# taz.de -- Jazz im Radio: Paradies nicht in Sicht
       
       > Jazzredakteure bei den Öffentlich-Rechtlichen kämpfen hart gegen das
       > Verschwinden ihrer Programme. Es gibt schließlich etwas zu bewahren.
       
 (IMG) Bild: Ein Gesicht des Jazz: Der japanische Percussionist Shoji Hano im Improvisationsrausch.
       
       Beim Bayerischen Rundfunk ist der Jazz noch prominent und respektiert bei
       der Klassik angesiedelt und mit gut 40 Sendestunden pro Woche auch gut im
       Programm aufgestellt. Auch die Jazzsendezeit von Radio Bremen, dem
       kleinsten Funkhaus innerhalb der ARD, kommt statistisch gesehen auf eine
       ähnliche Sendestundenzahl. Doch der zuständige Redakteur Arne Schumacher
       korrigiert: Lediglich 30 Prozent Sendezeit seien im engeren Sinne dem Jazz
       gewidmet, Mischprogramme mit Jazzanteil dominieren. Man kämpfe hart gegen
       das Verschwinden, klagt Schumacher, da verlässliche Quoten für die
       Abendprogramme kaum verfügbar sind und man entsprechend wenig über die
       Jazz-hörende Zielgruppe weiß. Das Lamentieren wurde ansonsten erfrischend
       klein gehalten bei einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Jazz im
       öffentlich-rechtlichen Radio, die im Rahmen der Jazzmesse "jazzahead!" und
       des "2. German Jazz Meeting" am 18. und 19. April in Bremen stattfand.
       
       Der Musiker und Komponist Co de Kloet ist beim holländischen Radio NPS für
       Jazz zuständig. Nachdem seine Redaktion aus dem Klassiksender verbannt
       wurde, zog er die Glückskarte: Da man den Jazz nicht völlig liquidieren
       wollte, spendierte man ihm ein eigenständiges 24-Stunden-Programm. De Cloet
       berichtet von Sendungen, in denen Künstler ihre Lieblingsjazzalben
       auflegen, und auch von einer Programmschiene, in der Hörer aktuelle CDs
       kritisieren. Alles scheint easy, alles scheint möglich. Musiker aus aller
       Welt schicken seiner Redaktion ihre neuesten Aufnahmen, und wenn sie den
       Jazzexperten gefällt, wird sie auch im Radio gesendet. Wie bei YouTube und
       MySpace soll so auch bei NPS 6 zunehmend Musik zu hören sein, die es im
       Handel gar nicht gibt. Doch de Kloet ist auch besorgt - er wagt keine
       Prognose für sein Programm, wenn 2015 das terrestrische Radio abgeschaltet
       und nur noch digital gesendet wird.
       
       Auf der anderen Seite des Podiums meldet sich Thomas P. Illes zu Wort, der
       in der Schweiz das privat finanzierte Internetradio [1][SwissGroove.ch]
       leitet. Das Musiknonstopprogramm ist mit einem Jazzanteil bestückt, der
       sich besonders zum sekundären Hören eignet, und hat nach eigenen Angaben
       bis zu 30.000 Hörer pro Tag und viele Millionen Klicks pro Monat. Dass man
       diesen Zahlen auf dem Podium nicht recht trauen mag, kümmert die Macher
       wenig. Sie haben viel Geld in ihren Onlineauftritt investiert und machen
       sich intensivst Gedanken, wie sie die Idee auch ohne öffentliche Gelder auf
       eine wirtschaftliche Basis stellen können. Das Stichwort lautet Werbung -
       denn das Angebot, die Stücke, die einem gefallen, auch sofort online kaufen
       zu können, rechnet sich für die Investoren nur dann, wenn man über den
       entsprechenden Link auf ihrer Webseite zu Onlinestores wie Amazon gelangt
       und dann auch gleich kauft. Erwirbt man die Tunes erst zu einem späteren
       Zeitpunkt direkt in einem Online-Music-Store, entgeht dem
       Online-Radio-Machern die Provision.
       
       Das Paradies für Jazzradios ist soweit noch nicht in Sicht, und Zweifel
       sind berechtigt, ob ein wortfreies und kommerziell orientiertes
       Musikprogramm das Wort Radio überhaupt noch verdient. Von dem, was die
       Qualität des öffentlich rechtlichen Jazzradios einst ausmachte -
       wortgewaltige Kritik, ambitionierte Eigenproduktionen und hohe Zahlungen an
       die Gema - ist bei vielen Redakteuren das Gefühl geblieben, dass es noch
       etwas zu bewahren gilt, bevor der Jazz ganz aus der öffentlichen
       Wahrnehmung verschwindet.
       
       Über 400 Livekonzerte schneidet de Kloets holländischer Sender pro Jahr
       mit, und auch die ARD-Hörfunkanstalten sind stets dabei, den Jazznachwuchs
       ihrer jeweiligen Regionen aufzunehmen und besondere Verantwortung für jene
       Musikrichtungen zu übernehmen, die kommerziell nicht kompatibel, aber
       kulturell wertvoll sind. Bei den Wortprogrammen sind hingegen die
       Einschnitte schon länger hörbar, besonders in den kleineren Anstalten haben
       die Jazzredakteure kaum mehr Budgets für Features und aufwändigere
       journalistische Formate.
       
       Angesichts der kommenden Digitalisierung wagt auch der Leiter der
       Jazzredaktion beim Bayerischen Rundfunk, Roland Spiegel, keine Prognosen.
       Es könne durchaus passieren, dass es sogar mehrere Jazzkanäle geben wird,
       glaubt er, nur dass die Redakteure sich dann im organisatorischen und
       bürokratischen Alltagsgeschäft kaum mehr um die Inhalte werden kümmern
       können. Die Ratlosigkeit und der Unmut bei bereits betroffenen
       ARD-Jazzredakteuren korrespondiert mit der Visionsarmut der
       verantwortlichen Intendanten und Programmchefs. Sie haben in den letzten
       Jahren schmerzlich erfahren müssen, wie unter Berufung auf Hörerquoten
       qualitativer Programmkahlschlag von oben betrieben wurde. Mittlerweile weiß
       man, dass der Kulturauftragsrundfunk selbst bei aller Liebe zum
       technologischen Detail nur über eine Rückgewinnung von Inhalten vorankommen
       kann.
       
       Man weiß leider auch: Ist ein Budget erst einmal gekappt, eine
       Programmschiene stillgelegt, dann gibt es in der Regel kein Zurück.
       Entscheidend sei, dass die Musiker und Komponisten bei den kommenden
       Umstrukturierungen im Radiosegment nicht unter die Räder kommen, sagt de
       Kloet. Sie sind teils extrem auf die ihnen zustehenden Tantiemen aus
       Urheber- und Senderechten angewiesen. Und keiner mag sich ausmalen, was
       wäre, wenn die ARD-Jazzredaktionen nicht mehr mit ihren Ü-Wagen bei den
       Clubs und Festivalbühnen vorfahren, um aufzunehmen, zu senden und somit zu
       dokumentieren, wie es um die nähere Zukunft des Jazz bestellt ist.
       
       CHRISTIAN BROECKING
       
       29 Apr 2008
       
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