# taz.de -- Debatte Studiengebühren: Eine Ich-AG namens Student
       
       > Warum ausgerechnet 500 Euro? Die Logik der Studiengebühren erschließt
       > sich erst mit den neuen Studienordnungen: Das Sammeln von Credit Points
       > wird zum Selbstzweck.
       
 (IMG) Bild: Eindeutige Botschaft: protestierende Studenten in Kassel.
       
       Die Wahlen in Hamburg haben gezeigt: Junge Bürger wählen SPD. 12 Prozent
       haben die Sozialdemokraten bei den unter 30-Jährigen hinzugewonnen, so viel
       wie keine andere Partei. Ein Grund waren sicher die Studiengebühren, die
       die SPD wieder abschaffen wollte. Die Union hingegen manövrierte sich bei
       den Jungen ins Abseits und stand nur noch bei den über 60-jährigen an
       erster Stelle.
       
       Die Hamburger CDU hat schnell gelernt: Sie ist offenbar bereit, bei den
       Studiengebühren einen Kompromiss einzugehen, wie die Grünen nach ersten
       Sondierungsgesprächen verlauten ließen. Auch in Hessen sind die
       Studiengebühren ein Thema. Es besteht die Hoffnung, dass dieses
       marktradikale Instrument der sozialen Selektion auch bundesweit nur ein
       kurzfristiges Experiment bleibt.
       
       Soziale Selektion? Die Unterstützer der Studiengebühren werden sich
       missverstanden fühlen, ist doch ihr Hauptargument ebenfalls ein soziales:
       80 Prozent der Studierenden kommen aus einkommensstarken Familien, da sei
       es ungerecht, wenn die ärmeren Schichten den Reichen via Steuern das
       Studium mitfinanzierten, zumal ein Studium wiederum zu höherem Einkommen
       führe. Studiengebühren würden die Bildungskosten also gerechter verteilen.
       
       Zugegeben, um Gerechtigkeit und Gleichheit in ein ethisches Verhältnis zu
       setzen, bedürfte es einer längeren Analyse. Doch ist die hier propagierte
       Gerechtigkeit nicht ohnehin eine nachgeschobene, die einen vorgängigen
       Fehler verdecken soll?
       
       Dass es in Deutschland nur gut situierten Menschen gelingt, bis zur
       Hochschulreife vorzudringen, liegt an einem selektiven Schulsystem.
       Internationale Erhebungen zeigen immer wieder, dass arme Kinder in unseren
       Schulen vorzeitig ausgesondert werden. Diese Ungerechtigkeit nun zu
       verfestigen, indem man die soziale Selektion auf Hochschulen ausweitet,
       kann eigentlich niemand wollen. Doch Studiengebühren schrecken bereits
       benachteiligte Menschen vom höheren Bildungsweg ab. Die soziale Spaltung
       wird vertieft.
       
       Dass Gebührenbefürworter darauf verweisen, Ärmere könnten schließlich ein
       Studiendarlehen erhalten, zeugt von wenig Veränderungswillen. Kredite
       schrecken ab. Allein die anfallenden Zinsen können den ursprünglichen
       Kreditbetrag schnell übersteigen. Verschuldung ist ein Risiko, das jeder
       gerne vermeiden möchte und sollte - vor allem, wenn man gerade erst der
       Schule entwachsen ist.
       
       Das soziale Argument entpuppt sich in den meisten Bundesländern ohnehin als
       Mogelpackung, denn eine wirkliche Umverteilung der Lasten wurde gesetzlich
       verhindert: Mit Studiengebühren sollen keine Haushaltslöcher gestopft
       werden, hieß es bei der Einführung. Nur unmittelbare Verbesserungen des
       Studiums dürfen finanziert werden. In der Praxis zahlen die Ärmeren also
       weiterhin für das Studium der oberen Schichten - nur dass Letztere noch ein
       Sahnehäubchen von rund 8 Prozent zuschießen: ein Bus für Ausflüge, ein
       neuer Beamer, bequemere Bestuhlung 
       
       Die tatsächlichen Gründe für Studiengebühren sind nur im Zusammenhang mit
       der Hochschulreform zu verstehen. Im Bologna-Prozess, der Angleichung an
       den europäischen Hochschulraum, wurde versucht, auf strukturelle Probleme,
       insbesondere der "Massen-Universitäten", zu reagieren. Man konstatierte
       einen Missbrauch der zugesprochenen Autonomie - ob solcher überhaupt
       denkbar ist, sei einmal dahingestellt -, weil einzelne Professoren nicht
       mehr in Kontakt zu ihren Studenten traten oder aber die Verwaltung sich
       weigerte, die realen Quantitäten in Hörsälen zur Kenntnis zu nehmen.
       
       Der Ruf nach mehr Kontrolle wurde laut, und es entstand die schwierige
       Situation, Regulative in einen Bereich einzuführen, der gleichzeitig
       autonom bleiben sollte. Die Lösung schien in inhaltsneutralen
       Evaluationstechniken zu liegen. Doch was ist schon neutral, wenn es um
       Bewertung geht? Vor allem, wenn man die Ausarbeitung externen Beratern
       überlässt, welche ihre Interessen auch prompt mit einbrachten: Die Ansicht
       der Industrie, an den Unis gehe es nicht effektiv zu und die Autonomie des
       dortigen Betriebs beachte nicht genug die Bedarfe der Wirtschaft, verband
       sich dabei mit dem Wunsch großer Konzerne, den neuen Wirtschaftsraum
       "Bildung" zu erschließen.
       
       Es gelang einer mächtigen Lobby, allen voran der Bertelsmann-Stiftung mit
       ihrem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), die Hochschulen in
       unternehmensähnliche Gebilde umzubauen. Studierende sind in solchen
       Einrichtungen keine aufgeklärten Menschen, die sich gemeinschaftlich um den
       Fortbestand und die Weiterentwicklung der Fachdiskurse bemühen, sondern
       können systembedingt nur als Kunden in Erscheinung treten.
       
       Als Unternehmer in eigener Sache investieren sie in Bildung, um später, auf
       dem Arbeitsmarkt, Kapital daraus zu schlagen. Hier ist der Ursprung der
       Studiengebühren in Deutschland zu finden: in einer Welt der
       Wertäquivalenzen und Verrechenbarkeiten. Die Höhe der Studiengebühren wurde
       dabei völlig willkürlich festgesetzt. Jene 500 Euro, die in den meisten
       Gebühren-Bundesländern erhoben werden, haben - wie bereits gezeigt - keine
       fiskalische Begründung. Es handelt sich um einen mehr als symbolischen
       Kostenbeitrag, wie auch die heute an den Universitäten praktizierte
       Bewertungsökonomie als hypersymbolisch zu verstehen ist.
       
       Der Kundenaspekt allein hätte noch nicht die existenzielle Tragweite für
       die Studierenden, wie sie durch die Kombination von Gebühren mit neuen
       Studienordnungen entsteht. Durch das Bachelor-Master-System wurde das
       Studium stark verschult. Die starren jährlichen Leistungsvorgaben
       reduzieren mögliche Lebensweisen auf eine einzige Norm: Pauken ohne
       Freiraum und ohne Experimentiermöglichkeit. Studiengebühren sind vor allem
       eine wirkungsvolle Disziplinarmaßnahme.
       
       Schnell wird bei solchen Vorgaben das Sammeln von Credit Points zum
       Selbstzweck. Und auch bei den Lehrenden etablieren sich Zwecke, die eher in
       den neu eingeführten Regulativen und Bewertungstechnologien wurzeln, als
       dass sie inhaltlich zu rechtfertigen wären: Kennziffernsteuerung,
       Evaluationen und Rankings schreiben sich strukturell in den
       wissenschaftlichen Alltag ein. Erste Untersuchungen zeigen, wie
       Evaluationen vor allem kurzfristige Popularität herausarbeiten und wie
       Zielvereinbarungen betriebswirtschaftliches und selbstdarstellerisches
       Geschick befördern. Erste Seilschaften wurden gesichtet, die sich
       gegenseitig hoch bewerten.
       
       Die Universitäten wurden privatisiert, ohne in Privateigentum übergegangen
       zu sein. Ein beklemmender, demokratiefreier Raum ist entstanden.
       Öffentlichkeit und politisches Handeln im Sinne Hannah Arendts sind dort
       jedenfalls nicht erwünscht. Folgerichtig wurde Hamburger Professoren
       verboten, sich eigenmächtig zu "politisch diskutierten" Themen zu äußern.
       Zum Beispiel zu Studiengebühren.
       
       10 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Wörler
       
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