# taz.de -- Cowboys: Der Westen ist nicht mehr wild
       
       > Lange sind sie geblieben, trotz der Pleite des Spreewaldparks, sie hatten
       > sich an das Abenteuerleben im Plänterwald gewöhnt. Jetzt müssen die
       > letzten Bewohner die Westernstadt endgültig verlassen.
       
       Die Stuntfrau Daniela Jacobi muss aus ihrer Blockhütte raus. Ihr Mann hat
       die Umzugskisten schon in den Kofferraum geladen. Er ist in den Golf mit
       den goldenen Spoilern gestiegen, hat den Wagen auf den Waldweg gelenkt und
       dann auf die Straße. Er hat den Saloon, die Bank, das Karussell, die Bäume
       und den Rest der Westernstadt hinter sich gelassen - die ganze schöne
       Vergangenheit aus Cowboyabenteuern, Grillfesten und Countrymusik aus der
       Anlage.
       
       Dann hat Gerhard Jacobi die Kisten in vier kahle Zimmer im zweiten Stock
       eines Neuköllner Mietshauses getragen - da, wo die Jacobis jetzt hinmüssen.
       Das bedeutet nun also wirklich das Ende eines Lebens in Freiheit und
       Wildnis für Daniela Jacobi - das Ende ihres verwegenen Daseins im
       Plänterwald. "Wenn die eigene Behausung abgerissen wird, das ist schlimm",
       klagt sie. "Da blutet das Herz." Und dass mit dem Abriss von Jacobis
       Blockhütte und aller anderen zur Westernstadt gehörenden Holzbuden im
       "Spreepark" auch der Stadt Berlin ein Rest Romantik und Anarchie verloren
       geht, das steht ebenfalls fest.
       
       Bislang waren sie ja einfach geblieben. Anfang 2002 war der Spreepark im
       Plänterwald geschlossen worden, das gesamte Vergnügungsareal mitsamt seinen
       Achterbahnen und Amüsierbetrieben. Die Jacobis hatten sich von der
       Schließung nicht abhalten lassen. Ebenso wenig das Ehepaar Deichsel mit
       Tochter und Schwiegersohn. Auch der Schildermaler, der Tierpfleger und der
       ehemalige Sheriff der Westernstadt nicht.
       
       Die Jacobis haben sich die Räume über der Kegelbahn genommen, die anderen
       sich in den Blockhütten zwischen Saloon und Kinderkarussell eingerichtet.
       Wahrscheinlich zeigt sich in solchem Handeln überhaupt erst die echte
       Wildwestmentalität: die trotzige Behauptung gegen alle Widerstände von
       außen. Sie haben jedenfalls einfach weitergemacht mit ihrem Alltag in der
       Brettersiedlung. Auch wenn außer einem Mann von einer Wachschutzfirma und
       seinem Hund keine Besucher mehr kamen. Niemand, der sehen wollte, wie
       Stuntfrau Daniela Jacobi aus einer fahrenden Kutsche springt und die Bank
       überfällt. Selbst als der Insolvenzverwalter des Vergnügungsparks ihnen die
       Stromleitung gekappt hat, haben sie nicht aufgegeben. Letztlich ist die
       Besiedlung der Weiten immer nur durch die ausdauernde Initiative Einzelner
       gelungen. Sie packten Kerzen und Taschenlampen aus, dann hat Rolf Deichsel
       Generatoren beschafft. Später haben sie in einer mühseligen
       Selbsthilfeaktion ihre eigene Stromleitung in den Boden gegraben. Jacobis
       Sohn feierte Kindergeburtstage vor der rostenden Wildwasserrutsche, das
       Moos wucherte über die Plastiksitze des Autoscooters, in der leeren
       Spielhalle nisteten die Vögel. "Herrlich", fasst Jacobi zusammen.
       
       Jetzt wird die Westernstadt abgerissen. Bis Ende Mai müssen alle Gebäude
       und dazugehörigen Gerätschaften verschwunden sein, sagt der
       Insolvenzverwalter. Dass nach der Räumung die in den letzten Jahren bereits
       arg ins Stocken geratene Karriere der 48-jährigen Stuntfrau Daniela Jacobi
       wohl nicht mehr an Fahrt gewinnen wird, ist nur ein weiterer unangenehmer
       Aspekt der Entwicklungen.
       
       Mit den Ponys hatte es angefangen. Noch zu DDR-Zeiten war das. Es ist
       anzunehmen, dass diese kleinen Pferde schon damals ein Bedürfnis befriedigt
       haben, eine ungestüme Sehnsucht nach Freiheit und Ungebundenheit - nach dem
       Wilden Westen eben. Der Schausteller Rolf Deichsel hat 1976 die
       Ponyreitstation im Spreepark eröffnet, später hat er auf eigene Kosten
       immer mehr Buden dazugebaut. Man kann sagen, die Westernstadt ist die
       Leidenschaft von Rolf Deichsel.
       
       An einem sonnigen Nachmittag 1999 hat dann auch Daniela Jacobi ihr Herz an
       die Brettersiedlung verloren. Damals war sie noch eine arbeitslose
       Büroangestellte aus Kreuzberg, ihr Mann ein arbeitsloser Fernfahrer. Sie
       hatten an diesem Tag eine Dampferfahrt unternommen und waren hinterher im
       Spreepark gelandet.
       
       Es mag an der Kühnheit der Wildwestdarsteller gelegen haben, an den bunten
       Eisbuden, am Sonnenschein oder an einem unbestimmten Verlangen nach
       Zusammenhalt, dass dort bei den Jacobis der Mut für eine berufliche
       Neuorientierung aufkam. Immerhin stand für die beiden nach diesem Ausflug
       fest, dass sie mitmachen wollten bei den Stuntshows in der Westernstadt.
       
       Es war eine unbeschwerte Zeit, die diesem Entschluss folgte: Die Jacobis
       waren nun Teil einer 20-köpfigen Westerntruppe. Daniela Jacobi stand im
       selbst geschneiderten Cowboykostüm vor dem Saloon und moderierte die Shows,
       sie simulierte mit den anderen Zugüberfälle und Geiselnahmen, und Deichsels
       Schwiegersohn, der für die ganz gefährlichen Nummern zuständig war, sprang
       dazu von den Dächern.
       
       Im Jahr 2000 wurde ihr Sohn geboren, "ein richtiges "Spreeparkkind", sagt
       Daniela Jacobi. Sie waren jetzt fast immer draußen in der struppigen Natur,
       in die alte Kreuzberger Wohnung fuhren sie nur noch zum Schlafen. Ihr Mann
       malte die Spoiler ihres roten Golfs mit goldener Farbe an, im Sommer
       grillten sie Würste am Lagerfeuer. Und es hätte wohl immer so weitergehen
       können mit dieser Ferienstimmung, wenn sie nicht am Ende der Saison 2001
       aus der Zeitung die Ungeheuerlichkeit erfahren hätten. Den Verrat, der
       ihren überschaubaren Westernkosmos doch sehr ins Wanken brachte: Norbert
       Witte, der Betreiber des Spreeparks, war über Nacht mit dem Schiff nach
       Peru abgehauen, lasen die Jacobis in der Zeitung. Seine Familie und sechs
       der Fahrgeschäfte des Spreeparks, darunter der "Fliegende Teppich" und eine
       Geisterbahn, hatte er mitgenommen. Grund der Flucht waren Schulden von mehr
       als 13 Millionen Euro, die Witte beim Land Berlin angehäuft hatte.
       
       Es war klar, dass es nun schwierig werden würde mit der Westernstadt. "Wir
       hingen total in der Luft", sagt Jacobi. Die Westernstadt liegt auf dem
       Gelände des Spreeparks. Dadurch besteht eine verhängnisvolle Abhängigkeit.
       Wenn der Vergnügungspark in die Pleite schlittert, rutscht die Westernstadt
       mit. Es gab viele aus der Westerntruppe, die nun absprangen und sich
       anderswo neue Auftrittsmöglichkeiten suchten. Aber für die Jacobis stand
       fest: "Wir lassen uns nicht beirren. Wir halten zusammen und kämpfen."
       
       Und als Spreeparkchef Norbert Witte dann 2004 auch noch vom Berliner
       Landgericht zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, weil er erwischt worden
       war, wie er mit Komplizen 167 Kilogramm Kokain im "Fliegenden Teppich" von
       Peru nach Deutschland schmuggeln wollte, da hatten die Jacobis ihrerseits
       bereits die Konsequenzen gezogen. Da hatten sie sich schon vollends die
       Denkweise von rebellischen Helden übergestülpt. Da hatte Daniela Jacobi
       nicht nach Recht und Gesetz gefragt, sondern hat die Wohnung in Kreuzberg
       gekündigt und war ganz in die Westernstadt umgezogen.
       
       Zu dieser Unternehmung hatte sie Rolf Deichsel überredet. Der Umzug in die
       Budenstadt war seine Idee. Er hat den Jacobis die Wohnung über der
       Kegelbahn vermietet. Wahrscheinlich wollte Deichsel mit der dauerhaften
       Besiedlung seiner Westernkolonie Tatsachen schaffen. In Interviews ließ er
       sich mit Sätzen zitieren wie: "Wir verlassen dieses Territorium nicht. Eher
       müssen die meine Familie und mich hier raustragen."
       
       Man muss das verstehen. Deichsel hängt an seiner Westernstadt, sein halbes
       Leben hat er auf dem Gelände verbracht. Er sieht nicht ein, warum seine
       Blockhütten mit dem Spreepark untergehen sollten. Mit der Pleite des
       Vergnügungsparks brach ein langwieriger Rechtsstreit über Rolf Deichsel
       herein. Der Insolvenzverwalter verlangte die Räumung der Westernstadt.
       Deichsel pochte auf die zwei Millionen Euro, die er seinerzeit in die
       Siedlung investiert hatte. Er forderte Entschädigung, wollte die Sache bis
       zum Ende durchkämpfen.
       
       Rolf Deichsel ist ein hartnäckiger Typ. Er ist jetzt 60 Jahre alt, hat
       schon einiges erlebt. Aber die Auseinandersetzungen haben ihm zugesetzt.
       Vielleicht haben sie ihn sogar zerschlissen. "Ich steh jetzt mit beiden
       Beinen in der Fleischindustrie", erzählt Deichsel. Seine neue Firma kauft
       Pferdefleisch aus Mexiko und lässt das Fleisch von einer Fabrik bei Dresden
       zu Würsten verarbeiten. Aber Deichsel steht derzeit auch öfter inmitten
       seiner leeren Westernstadt, das Handy am Ohr und schimpft. Inzwischen ist
       es so, dass Daniela Jacobi ein bisschen Angst hat, frei zu sprechen, wenn
       Deichsel in der Nähe ist. Inzwischen ist es so, dass Jacobi meint:
       "Deichsel schaltet immer gleich seine Anwälte ein." Und es ist so, dass
       Deichsel eine große "Abrechnung mit diesem Drecksstaat" ankündigt für die
       Zeit nach dem Abriss der Westernstadt.
       
       Das Spreeparkgelände wird seit der Pleite vom Liegenschaftsfonds verwaltet.
       Ein neuer Investor ist noch nicht gefunden. Die Pressesprecherin des
       Liegenschaftsfonds betont, die Räumung der Westernstadt sei "im
       gegenseitigen Einvernehmen" beschlossen worden. Das Schnaufen und Schimpfen
       von Rolf Deichsel klingt nicht so. Eine Entschädigung für seine
       Westernstadt hat er nicht bekommen. Die Jacobis leben inzwischen von Hartz
       IV.
       
       14 May 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kirsten Küppers
       
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