengemeinschaft Seniorenleichtathletik
       proMASTERs. "Die Alten werden älter, und die Alten werden fitter. Das geht
       bis über 80. Neulich hat mir eine über 80-Jährige ihre Trainerin
       vorgestellt. Die war 75."
       
       Guido Müller braucht keinen Coach. Früher hat er Leistungssport betrieben,
       ist aber nicht groß herausgekommen. Gut, über 400 Meter Hürden hätte er es
       fast zu den Olympischen Spielen in Tokio geschafft. Fast. Im entscheidenden
       Lauf, damals noch in der Ausscheidung mit den DDR-Athleten, ist er nur
       Fünfter geworden. "Ich hätte fünf Zehntel schneller laufen müssen", sagt
       Müller. Eine halbe Sekunde damals 1968, und sein Leben wäre anders
       verlaufen. Aber so konzentrierte er sich auf den Beruf, verlor den Sport
       aus den Augen. So geht es vielen Altathleten: Sie waren sehr gute Sportler,
       aber irgendetwas kam ihnen dazwischen: eine Verletzung, schwindende
       Motivation - oder "die Familienplanung", wie Gabi Horwedel sagt.
       
       Horwedel von der LG Rhein-Wied ist 50. Sie ziert sich nicht, ihr Alter zu
       verraten. In ihrer Altersklasse ist sie im Sprint nicht zu schlagen. Den
       Kurzsprint über 60 Meter gewinnt sie in 8,58 Sekunden, die halbe
       Stadionrunde in 28,99 Sekunden. "In der Jugend war ich ziemlich gut", sagt
       die Mutter von drei Söhnen, "da bin ich die 100 Meter in 11,8 Sekunden
       gelaufen." Wegen der Kinder hat sie aufgehört, doch "1996 wollte ich noch
       einmal wissen, was in mir steckt. Ich hatte ja nie den Traum aufgegeben,
       noch einmal Sport zu machen." Drei Jahre später wurde sie bei der
       Senioren-WM in Gateshead Weltmeisterin mit der Sprintstaffel. Danach haben
       ihr die Söhne die E-Mail-Adresse "schnelle-gabi" eingerichtet. Obwohl sie
       zwei Titel in Erfurt holt, behauptet sie: "Ich bin nicht in Topform." Sie
       habe viel zu tun als Chefin der Stadtkasse in Andernach. Deswegen kann sie
       auch nicht am kommenden Wochenende zu den Weltmeisterschaften nach
       Clermont-Ferrand fahren.
       
       In Frankreich wird es Dopingtests geben. In Erfurt bei den
       Hallenmeisterschaften gibt es ganze acht - für 650 Athleten. Horwedel und
       Müller sind noch nie getestet worden. Sie distanzieren sich freilich von
       der Einnahme unerlaubter Mittel. "Ich ernähre mich gesund und trainiere",
       sagt Horwedel. "Ich bin nicht verdächtig", versichert Müller. Andere sind
       es schon. Als der Deutsche Leichtathletik-Verband 1992 anfing zu testen,
       wurde gleich ein Werfer erwischt. Der Mann war 71. Immer wieder werden
       positive Proben gezogen. Die Namen der betagten Doper: Hella Böker,
       Erberhard Kliesch, Werner Schallau, Josef Muschinski, Klaus Liedtke, Ralf
       Prochnau und Jan Voigt. Meist sind es Hammerwerfer und Kugelstoßer, die
       Pillen schlucken, aber auch Sprinter und Langstreckler manipulieren.
       Altersgrenzen gibt es beim Doping nicht.
       
       Weil Müller Medikamente nehmen muss, hat er sich zwei Mittel von der
       Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) "bestätigen" lassen. Und weil er den
       Kampf gegen Doping offensiv führen wollte, hat er mit anderen Sportlern die
       "Vaterstettener Erklärung" verfasst, in der sich die Senioren zum sauberen
       Sport bekennen können. 600 Unterschriften gibt es bereits, allerdings hatte
       seinerzeit auch Jan Voigt, einer der Erwischten, unterschrieben. "Jetzt ist
       er nach seiner Sperre wieder dabei", sagt Müller und verzieht das Gesicht.
       "Nun gut, man kann ihm das Startrecht nicht verweigern." Voigt wird Zweiter
       im Hammerwurf in der Altersklasse M50 - und erscheint natürlich nicht beim
       Antidopingseminar, das der DLV in der Halle anbietet.
       
       DLV-Ärztin Anne Jacob hat in einem Hinterzimmer Fläschchen ausgepackt und
       Infobroschüren, zum Beispiel das "Handbuch für eine faire
       Seniorenleichtathletik", aber niemand kommt. "Nu ja, man kann se ja nisch
       zwingen", sächselt Jacob. So hat sie Zeit, mit der Presse zu reden. "Wir
       sind froh, dass wir überhaupt Tests haben, gucken Se doch mal in andre
       Länder", sagt sie. Aufklärung tue not, wichtig sei vor allem das Beantragen
       von Ausnahmegenehmigungen. 700 gebe es bei der Senioren-WM, "die meisten
       aus Deutschland".
       
       Noch immer lässt sich kein Sportler blicken. Draußen im Hallengang hat
       derweil Klaus Heidinger sein Krankenlager aufgeschlagen. Der Knöchel ist
       dick bandagiert. Er wartet auf den Transport ins Erfurter Klinikum. Traurig
       schaut der Rentner in die große Sporthalle, in der seine Altersgenossen um
       Medaillen kämpfen. Er wird keine mehr gewinnen.
       
       8 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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