# taz.de -- Bücherverbrennung: Eine Verbeugung vor der Leere
       
       > Vor 75 Jahren verbrannten die Nationalsozialisten auf dem Bebelplatz
       > Bücher von ihnen unliebsamen Schriftstellern. Diese Vergangenheit wirkt
       > in der Kargheit des zentral gelegenen Ortes bis heute nach. Eine
       > Betrachtung
       
 (IMG) Bild: Auf dem Bebelplatz wurde angezündet, was nicht zur gleichgeschalteten Dumpfheit des Naziregimes passte. Darunter Werke von Karl Marx und Erich Kästner.
       
       "Brüderlichkeit" braucht niemand mehr. Stattdessen kann "Schönheit" die
       dritte Säule der französischen Revolutionsbotschaft ersetzen. So jedenfalls
       steht es auf dem Werbeplakat einer Kosmetikfirma, das an der eingerüsteten
       Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität prangt. Das Gebäude liegt an
       der Westseite des Bebelplatzes und der Slogan "Freiheit, Gleichheit,
       Schönheit - für alle" zieht sich über die Frontseite der Fakultät. Eine
       geballte Frauenhand mit rot lackiertem Daumennagel, die in ihrer Faust ein
       Büschel Gras hält, illustriert die Botschaft. "Chapeau", möchte man denen
       zurufen, die das entworfen haben. Sie haben alles, was der historische Ort
       mitten in Berlin hergibt, in ihre Werbung gepackt.
       
       Da ist zum einen der Platz, der nach August Bebel benannt ist. Den
       Sozialisten grüßen die Faust und das grelle Rot. Obwohl die Farbe auch für
       Feuer steht. Denn auf dem Bebelplatz hat es vor exakt 75 Jahren gebrannt.
       Es hat so schwer und so schrecklich gebrannt, dass nichts mehr geblieben
       ist, wie es vorher war. "Ich übergebe den Flammen die Schriften von …"
       schrien die nationalsozialistischen Studenten. Die Werke von Marx, Freud,
       Thomas Mann, Tucholsky, Anna Seghers" - das sind nur fünf von fast 150
       Autoren - wurden ins Feuer geworfen. So sind Namen verbrannt, sind Worte
       verbrannt, sind Sätze verbrannt, sind Bücher verbrannt. Und mit ihnen die
       Freiheit.
       
       Auch Bebels Werke gingen in Flammen auf. Darunter seine berühmteste Schrift
       "Die Frau und der Sozialismus". "Es gibt keine Befreiung der Menschheit
       ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter", heißt
       es darin. Schon dem alten Sozialistenführer also war Brüderlichkeit
       verdächtig. Wenngleich ihm als Ersatz kaum das Recht auf Schönheit
       vorschwebte - und damit ist im Sinne des Werbeplakats natürlich das Recht
       auf Konsum gemeint. In dem Kontext ist unübersehbar, dass es die
       juristische Fakultät ist, an der diese Forderung hängt, die als neues
       Menschenrecht eingeführt wird.
       
       Zurück zum Feuer: Der Bebelplatz, das Schild mit dem Namen steht windschief
       am Rand, ist ein Ort aus Stein. Nichts ziert ihn. Kein Baum, keine Blumen.
       Nur hie und da etwas Gras, das zwischen den Ritzen der Pflastersteine
       hervorlugt. Wo die Freiheit verbrannt wurde, jene des Geistes und des
       Andersseins, jene der Toleranz und Weltoffenheit, jene des Denkens und des
       Widerspruchs, bleibt Leere zurück. Der Bebelplatz ist leer. Kein
       großstädtischer Schrott oder Kitsch, keine Autos oder Bänke stellen ihn zu.
       Nur ein paar Tauben sind da. Dazu dringt der scheppernde Ton einer Trompete
       aus dem Fenster der Staatsoper Unter den Linden, die den Platz auf der
       Ostseite begrenzt. Jemand spielt sich ein.
       
       Mitten auf dem Platz gibt es ein Denkmal von Micha Ullmann, das seit 1994
       an die Bücherverbrennung erinnert. Es ist in den Boden versenkt. Durch eine
       zwei Quadratmeter große Glasplatte kann man hinunter sehen in die Erde und
       die leeren Regale einer verschlossenen, weiß gestrichenen Bibliothek
       erkennen.
       
       Die Glasplatte, die den Blick in die Tiefe frei gibt, ist ein magisches
       Auge, das Flaneure und Touristen anzieht. Beim Überqueren des Platzes
       wählen sie den Weg so, dass sie vorbeikommen. Am Rand des Glases bleiben
       sie stehen und beugen sich vor, um besser sehen zu können. So verharren sie
       einen Moment. Danach wechseln sie zur nächsten Seite des gläsernen
       Quadrats, beugen sich noch einmal nach vorn, richten sich auf und gehen
       weiter. Es ist eine unbewusste Geste der Demut.
       
       In Ländern, in denen der Katholizismus bis heute großen Einfluss hat - wie
       Polen, wie Litauen -, verbeugen sich die Menschen vor dem Kreuz. Auf dem
       Bebelplatz in Berlin aber verbeugen sie sich vor der Geschichte. In den
       Leerstellen, die der Platz bietet, tönt das Echo des Vergangenen. Der
       Bebelplatz hat nichts. Und doch alles.
       
       Ein Velotaxi mit zwei Touristen fährt vor. Die Männer steigen aus, gehen um
       die gläserne Platte im Boden. "Auf dem Platz sind die Bücher verbrannt
       worden", sagt der Fahrer. "Auf dem Platz sind die Bücher verbrannt worden",
       wiederholt einer der Geführten. "Vor exakt 75 Jahren", fügt der
       Velotaxifahrer hinzu. "Vor exakt 75 Jahren", wiederholt der Tourist. Zwei
       Frauen mit Einkaufstüten tun es ihnen gleich. "Was ist denn da unten?",
       fragt eine. "Das, was bleibt, wenn keine Bücher mehr da sind", sagt die
       andere.
       
       Ein rumänisch sprechendes Ehepaar, das in Israel lebt, unterhält sich mit
       einer Deutschen, die am Rand der Glasscheibe steht. "Sagt Ihnen das Denkmal
       etwas? Mögen Sie es?", fragt die Deutsche. "Wir mögen nicht, was damals
       geschah", antwortet die rumänisch sprechende Frau hart. "Haben Sie
       Angehörige verloren?", fragt die Frau, um so der Härte in der Stimme auf
       die Spur zu kommen. "Wir haben Seelen verloren", antwortet die Touristin.
       
       Unweit der Glasluke ist ein Bronzeschild in den Boden eingelassen: "Das war
       ein Vorspiel: Nur dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch
       Menschen", steht darauf. Es ist ein Zitat von Heinrich Heine. Seine Bücher
       flogen gleichfalls ins Feuer.
       
       An einer der schmucklosen Straßenlaternen des Platzes, die wie leuchtende
       Pfähle aussehen, hat jemand ein plattes Fahrrad angeschlossen. Auf dem
       Hinterradständer ist ein Schuhregal fixiert. Darauf liegen verschimmelte
       Bücher. Ein Opernführer, ein Bilderlexikon der Tiere, eine Zeitschrift auf
       deren Titelseite "Insel des Glücks" prangt. "Dieses Schuhregal gehört allen
       & vor allem der August-Bebel-Bibliothek in Berlin", steht daran. Sie wurde
       1947 gegründet. Es gibt sie nicht mehr. Der Mensch, der das Fahrrad an der
       Laterne abstellt, versteht dies als Demonstration. Verbrennen, vergessen,
       verschimmeln - so zieht der Bebel-Bibliotheks-Aktivist die Verbindung.
       
       Im Norden begrenzt das Hauptgebäude der Humboldt-Universität den Platz. Auf
       der Südseite aber die Hedwigskathedrale, die Bischofskirche der Katholiken
       in Berlin und Brandenburg, sowie die ehemalige Staatsbank der DDR, in der
       sich heute das "Hotel de Rome" mit seinen fünf Sternen befindet. Hinter der
       Rezeption steht ein Mann, der seine halbfranzösische Herkunft nicht
       verheimlicht. Es sei ein tolles Hotel, in dem er arbeite, schwärmt er im
       Aufzug zur Hotelterrasse. Auf die Frage, wie sich das mit der
       Brüderlichkeit verhält, zieht er die Augenbrauen hoch. "Fraternité", das
       sei ja fast militärisch zu verstehen. Und nationalstaatlich. "Die Franzosen
       wollen einfach nicht verstehen, dass wir in einer globalen Welt leben",
       sagt er.
       
       Von der Terasse des Hotels aus hat man den Bebelplatz wie beiläufig im
       Blick. Die wie in einem Webmuster angeordneten Plastersteine strukturieren
       den Ort. Die Längsrichtung, die beim Weben "Kette" heißt, wechselt alle
       zehn Schritte mit der Querrichtung ab, die "Schuss" genannt wird. Kette,
       Schuss - Kette, Schuss - Kette, Schuss - ein weiteres Echo.
       
       Der Bebelplatz nämlich ist Projektionsfläche für vieles. Manches, wie die
       Werbung des Kosmetikkonzerns, wird hingenommen. Das platte Fahrrad dagegen
       gelte als Ärgernis, meint der, der es an den Laternenpfahl stellt. Er wolle
       sich deshalb an die UNO in New York wenden.
       
       Völlig unbekannt indes ist die Beugung, die August Bebel im Nobelhotel
       erfährt. Dort wird nicht nur die Bar, sondern auch die teuerste Suite nach
       dem 1913 verstorbenen sozialdemokratischen Vordenker benannt. Sie kostet
       4.630 Euro die Nacht. Ob Bebel das meinte, als er schrieb: "Selbst
       Engelszungen haben nur Erfolg, wenn der Resonanzboden für das, was sie
       predigen, vorhanden ist."
       
       ## Von 11 bis 18 Uhr findet am Samstag, den 10. Mai, anlässlich des 75.
       Jahrestags der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz eine Gedenk- und
       Kulturveranstaltung statt, organisiert unter anderem von der Humboldt-Uni.
       
       10 May 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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