# taz.de -- Schöffenwahl: Richten mit Menschenverstand
       
       > Rund 6.000 Schöffen begleiten die Prozesse an Berliner Gerichten. Die
       > Laien haben bei der Urteilsfindung dasselbe Stimmrecht wie die Richter.
       > Nun werden neue Justizamateure gesucht.
       
       Felix Maxim war nicht begeistert, als er erfuhr, das Einwohnermeldeamt habe
       ihn per Zufallswahl zum Schöffen für das Landgericht bestimmt. Der Geologe
       dachte schon darüber nach, wie er sich vor diesem Ehrenamt drücken könnte.
       Zuvor erkundigte er sich bei einer befreundeten Rechtsanwältin, was das
       denn sei, ein Schöffe. Die Juristin erklärte es ihm und riet, die Wahl
       anzunehmen: "Da kannst du was lernen!" Die Prophezeiung hat sich
       bewahrheitet.
       
       Nach einigen kurzen und weniger interessanten Verfahren erlebte der damals
       27-Jährige dann auch die Spannung eines Indizienprozesses: Drei Ganoven
       hatten aus Rache einen Kumpan getötet und anschließend auf einer Müllkippe
       verbrannt. Vor Gericht schwiegen die Angeklagten, die Tat musste ihnen
       Schritt für Schritt bewiesen werden. 1999 endete Maxims dreijährige
       Amtsperiode als Schöffe. Verlängern wollte er sein Engagement nicht, doch
       seine Erlebnisse als Laienrichter bleiben ihm in guter Erinnerung.
       
       Nun werden in Berlin wieder 6.000 Schöffen für das Landgericht und das
       Amtsgericht Tiergarten gesucht. Sie sollen gemeinsam mit den Berufsrichtern
       Urteile fällen. Die Laienrichter, die möglichst aus allen
       gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen kommen sollen, sind Garanten
       für die Urteilsformel "Im Namen des Volkes".
       
       Doch wie in jeder Amtsperiode melden sich auch für die kommende zu wenige
       interessierte Berliner. Der Grund für die Zurückhaltung ist laut Hasso
       Lieber Unwissenheit. "Nur den wenigsten ist klar, was ein Schöffe wirklich
       macht", sagt der Justizstaatssekretär, der zugleich Vorsitzender des
       Bundesverbandes ehrenamtlicher Richter und Richterinnen ist.
       
       Die "Richter ohne Robe" haben dasselbe Stimmrecht wie ein Berufsrichter.
       Sie entscheiden zum Beispiel darüber, ob Fragen an Zeugen abgelehnt werden
       oder ob Anträgen nachgegangen wird. Am Ende des Prozesses urteilen sie
       gemeinsam mit den Berufsrichtern. Weil dies nur mit einer
       Zweidrittelmehrheit geht, müssen die Berufsrichter also mindestens einen
       der Laien überzeugen.
       
       Zur Übernahme des Schöffenamtes ist jeder Staatsbürger berechtigt, aber
       auch verpflichtet. Die 2009 beginnende Amtszeit beträgt erstmals fünf
       Jahre. Für diese Tätigkeit kann man sich bis Ende April bei den
       Bezirksämtern bewerben. Gibt es nicht genügend Interessenten, werden die
       Kandidaten über das Melderegister gesucht. Davon hält Lieber aber nichts.
       "Leute, die zwangsweise herangezogen werden, versehen ihre Aufgabe nicht
       ordnungsgemäß."
       
       Schöffen treten immer zu zweit auf und sitzen zu beiden Seiten der ein bis
       drei Berufsrichter. Bevor ein Schöffe das erste Mal an einem
       Gerichtsverfahren teilnimmt, wird er vereidigt: "Ich schwöre, die Pflichten
       eines ehrenamtlichen Richters getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik
       Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Berlin und getreu dem Gesetz
       zu erfüllen, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu
       urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott
       helfe." Der Eid kann auch ohne die letzten fünf Wörter geleistet werden.
       Wer aus Gewissensgründen überhaupt nicht schwören will, sagt "ich gelobe".
       Der Eid gilt für die gesamte Amtsperiode.
       
       Schöffen können vor dem Prozess keine Akteneinsicht nehmen. "Eine
       Viertelstunde vor der Verhandlung erklärt uns der Richter, um was es geht",
       sagt Helmut Caspary, Schöffe und Vorstandsmitglied im Bund ehrenamtlicher
       Richter und Richterinnen. Diese Unvoreingenommenheit ist durchaus
       erwünscht; die Laienrichter sollen mit ihrem gesunden Menschenverstand
       urteilen und damit ein Korrektiv zum paragrafengeschulten Berufsrichter
       bilden.
       
       Während der Verhandlung haben Schöffen das gleiche Fragerecht wie die
       Richter, Staatsanwälte und die am Prozess beteiligten Rechtsanwälte. Doch
       nicht alle Laienrichter machen davon Gebrauch: Manche trauen sich nicht,
       und manchmal ist es der Vorsitzende Richter, der die Anwesenheit seiner
       Laienkollegen einfach übergeht, hat Caspary beobachtet. Schöffen sind auch
       dabei, wenn das Gericht am Richtertisch Fotos oder Tatwaffen in Augenschein
       nimmt. "Es ist ein Amt, das den ganzen Mann und die ganze Frau fordert,
       sagt Hasso Lieber. Als Schöffe übernehme man Verantwortung für die
       Gesellschaft. Man entscheidet, ob jemand noch eine Chance bekommt und
       wieder auf die Gesellschaft losgelassen wird. "Es gibt kaum einen Bereich,
       der sich für die Gesellschaft so öffnet, wie dieser", so der
       Staatssekretär.
       
       Helmut Caspary bewirbt sich jetzt für eine weitere Amtsperiode. Es ist
       seine letzte, denn Schöffen können maximal zweimal tätig werden. Der
       67-jährige Rentner ist für seine Tätigkeit bestens präpariert: Über hundert
       Prozesse verfolgte er im vergangenen Jahr im Moabiter Kriminalgericht.
       Seine Erfahrungen gibt er bei den regelmäßig stattfindenden
       Schöffenstammtischen des Bundes der ehrenamtlichen Richter und Richterinnen
       weiter.
       
       25 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Eisenhardt
       
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