# taz.de -- Chinesischer Künstler Song Dong: Die Dinge des Lebens
       
       > Das Aufheben von Kram wird wieder wichtig. Davon erzählt "Waste Not" von
       > Song Dong und seiner Mutter in der Ausstellung "Re-Imagining Asia" im
       > Berliner HdKW.
       
 (IMG) Bild: "Waste Not" von Song Dong: Nach dem Tod des Vaters geriet die Sammelleidenschaft der Mutter außer Kontrolle.
       
       Unzählige Blumentöpfe, zum Teil mit Erde gefüllt, Stapel von vergilbten
       Magazinen und aus Kernseife, eine lange Stuhlreihe, Flaschen,
       Medikamentenschachteln, aufgetürmte Kleidungsstücke und vieles mehr ist mit
       größter Sorgfalt im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin
       ausgebreitet. Hier scheint sich ein ganzer Hausstand versammelt zu haben.
       Ob diese sichtlich verstaubten und eher altmodisch wirkenden
       Alltagsgegenstände alle in das kleine Haus gepasst haben, das wie ein
       Skelett dazwischen steht? Nein, der wiedererrichtete Rohbau aus 100 Jahre
       altem Holz wurde ebenfalls aufbewahrt, wie alles andere, was hier zu sehen
       ist. Er gehört wie das Meer der Dinge um ihn herum zu der Installation
       "Waste Not" des chinesischen Künstlers Song Dong. Über zwei Wochen baute er
       an der Installation dieses Inventars der Erinnerung. Sie ist Teil der
       gerade eröffneten Ausstellung "Re-Imagining Asia" im Haus der Kulturen der
       Welt.
       
       "Oh nein", durchfährt es einen beim ersten Anblick des ausufernden
       Sammelsuriums. Leicht erschüttert möchte man sich gleich wieder abwenden
       und kann doch nicht anders, als zu schauen, zu staunen und zu entdecken,
       was hier alles versammelt ist. Ein bisschen beeinflusst einen dabei das
       Gefühl der Exotik, das aufkommt, weil alles, das zu erblicken ist, aus
       China stammt. Dabei sind eigentlich nur alltägliche Dinge aus den 50er,
       60er und 70er Jahren zu sehen. Je länger man hinschaut, desto mehr Details
       nimmt man wahr, desto persönlicher und fast vertraut erscheinen die Dinge
       auf einmal. Einiges ist sehr ärmlich, anderes veraltet und bei vielem fragt
       man sich, wozu das denn überhaupt gut sein soll?
       
       Für Song Dongs Mutter Zhao Xiangyuan, die im Laufe ihres Lebens all das,
       was sich im Foyer ausbreitet, gesammelt hat, stellt sich die Frage nicht.
       "Waste not", im chinesischen "Wu jin qi yong", umschreibt die
       Lebensphilosophie ihrer Generation, die mit Krieg, Vertreibung, Hunger und
       Mangelwirtschaft groß geworden ist.
       
       Hinter der Installation steckt aber mehr als ein Versuch, durch Kunst die
       historische Erfahrung des Mangels in China zu reflektieren. Sie war vor
       allem Song Dongs letzte Hoffnung, als es darum ging, die Mutter von ihrer
       tiefen Trauer nach dem plötzlichen Tod des Vaters zu befreien. Damals
       geriet die Sammelleidenschaft der Mutter außer Kontrolle. Von nun an
       behielt sie nicht nur alles, sondern verstreute die Dinge auch im ganzen
       Haus. "Dies schien ihre Art zu sein, mit der plötzlich erzeugten Leere
       umzugehen. Meine Schwester und ich versuchten hinter ihr her zu räumen und
       schmissen auch einiges weg, aber dadurch kam es nur zu unnötigen
       Konflikten."
       
       Zur Zeit der Güterknappheit war die traditionelle Tugend der Sparsamkeit
       und des Aufbewahrens Gold wert, in Zeiten des Warenüberflusses wird die
       einstmalige Überlebensstrategie aber schnell zu einer Last. Im Jahr 2005,
       drei Jahre nach dem einschneidenden Ereignis, war Zhao Xiangyuan
       schließlich bereit, das Prinzip von "waste not" gemeinsam mit ihrem Sohn zu
       nutzen, um daraus Kunst zu machen. "Eigentlich müsste ihr Name vor meinem
       stehen", findet Song Dong, "denn ohne sie gäbe es das Projekt gar nicht."
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass Song Dong aus dem eigenen Leben schöpft.
       So schreibt er zum Beispiel seit 1995 an einem "Writing Diary with Water".
       Mit einem Kalligrafiepinsel notiert er seine unsichtbaren Tagebucheinträge
       auf einem ausgewählten Steinblock. Ohne Skrupel kann er so sagen, was er
       denkt, und sein Leben fühlt sich entspannter an. Im Fall von "Waste Not"
       war die erhoffte Rückwirkung auf das Leben sogar ausschlaggebend. Wichtiger
       als die Kunst ist ihm der Einfluss auf die isolierte und von Kummer
       geprägte Welt der Mutter. "Sie hat durch dieses Projekt ein neues
       Wertgefühl bekommen. Ich habe ihr eine Brücke zur Überwindung des Schmerzes
       geschaffen", erzählt er stolz.
       
       So verbindet Song Dong das Kunstmachen mit einer tief verwurzelten
       ethischen Tradition der chinesischen Kultur: den Familienbeziehungen. Zaho
       Xiangyuans bleibt sichtbar: Sie wählt nicht nur aus ihrer Kollektion aus,
       was in die Installation kommt, sondern baut auch unter dem prüfenden Blick
       der Öffentlichkeit aktiv mit auf.
       
       Während die Mutter sich freut, dass die Dinge, die so lange gewartet haben,
       nun doch noch von Nutzen sind, regt das Projekt aber tatsächlich auch zum
       Nachdenken über den gesellschaftlichen Umgang mit Erinnerungen und
       Geschichte an. Song Dong findet zwar, dass Veränderungen wichtig sind, der
       rasanten Stadterneuerung in seiner Heimatstadt Peking kann er aber nicht
       zusehen, ohne davon emotional betroffen zu sein. Das häusliche Gerippe in
       der Show ist damit auch als kritischer Kommentar auf den Abriss
       traditioneller Häuser und ganzer Viertel im heutigen China zu verstehen.
       
       Als nach der ersten Präsentation von "Waste Not" das Tate Liverpool die
       Installation für ihre Sammlung erwerben wollte, entschied sich die Mutter
       dagegen. "Ich akzeptiere, dass sie ihre Erinnerungen nicht verkaufen
       möchte", sagt Song Dong und fügt noch hinzu, "man muss nicht alles zu Geld
       machen."
       
       15 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Gwendolyn Schneider
       
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