# taz.de -- Tempelhof-Nachnutzung: Die Hinwendung zum Raum
       
       > Der Umbau des Flugfeldes in Tempelhof soll zum Maß für kreative
       > Stadtentwicklung werden, fordert Ingeborg Junge-Reyer. Ein Holländer will
       > einen Berg.
       
 (IMG) Bild: Ein hippes Multimedia-Zentrum ist durchaus vorstellbar in der Abfertigungshalle von Tempelhof.
       
       Ayers Rock. Der rote Felsbrocken aus der australischen Wüste liegt quer
       über dem Flugfeld von Tempelhof. Bart Brands hat die beiden Bilder
       ineinander kopiert. Um selbst zu sehen, was passiert. Und um den
       versammelten Planern, Politikern und Verwaltungsmitarbeitern zu zeigen, was
       passieren könnte auf dieser Brache, die der Flughafen in Kürze hinterlassen
       soll. "Alle schwärmen von dieser beeindruckenden Weite", sagt der
       Landschaftsarchitekt aus Hilversum und blickt durch die Panoramafenster des
       einstigen Flughafenrestaurants. "Aber ich bin Holländer, für mich ist das
       nichts Besonderes." Er schwärmt von Bergen. Zur Not von künstlichen.
       
       Bart Brands Berg ist nur eine Anregung. Der echte Ayers Rock würde mit
       einer Länge von drei Kilometern selbst die Ausmaße der gigantisch wirkenden
       Tempelhofer Wiese übersteigen. Aber Brands Vorschlag bleibt leider der
       einzige an diesem an sich informativen Mittwochnachmittag. "Raum für
       kreative Stadtentwicklung" hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
       das Expertenhearing über die Zukunft des Tempelhofer Feldes überschrieben.
       
       Die zuständige Senatorin legt gleich zum Auftakt die Latte auf die
       höchstmögliche Stufe. "Tempelhof muss zum Maß aller Dinge werden", fordert
       Ingeborg Junge-Reyer (SPD). "Wir wollen eine internationale Bauausstellung
       mit den besten Architekten." Neue Wohnformen für unterschiedliche
       Lebensformen. Flexible Planung über einen langen Zeitraum. Kultur als
       Standortfaktor. Und den Beweis, dass Ökologie atemberaubend sein kann. All
       das will Junge-Reyer auf der "Tempelhofer Freiheit" verwirklicht sehen. Und
       mit alldem liegt sie weit vorn in der stadtentwicklungspolitischen Debatte.
       
       Dass sich solch hochgesteckten Ziele verwirklichen lassen, berichten die
       geladenen Experten aus westeuropäischen Nachbarländern. So schwärmt der
       Schweizer Architekt Patrick Gmür von einer der letzten möglichen
       Innovationen im Wohnungsbau, die er in Zürich verwirklicht hat: 25
       Quadratmeter große Balkone, auf denen man mit dem Kinderwagen eine Schlaufe
       fahren könne. Ansonsten müsse zeitgemäße Architektur vor allem die
       veränderten Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigen. "Nur noch 20 Prozent
       leben in klassischen Familien. Und davon werden sich 50 Prozent noch
       trennen", rechnet Gmür vor. Deshalb dürfe man nicht nur für Familien bauen,
       sondern müsse auch preiswerte Wohnungen für junge Erstmieter oder
       Apartments mit "Jamie-Oliver-Küche" planen - für Alleinstehende, die
       allenfalls einmal pro Woche kochen, dann aber als Show für geladene
       Freunde.
       
       Sein Kopenhagener Kollege Carsten Lorenzen, der am Bau der Hamburger
       Hafencity beteiligt ist, betont hingegen den Wert von Äußerlichkeiten. Er
       forderte "das ablesbare Haus", das sich durch Prägnanz in Form und Fassade
       von den Nachbarschaft abhebt und so Identität schafft. Die Londoner
       Stadtplanerin Kathryn Firth berichtet von der Umnutzung eines
       Industriegeländes bei Paris. Und der holländische Architekt Kees
       Christiaanse warnt vor einer funktionalen Segregation innerstädtischer
       Straßen. Er fordert nicht nur technologische, sondern vor allem soziale
       Nachhaltigkeit beim Städtebau. Die lasse sich nur durch ein
       antihierarchisches Netz öffentlicher Wege und eine Mischnutzung in den
       Stadtvierteln verwirklichen.
       
       Doch trotz des anschaulichen Parforceritts durch die Wunderwelt der
       Stadtplanung wird im Publikum die Frage laut, was das denn alles mit
       Tempelhof zu tun habe. "Es geht heute nicht darum, Modelle von anderen
       Orten zu übernehmen, sondern unsere Pläne daran zu messen", betont die
       Senatorin. Eine erste Leitlinie hatte Junge-Reyer Anfang März vorgestellt:
       Um einen gigantischen Park in der Mitte gruppieren sich innovatives Wohnen
       im Norden, ein klassisches Wohnviertel an der Grenze zu Neukölln und Raum
       für Zukunftstechnologie im Süden. Das Flughafengebäude soll die
       Kreativbranche bevölkern.
       
       "Das ist klar, einfach, gut und verständlich", urteilt Patrick Gmür. "Das
       ist business as usual", schimpft der Architekturprofessor Matthias
       Sauerbruch im Publikum. Er fordert mehr Mut und Radikalität bei der
       Planung. Auf dem Podium bezweifelt ausgerechnet Martin Heller, dass die
       Ansiedlung von Creative Industries in dem weitgestreckten Bau funktionieren
       könne. Heller, Intendant des Projektes Kulturhauptstadt 2009 im
       österreichischen Linz, hatte zuvor als Fachmann allgemein über die Frage
       "Wie wird ein Standort kreativ?" referiert. Konkret zu Tempelhof aber fällt
       dem Kulturunternehmer nichts ein: "Ich kapituliere vor der Größe des
       Geländes."
       
       Der Landschaftsarchitekt Bart Brands setzt daher auf einen anderen Akteur:
       die Bevölkerung. Das Areal müsse schnell geöffnet werden. Aus der Nutzung
       der Anwohner könne man dann langsam Schritt für Schritt Pläne für den Park
       entwickeln. Und man müsse fragen, was der Stadt fehle. Eine Baumschule? Ein
       Obstgarten zum Selberpflücken? Ein Aussichtspunkt?
       
       Der würde ganz nebenbei die laut Christiaanse "kräftige Anwesenheit eines
       Gebäudes mit Funktionskrise" etwas in den Schatten stellen. Es muss ja
       nicht gleich eine Kopie von Ayers Rock sein. Brands empfiehlt Recycling.
       Das sei billig. Die Anhäufung von Schrott und Müll, ein Trümmerberg. Damit
       kennt Berlin sich aus.
       
       4 Apr 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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