# taz.de -- Berliner Ökonomie: Erlebnisbericht aus der Nasszelle
       
       > Was die Moskauer U-Bahn mit dem Schamhaarausfall der Bourgeoisie und dem
       > deutschen Gully-Sonderweg zu tun hat.
       
 (IMG) Bild: Im Jacuzzi: Der Ort, wo die Bourgoisie Politik macht - und Schamhaare büschelweise verliert - hier "Charlie Wilson" bei der Arbeit.
       
       Die Künstlerszene lässt sich für den Kunsthistoriker Pavel Pepperstejn in
       zwei Existenzformen unterteilen: das "Zellendasein" und das
       "Gemeinschaftsleben". Er führt diese Teilung auf christliche
       "Eremiten/Mönche" und "Priester" zurück, die er auch noch im Kommunismus
       wiedererkennt: in "Stalins Kabinett" einerseits und den "Massenbewegungen"
       andererseits. Eine Aufteilung, die er auch auf die Öffentlichkeit der
       Sowjetunion überträgt. Die "Verkehrsräume", so Pepperstejn, seien
       sakralisiert und gleichsam als neue "Kathedralen" für das
       Gemeinschaftsleben errichtet worden: die Moskauer Metro, Bahnhöfe, Kanäle
       usw. Er zählt dazu auch die gelenkten Besucherschlangen auf dem Roten
       Platz, die sich nach unten ins Lenin-Mausoleum bewegen - so quasi "durch
       den Darm der Initiation schieben". Zur sowjetischen Öffentlichkeit gehörten
       ihm ferner die Zeitungen, die hernach als Toilettenpapier benutzt wurden.
       In der Einsamkeit der Klozelle wiederum habe das eine "besondere Art des
       analen Lesens und der analen Information" erzeugt.
       
       Hierbei verband sich ihm Gemeinschaftlichkeit mit Privatheit. Für
       Pepperstejn ist "die Welt der Toilette in einer Stadtwohnung die maximale
       Variante der stillen Zurückgezogenheit". Im Gegensatz zu den Künstlern, die
       ein "Gemeinschaftsleben" führen (wollen), besteht das "Zellendasein" ihrer
       Kollegen darin, dass sie die Medien meiden und gewissermaßen "ständig auf
       dem Klo sitzen". Dabei kommunizieren sie mit der Öffentlichkeit nicht in
       der "mentalen Horizontalen", sondern eher in der "mentalen Vertikalen" -
       wobei sie "das Kanalisationssystem in den Häusern der Stadt" imitieren.
       
       In seinem Roman "Die Enden der Parabel" hat Thomas Pynchon diese
       exkrementale Initiation mit ihrer ganzen schmutzigen Verlaufsform und
       anschließenden Unsterblichkeit am Beispiel von "Byron, der Glühbirne"
       durchgespült. Und Sigmund Freud kam bei seinen Analysen der bürgerlichen
       Psyche und ihrer von allen Exkrementen säuberlich abgesonderten
       Sozialisation zu dem Schluss, dass es dabei, speziell in der analen Phase,
       zu einer fatalen Verschiebung von Scheiße zu Geld komme, das nun
       zurückgehalten werde. Noch in der Studentenbewegung tat man Leute, die
       übergroßen Wert auf Sauberkeit und Ordnung legten, als "Analkacker" ab.
       
       Mit der neuen Wellness-Bewegung und ausufernden Nasszellen-Kultur ist ein
       solcher Charakter nun fast (wieder) erstrebenswert geworden. In Ostberlin
       ließ man 1990 im Batteriewerk Oberschöneweide das geräumte Büro des
       Parteisekretärs als Erstes zu einem so genannten "Investorenscheißhaus"
       umbauen. Der Raum wurde spanisch gekachelt und mit Topfpalmen dekoriert.
       Die Spülung der Pissbecken funktionierte automatisch über Lichtsensoren.
       Dieser Einzug von Hightech in den "stillen Ort" galt dem Philosophen
       Jean-Francois Lyotard als Signum der Postmoderne. Er begegnete ihm
       erstmalig 1980 auf der Toilette des Fachbereichs Informatik der Universität
       Aarhus, wo er ihn als "neue Aussage" begriff.
       
       Im Osten wurden nach der Wende Millionen Privatkredite zur Modernisierung
       von Toiletten ausgegeben. Ganze Kommunen ruinierten sich mit dem Bau von
       überdimensionierten Kläranlagen sowie neuer Kanalisation. Ganz Deutschland
       ist seit dieser gigantischen, nachgeholten Aufrüstung des Sanitärbereichs
       quasi "analfixiert". In Autobahntoiletten wird neuerdings jede etwa
       zweistündige Reinigung schriftlich für den Benutzer dokumentiert. Und
       unterbezahlte ausländische Putzfrauen beschreiben in ihren
       Erlebnisberichten die unappetitlichsten Details der Nasszellen ihrer
       neureichen Arbeitgeber.
       
       Zuletzt bemerkte die amerikanische Professorin und Kurzzeit-Putzfrau
       Barbara Ehrenreich nach der Entfernung von regelrechten Schamhaarbüscheln
       aus den Jacuzibädern ihrer Auftraggeber, dass die Bourgeoisie geradezu
       epidemisch von Schamhaarausfall befallen sei. Inzwischen ist die Körper-
       und Schamhaarrasur modisch bis in die untersten Klassen gedrungen. Da, wo
       es kein Sitzbad in den Nasszellen gibt, wird das Haar in der Toilette
       weggespült, wobei man es in der Schüssel noch einmal kontrolliert. Das ist
       jedoch nur hierzulande möglich, das heißt, wenn man noch einen der einst
       von den Nationalsozialisten favorisierten "Flachspüler" benutzt und keinen
       Tiefspüler wie alle anderen Völker. Der korsische Nasszellenforscher
       Guillaume Paoli spricht deswegen bei dieser Form der fäkalen
       Entsorgungszwischenlagerung von einem "deutschen Sonderweg zum Gully", der
       nur langsam - infolge der Amerikanisierung - verschwinde.
       
       11 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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