# taz.de -- Kommentar: Gewöhnung und Unverständnis
       
       > Streiks erleben ein Revival, der Zulauf zu den Gewerkschaftsdemos am 1.
       > Mai aber lässt zu wünschen übrig. Die Gewerkschaften leiden unter ihrer
       > Doppelrolle.
       
 (IMG) Bild: Ungewöhnlicher Polizeieinsatz: Die DGB-Demo am Brandenburger Tor
       
       Es geht wieder um was. Republikweit sinken die Arbeitslosenzahlen. Die
       Beschäftigten kämpfen für lang entbehrte Lohnerhöhung. Mal wird die BVG
       bestreikt, mal der Einzelhandel, mal der öffentliche Dienst. Der 1. Mai
       hätte ein Kampftag sein müssen. Doch zur DGB-Demo kamen weit weniger als
       die erhofften 10.000 Teilnehmer. Die Gewerkschaften haben es schwer in
       Berlin.
       
       Das liegt schon an der Struktur der Stadt. Berlin hat kaum Großbetriebe.
       Und ohne die fehlen nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Basen für
       eine starke Organisation der Beschäftigten. Je kleiner die Belegschaft,
       desto geringer ihr Mut, sich für die eigenen Belange einzusetzen. Das gilt
       erst recht, wenn ein Großteil der Beschäftigten nur noch Teilzeitjobs hat.
       
       Viele Berliner haben sich zudem längst mit ihrer sozialen Lage abgefunden.
       Sie wissen, wie man mit wenig Geld lebt. Während der Mittelstand im Süden
       der Republik in den letzten Jahren darunter litt, auf den Zweitwagen
       verzichten zu müssen, besitzen die meisten Berliner bis heute nicht mal ein
       Erstfahrzeug. Teils, weil man es hier nicht braucht; teils, weil man es
       sich nicht leisten kann. So bleibt die Fallhöhe beim sozialen Abstieg
       ebenso niedrig wie die Notwendigkeit, dagegen zu kämpfen.
       
       Auch die Gewerkschaften selbst tragen Mitschuld an ihrer Misere. Denn
       zuletzt bestand ihre Hauptaufgabe darin, ihren Mitgliedern harte soziale
       Einschnitte schmackhaft zu machen. Eine Attraktion sind Gewerkschaften aber
       nur, wenn es ihnen gelingt, für ihre Mitglieder ein größeres Stück aus dem
       Kuchen zu erkämpfen. Das versuchen sie mittlerweile auch wieder in Berlin.
       Die Streiks bei der BVG und im öffentlichen Dienst werden die
       Gewerkschaften am Ende aber weiter schwächen. Denn nach den absehbar
       mageren Ergebnissen dieser Arbeitskämpfe wird die Basis kaum noch
       verstehen, wofür sich das ganze Streiken gelohnt hat. Im nächsten Jahr, das
       ist jetzt schon abzusehen, wird die DGB-Demo am 1. Mai noch kleiner
       ausfallen.
       
       2 May 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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