# taz.de -- Abu-Ghreib-Doku "Standard Operation Procedure": Ein Zucken in der Wange
       
       > Regisseur Errol Morris hat die Ereignisse von Abu Ghraib nachgestellt und
       > mit den Folterern gesprochen: Ein Guido-Knopp-Format für die
       > anpolitisierte Jugend.
       
 (IMG) Bild: Vorab auf der Berlinale viel diskutiert: "Standard Operating Procedure".
       
       Ich hätte nicht gedacht, mich noch einmal mit den Mystic Knights of Oingo
       Boingo (später nur: Oingo Boingo) zu befassen. Ja, ich hatte diese
       ironische Rockband aus den kalifornischen 70ern komplett vergessen. In
       gewisser Weise waren sie ganz frühe Vorboten einer postmodernen,
       selbstreferenziellen Rockmusik, wie sie dann im Zuge von New Wave global
       wurde.
       
       Aber bei aller musikalisch technischen Brillanz waren ihre Witze dann auch
       wieder etwas platt, wenig elegant und ein bisschen schwerfällig. Außerdem
       war in dieses Alleskönnertum von vornherein auch eine gewisse
       Gleichgültigkeit eingelassen. Die distanzierten sich nicht mit Leidenschaft
       von der Leidenschaft, sondern aus der Indifferenz einer gelangweilten
       Kompetenz. Danny Elfman, der Kopf von Oingo Boingo, wurde dann, was nur
       allzu passend war: ein omnipräsenter, über die Maßen erfolgreicher
       Komponist von Filmmusiken. Sein populärstes Werk: die Titelmusik der
       "Simpsons".
       
       Was hat das alles mit "Standard Operating Procedure" zu tun? Dem
       umstrittenen, auf der letzten Berlinale viel diskutierten Dokumentarfilm
       von Errol Morris über den Skandal von Abu Ghraib, der seit Anfang Mai in
       den USA läuft und nun auch in Deutschland bundesweit in die Kinos kommt?
       Einiges. "Standard Operating Procedure" besteht aus einer Reihe von sehr
       crisp gefilmten und auffällig überdeutlich beleuchteten Interviews mit
       allen möglichen Beteiligten, vor allem aber mit allen Tätern, außer denen,
       die noch im Gefängnis sitzen. Dazu gibt es suggestive Bilder von Kellern
       und feuchten Orten und die von Schauspielern nachgestellten Folter- und
       Demütigungsszenen. Dazwischen soll anhand von Fernseh- und anderen
       Nachrichten der zeitgeschichtliche Zusammenhang rekonstruiert werden.
       
       Mit Ausnahme der als Höhepunkte markierten Momente des Folter-Reenactments,
       die von dubbigen Triphop-Geräuscheffekten untermalt werden, läuft aber die
       ganze Zeit eine merkwürdig narrative, altmodische, weitgehend orchestrale
       Filmmusik, die ebenso gut Fortschritte und Rückschläge einer Familie beim
       Bau eines Eigenheims (in der Rolle des Vaters: Gerd Baltus) illustrieren
       könnte oder einen lehrreichen Dokumentarfilm über die Geschichte der
       friedlichen Kernkraftnutzung aus den 50ern. Um im Simpsons-Bild zu bleiben:
       Danny Elfman hat einen Soundtrack für einen Troy-McClure-Film komponiert
       und orchestriert. Aber was soll hier eigentlich lustig sein?
       
       Errol Morris kommt vom Werbefilm und in seiner Freizeit ist er
       Fototheoretiker. Er denkt viel über Bilder nach, und zwar vor allem
       darüber, was von ihrem dokumentarischen Wert insbesondere unter den
       heutigen technischen Bedingungen zu halten ist. Sehr viel Mühe steckt bei
       "Standard Operating Procedure" in der Festlegung von je spezifischen
       Bildtypen für die einzelnen Aufgaben, die sich der Film stellt. Er hat
       keine politische Analyse, allenfalls ein sehr allgemeines emotionalisiertes
       Entsetzen, was aus den "American values" geworden sei. Er möchte einerseits
       sehr intensive, zugleich gnadenlos durchleuchtende, aber auch empathisch
       mitfühlende Porträts der Angeklagten zeichnen; und er möchte leider
       andererseits auch die "nightmarish, hallucinatory" Eigenschaften dieses
       Gefängnisses "evozieren", wie der Regisseur selber sagt.
       
       Für die Interviews hat er sich nicht nur für Überdeutlichkeit und eine
       Larger-than-life-Optik entschieden, er hat sich auch in die Manierismen
       seiner Gegenüber verknallt. Die global bekannteste unter den Tätern und
       Täterinnen von Abu Ghraib, Lynndie England, hat ein nervöses Zucken in der
       Wange, das während ihrer naturgemäß recht ausführlichen Gesprächspassagen
       sich langsam ins Zentrum der Aufmerksamkeit schiebt. Javal Davis hingegen,
       ein Liebling der Kamera, telegen wie zehn Superstars, charmiert sich derart
       in das Herz der Kameraverantwortlichen, dass man auch bei ihm vor lauter
       Menschlichkeitsperformance gar nicht mehr auf das reagiert, was er sagt.
       
       Natürlich entlasten sich die Täter alle mehr oder weniger. Sie streiten
       nicht ab, getan zu haben, was man auf den Fotos sieht, aber dazu sind sie
       angestiftet worden, ja man hatte ihnen keine andere Wahl gelassen - oder
       sie hatten sich vergessen, verständlich bei der allgemeinen Scheiße des
       Krieges. "Standard Operating Procedure" trägt diese Verteidigungsstrategie
       bis zu einem gewissen Grad mit. Die wahren Schuldigen, und es fällt nicht
       schwer, dieser Einschätzung zu folgen, sind zum einen die weitgehend anonym
       bleibenden höheren und höchsten Ränge, die unmittelbar zum Verhalten der
       Täter ermutigt haben. Vor allem aber ist es zum anderen ein System, das die
       meisten der niederträchtigsten Aktivitäten mit einer besonders lakonischen
       Kategorie zur "Standard Operating Procedure" erklärt, die dem Film seinen
       Titel gab.
       
       Der bemerkenswert offene Anklagevertreter vor dem Militärgericht geht in
       einer eindrucksvollen Szene Dutzende Abu-Ghraib-Bilder durch und sortiert
       sie knapp in "Crime" oder "Standard Operating Procedure" ein. Die Kriterien
       für Unterscheidung, obwohl ansatzweise expliziert, lassen sich nicht
       nachvollziehen; beide Sorten Bilder zeigen den weltbekannten Widerwart.
       
       Dass diese Täter alle nur arme Schweine waren, glaubt man gerne. Ebenso,
       dass es irgendwo "wahre Schuldige" gibt. Zweifellos ist das auch so, aber
       zugleich ist diese Wahrheit auch barer Stammtisch. Das System und die
       Struktur hinter all dem ist dem Verhalten der armen Schweine nicht fremd,
       kein geheimnisvoller, externer Zwang, der über sie gekommen ist. Ihre
       Arme-Schweinizität ist Gelenk und Hebel dieser Strukturen; wie sympathisch
       Javal Davis und wie mitleiderregend Lynndie England und ihre Kolleginnen
       auch rüberkommen mögen.
       
       Eine solche Analyse versucht Morris aber nicht einmal im Ansatz. Er traut
       sich nicht, zu behaupten und seine Ansätze zu Ende zu denken, von
       Essayistik und Kasuistik ist er weit entfernt. Er denkt nur über
       Fotostrategien nach. Immerhin stellen aber künftigen Überlegungen die
       sensationalistisch fotografierten Close Ups so etwas wie Material zur
       Verfügung.
       
       Nicht zu rechtfertigen ist hingegen das ästhetische Programm des Evozierens
       der Foltersituation. Einem Mann wurden, um ihn zu demütigen, die
       Augenbrauen und andere Körperhaare abrasiert. Dazu sieht man extreme
       Vergrößerungen von Augenbrauenhaaren, die wie Igelstacheln in weicher,
       weißer, faltiger und schartiger Haut stecken. Das sieht irgendwie grell aus
       und etwas beknackt herausgestellt - wie bei einem Fotoquiz, wo man einen
       Alltagsgegenstand auf einer extremen Vergrößerung erkennen muss. Faszinosum
       Haut! Faszinosum Körperhaar! Nur was hat diese irre und unmotivierte
       Verfremdung mit dem Tatbestand der Demütigung, der Folterung, dem gezielten
       Verletzen menschlicher Würde zu tun? Nichts, außer dass beides irgendwie
       krass ist. Die analytische Dürftigkeit des Tertium Comparationis "krass"
       ist aber nicht nur hier die große Schwäche von Errol Morris Film.
       
       Die Reenactments wirken in ihrer Mischung aus Prodigy-Video-Anmutung und
       Lars-Von-Trier-Drehabfall-Look, als erwarte uns demnächst ein
       Guido-Knopp-Format für die anpolitisiert fühlende Jugend. In der Regel
       werden solche ethisch-ästhetischen Entgleisungen ja mit der Notwendigkeit
       von Vermittlung begründet. Es hätte eine andere Möglichkeit gegeben, den
       ausführlichen Aussagen der Täter etwas entgegenzusetzen: Interviews mit den
       Opfern. Eines von ihnen soll ja später ein Freund und Mitarbeiter der
       amerikanischen Gefängniswärter geworden sein. Ich kenne mich zwar im Irak
       nicht aus, aber einige von ihnen wird man doch sprechen können, ohne dass
       man gleich amerikanische Sicherheitsinteressen verletzt - oder dennoch.
       
       Die Elfman-Musik packt aber all diese Ungereimtheiten, die gespreizte
       Fotografie und die aufgeblähten Kindergesichter der mitleiderregenden
       Folterer in eine wattige Geschlossenheit ein, einen narrativen Ausflug, der
       weder in den Irak noch in das amerikanische Hinterland geführt hat. Sondern
       in Formen, konventionelle und ziemlich ausgedachte neue, die vor allem von
       sich selbst gesprochen haben.
       
       "Standard Operating Procedure". Regie: Errol Morris. USA 2008, 118 Min.
       
       29 May 2008
       
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