# taz.de -- Kommentar Türken-Juden-Vergleich: Falscher Fürsprecher
       
       > Dass die Türken, wie vom Leiter des Zentrums für Türkeistudien,
       > behauptet, die neuen Juden Europas seien, ist abwegig. Er muss von seiner
       > Aufgabe entbunden werden.
       
 (IMG) Bild: Stellt sich nicht überall mit ihrem jüdischen Namen vor: Asude Kalebek als Raşel in „Kulüp“
       
       Dass die Türken, wie von Faruk Sen, dem Leiter des Essener Zentrums für
       Türkeistudien, behauptet, die neuen Juden Europas seien, ist abwegig.
       Natürlich hat Sen das Recht auf eine abstruse Meinung. Und natürlich darf
       jeder alles mit allem vergleichen, Äpfel mit Birnen, den Holocaust mit dem
       Karneval, was auch immer. Doch wer ernst genommen werden will, sollte gute
       Gründe dafür haben, einen bestimmten Vergleich aufzustellen. Das gilt für
       einen Hohmann ebenso wie für einen Sen.
       
       Überdies wirft dieser Fall weitere Fragen auf. Zum einen ist Sens, von
       Jassir Arafat sattsam bekannte Strategie der zwei Sprachen, beispielhaft
       dafür, wie interessierte Kreise daran arbeiten, dass die hiesigen Türken
       Türken bleiben. Vom Lehrer für "muttersprachlichen Unterricht", der seinen
       Schülern einredet, dass deutsche Lehrer sie benachteiligten, über den
       Vereinsfunktionär, der auch dann von Rassismus redet, wenn es um Zwangsehen
       geht, bis zu einer Presse, die sich nicht zu blöd dazu ist, jeden
       Strafzettel wegen Falschparkens als ausländerfeindlichen Akt zu werten -
       sie alle nutzen die Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung, von
       denen jeder Deutschtürke zu berichten weiß, für ihre eigenen, durchaus auch
       materiellen Interessen.
       
       Die zweite Frage ist von vielleicht noch grundsätzlicherer Bedeutung. Sie
       lautet: In welches Verhältnis setzen sich die Einwanderer zum Holocaust?
       Fast alle von ihnen können guten Gewissens sagen, dass Opa kein Nazi war,
       so dass ein bestimmter geschichtspolitischer Diskurs, der mit
       familiengeschichtlichen Verstrickungen - vom SS-Opa bis zum gewöhnlichen
       Arisierungsgewinner - operierte, bei ihnen nicht funktioniert. Andererseits
       können die Einwanderer, die als Bürger dieses Landes zu Recht
       Gleichbehandlung und Teilhabe fordern, sich zur deutschen Geschichte nicht
       als Unbeteiligte verhalten.
       
       Faruk Sen hätte dies wissen müssen. Da er nicht nur eine universitäre
       Einrichtung leitet, sondern seit Jahren als Vertreter der Deutschtürken
       auftritt, ist es richtig, ihn von dieser Aufgabe zu entbinden.
       
       27 Jun 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Istanbul
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Türkische Netflix-Serie „Kulüp“: Schabbat in Istanbul
       
       Die Netflix-Serie „Kulüp“ gibt Einblicke in die Geschichte der
       sephardischen Jüd*innen in der Türkei. Bereits der Einstieg ist
       dramatisch.
       
 (DIR) Nach Türken-Juden-Vergleich: Faruk Sen droht der Rauswurf
       
       Der Direktor des Zentrums für Türkeistudien verglich die Situation der
       Türken in Europa mit der von Europas Juden bis 1945. Nun soll er entlassen
       werden.