# taz.de -- Berlin-Biennale: Kunstvolle Cocktails
       
       > Nicht für jeden erschließt sich die bei der Berlin-Biennale ausgestellte
       > Kunst auf den ersten Blick. Die KuratorInnen bieten deswegen besondere
       > Führungen an.
       
 (IMG) Bild: Etwa 300 Gruben umfasst das Werk "stripping" des Schweizer Künstlers Kilian Rüthemann, das auf der 5. Berlin Biennale zu begehen ist
       
       "Trinken Sie Ihren Martini mit Zitrone oder Olive?" Was sich anhört wie der
       Beginn einer Bar-Freundschaft, ist der Auftakt zu einer Führung durch die
       Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst. Das James-Bond-Getränk ist
       fester Bestandteil des "apéro", einer abendlichen Kurzführung durch
       ausgewählte Werke einer Ausstellung. Serviert wird es von einer jungen
       Frau, die als "Agentin" der Kunstvermittlung im Einsatz ist. Sie soll, so
       das Vermittlungskonzept der Biennale-KuratorInnen Adam Szymczyk und Elena
       Filipovic, ihr geheimes Wissen über die Werke mit den Besuchern teilen.
       
       So weit die charmante Theorie. Bei der Praxis hapert es kurz nach dem
       Eröffnungswochenende noch. Die junge Agentin hat vor lauter Aufregung den
       ganzen theoretischen Überbau vergessen - also stehen die BesucherInnen
       ratlos im Foyer der KunstWerke in Mitte und versuchen, ihren viel zu
       starken Martini in Rekordtempo zu kippen, damit die Führung losgehen kann.
       
       Die absurden Kurzperformances des Polen Cezary Bodzianowski, der sich gegen
       Hauswände stemmt und auf der Spree die "Toteninsel" nachspielt, passen zur
       angeheiterten Stimmung. Das Besuchergrüppchen stolpert kichernd in den von
       Ahmet Ögüt asphaltierten Raum - der Teergeruch vernebelt die Sinne
       zusätzlich. "Ground Control" sei ihre Lieblingsarbeit, sie habe 40.000 Euro
       gekostet, verrät die Agentin. Mehr will sie nicht mehr sagen, solange das
       Mikrofon einer Radioreporterin auf sie gerichtet ist: "Ich kann das so
       nicht."
       
       Die Krise der "Führungsperson" führt zu einer interessanten Diskussion über
       Sprechpositionen in der Kunstvermittlung: Wie viel Autorität braucht eine
       Führung? Wie viele Fakten, wie viel subjektive Deutungen braucht das
       Publikum, um die Kunst zu verstehen? Kommt es überhaupt darauf an, etwas zu
       verstehen?
       
       Das Eis ist gebrochen. Munter wird über den Schrein "Brutal Youth"
       gerätselt, der Hitler und die Konzeptband Devo gegeneinanderstellt.
       Musikexperten und in christlicher Ikonografie Belesene haben dabei der
       Agentin einiges voraus. Diese gerät im Lauf des Rundgangs mangels neuer
       Fakten oder interessanter Gedankengänge immer mehr ins Abseits der
       diskutierfreudigen Besuchergruppe. Ganz so war es mit der unsicheren
       Sprechposition wohl auch nicht gemeint. "Den Martini werden wir beim
       nächsten Mal erst hinterher servieren", sagt die Kunstvermittlerin am Ende
       etwas kleinlaut.
       
       Die vage Vieldeutigkeit, die bei modernen Kunst-Großereignissen wie der
       Berlin-Biennale zum Programm gehört, kann aber auch Spaß machen. Zum
       Beispiel im "Skulpturenpark", dem abgelegensten der drei
       Biennale-Hauptorte. Es hat etwas Poetisches, auf einer gottverlassenen
       Brache in Mitte auf eine unbekannte Verabredung zu warten. "Encounters"
       heißen die zwang- und kostenlosen Spaziergänge, die am Wochenende zu festen
       Zeiten stattfinden. Treffpunkt ist ein bunter Imbisswagen, der neben einer
       mit Teppichen ausgelegten Jurte steht, in der es Bionade gibt.
       
       Schwer zu erkennen, was Installation und was ernstgemeintes Essensangebot
       ist. Die wie zufällig auf die eingezäunten Grasflächen gestellten Objekte
       erklären sich nicht von selbst. Trotzdem streifen die Besucher unbegleitet
       herum. So kommt es zu einem sehr persönlichen Einzelrendezvous mit einer
       jungen Frau, die wie aus dem Nichts vor dem Imbiss auftaucht. Sie ist der
       dringend benötigte Faden durch den Skulpturenparcours. Nach einem Exkurs
       über absurde Investorengeschichten, die für zwei Jahrzehnte Leerstand in
       bester Lage sorgten, übernimmt die junge Frau die Führung.
       
       Sie klettert in die Zaun-Installation der tschechischen Künstlerin Katerina
       Seda, um drinnen festzustellen: "Es wäre besser gewesen, wenn sie keine
       Repliken, sondern die echten Zäune der Nachbarn ihres Herkunftsorts
       aufgestellt hätte." So bleibe das Anliegen, durch die Installation für das
       Einreißen der Nachbarschaftsbarrieren zu sorgen, bloße Behauptung. Zu allem
       Überfluss habe Seda die Besitzer der nachgebildeten Zäune nach Berlin
       eingeladen - während alle anderen zu Hause blieben. "Ob das zum sozialen
       Zusammenhalt im Dorf beiträgt?"
       
       Die Agentin bezaubert nicht nur durch ihren französischen Akzent, sondern
       durch ihr Detailwissen und ihre Meinungsstärke. Sie stellt Zusammenhänge
       her, hinterfragt die im Katalog stehenden Objektbeschreibungen und traut
       sich, von guter und schlechter Kunst zu sprechen - eine Seltenheit in
       dieser Branche, die auch das dümmste Werk als "interessant" abfeiert. Die
       fünf Birkenbäumchen, die Ulrike Mohr aus der Ruine des Palasts der Republik
       rettete und nun über das Gelände verteilt hat, wirken auch ohne Erklärung
       banal. Weiß man dazu, dass die erste Wahl der Künstlerin dafür das Dach der
       Neuen Nationalgalerie war, verstärkt sich die Beliebigkeit der
       Bäumchenkunst.
       
       Die kreisrund in den Matsch gestanzten Löcher des Land-Art-Künstlers Kilian
       Rüthemann und die fragile weiße Skulptur der Georgierin Thea Djordjadze
       finden dagegen die Zustimmung der Agentin. Zu beiden hat sie viele
       Geschichten zu erzählen. So viele, dass die Sonne bald tief über dem
       Skulpturenpark steht. Der Abstecher zum Video über eine schwedische
       Objektsexuelle, die die Berliner Mauer liebt, muss deshalb kurz ausfallen.
       "Es ist einfach, das als Performance zu sehen. Aber die Frau meint diese
       Liebe wirklich ernst." Mit diesen Worten verlässt die Kunstvermittlerin
       ihre einzige Besucherin und verschwindet hinter den Zäunen - fast wie im
       Agentenfilm.
       
       22 Apr 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
       
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 (DIR) Kassel
       
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