# taz.de -- Gespräche in Caputh: Freunde von Dorothea Ridder erzählen
> Dorothea Ridder war eine idealistische Ärztin. Mit ihrer Weigerung die
> Gesundheit ihrer Patienten dem Primat der Ökonomie unterzuordnen, musste
> sie Schiffbruch erleiden.
(IMG) Bild: "Der Teufelsprozess vor dem Weltgericht" 1511, Anonymus
Wenn man sieht, was für Leuten man Waffen anvertraut. Stumpfen, dumpfen
Kraftmenschen.
Die meisten von ihnen sehen nicht so aus, als hätten sie erhebliche
Hemmungen beim Gebrauch von Gewalt zu überwinden.
Peggy Parnass (b. Lorenz/Drenkmann-Prozess gegen Fritz Teufel und andere)
über die Polizei
In Begleitung von Helmut Höge fahren wir an einem schönen Vormittag hinaus
aufs Land, zu seinen alten Freunden Heike und Klaus. Sie leben südöstlich
von Potsdam, im schönen Ort Caputh am Schwielowsee, in dem Einstein sein
geliebtes Sommerhaus hatte bis zur Emigration. Höge erzählt uns während der
Fahrt ein wenig von der langen freundschaftlichen Verbindung mit Dorothea
und davon, wie er sich von Bremen aus am 5. September 1977 - just am Tage
der Schleyer-Entführung - zusammen mit seinem Pferd zu Fuß aufmachte, um,
immer südwärts ziehend, bis zur Mosel zu wandern. Er ist neben dem Pferd
hergegangen, wollte ihm die Last eines Reiters nicht zumuten. Unterwegs
arbeitete er bei Bauern und lernte das Landleben kennen. Dann überquerten
er und seine damalige Freundin Heike den Brenner, nebst Pferd und einem
Esel, um Freunde zu besuchen in der Toskana. In Italien wurden die Wege
sehr steinig, so dass sie sich in Bologna entschlossen, dem Pferd teure
Aluminiumhufeisen aufnageln zu lassen. Später hat er zusammen mit Heike in
Bremen einen Wohnwagen ausgebaut, mit dem fuhren sie dann in den
Vogelsberg, wo sie sich allmählich ansiedelten, zusammen mit anderen, nebst
Pferd und Esel. Er sagt, er würde auch heute noch jederzeit aufbrechen
wollen in so einem Wohnwagen, fürchte aber, er sei vielleicht schon etwas
zu alt für die Strapazen.
Heike bewohnt mit Mann und Sohn ein wohlproportioniertes flechtengrünes
Haus im hügeligen Teil von Caputh. Dem großen Garten, mit Rosenbüschen,
Glockenblumen, Johannes- und Erdbeeren, Lilien und Lavendel, mit
Zitronenmelisse, Minze und hunderterlei anderen Lust- und Ziergewächsen,
widmet sie sich mit Ausdauer und leidenschaftlicher Hingabe. Das Ergebnis
ist ein altmodischer Garten, der aussieht, als wüchse er von selbst rechts
und links des Weges, der hinaufführt zum Haus. Wir werden gastlich
empfangen und bitten darum, uns von ihren Erinnerungen an Dorothea und ein
wenig von sich selbst und die Wahrnehmung der damaligen Zeit zu erzählen.
Klaus beginnt:
"Dorothea kenne ich jetzt schon 30 Jahre. Damals kam ich zurück, ich war
längere Zeit im Ausland, zwei Jahre in Ägypten, ein Jahr in Barcelona, und
Dorothea war grade ausgezogen bei Renate Sami am Bundesplatz, aus dieser
berühmten Eschen-Wohnung, und so haben wir uns kennengelernt. Sie war schon
fertig mit dem Studium, hat glaube ich 1980 promoviert, 81 bin ich dann von
Berlin wieder weg, war eine Weile in Wuppertal und habe dort so
afrikanische Kultur gemacht. Danach war ich dann im Vogelsberg, wo Heike
und Helmut gewohnt haben. Und 81 begann dann Dorotheas Praxisgemeinschaft
mit Dr. Nessim, in Berlin in der Seesener Straße. Und da habe ich für ihr
Sprechzimmer Schränke gebaut und weiß ich was alles. Das war keine große
Aktion, aber sie hat es halt nicht gebacken gekriegt. In der Phase hatten
wir auch ziemlich viel zu tun am Vogelsberg. Aber ich habs gebaut. In
dieser Zeit haben wir uns viel gesehen, und später dann auch wegen Manfred
Grashof. Da kam sie immer vorbei, wenn sie ihn besucht hat im Knast. Er saß
ja in Diez, das lag für sie auf dem Weg. Bei Limburg/Montabaur ist heute
eine ICE-Haltestelle, sie haben durchgesetzt, dass der Zug von Köln nach
Frankfurt auch in Rheinland-Pfalz halten muss. Da ist, glaub ich, auf
unserem Bahnhof in Caputh mehr los. Jedenfalls hat sie auf der Fahrt zu
Manfred immer bei uns Halt gemacht, und dann hat sie ihn geheiratet, im
März 84.
Anfang 1984 zog sie um in eine eigene Praxis am Nollendorfplatz. Und da
haben wir, eine Truppe von zehn Leuten, vom 20. Dezember bis zum 2. Januar
über Weihnachten alles gemacht, haben ein Labor eingebaut, ein neues Klo
für Patienten, haben Parkett verlegt - das war ja eine Riesenetage -, wir
haben uns beeilt, damit sie gleich nach Neujahr wieder anfangen konnte.
Dann haben wir eine Super-Silvesterparty gehabt, da oben in der 11. Etage,
man konnte das gesamte Feuerwerk sehen. Und ich weiß noch, da gabs eine
Szene, mitten in der Nacht vermisste Dorothea plötzlich Geld - es zeigt,
dass sie schon immer etwas schusselig war. Sie hatte sehr viel Bargeld von
der Bank geholt und behauptete steif und fest, es wäre in ihrer Tasche
gewesen. Und alle auf dieser Party, die waren alle schon high und breit,
haben angefangen das Geld zu suchen, morgens um fünf. Eric ging runter zur
Mülltonne und hat alles durchwühlt, falls vielleicht jemand aus Versehen …
denn sie hatte so eine Plastiktüte. Natürlich lag das Geld zu Hause." Höge
lacht sehr. "Manchmal musste man streng mit ihr sein. Da war zum Beispiel
noch nicht mal gemalert, aber sie fing plötzlich an mit den Gardinen. Ich
sagte: Halt dich bitte raus, sonst ist es aus mit der Freundschaft." Heike
sagt: "Sie war sicher nicht praktisch begabt, also in solchen
handwerklichen Dingen. Als Ärztin schon, aber das ist dann ganz
feinmotorisch, oder?" Klaus: "Aber so das Allerwesentlichste bei ihr als
Ärztin, war ihre Art mit Menschen umzugehen." Höge wirft ein: "Das Reden …"
"Das Reden und wirklich auch in den Arm nehmen und so was. Also jeder
Patient war in gewisser Weise - das soll jetzt nicht abwertend sein - ein
bisschen Sexualobjekt, also nicht im Sinne einer Anmache, sondern einfach
von ihrer Intensität her. Das ist halt etwas, wo sich viele unheimlich
geborgen gefühlt haben bei ihr.
Deshalb hat sie ja auch mit ihrer Praxis letztlich Schiffbruch erlitten.
Schon vor ihrem Schlaganfall war das abzusehen - auch damals wurde schon
schwer reformiert und herumgekürzt im Gesundheitswesen, so dass die
Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben war, bei ihrer Art, mit den Leuten
umzugehen. Das ist ja ein normaler Betrieb. Und das ist wieder so was, was
sie absolut nicht konnte." "Und nicht wollte", sagt Höge. "Du kriegst
vielleicht 6,80 für ne Stunde reden, nur richtige Anwendungen darf man
abrechnen, aber das Wichtigste ist eigentlich die Anamnese bei einem Arzt.
Und dass der sich Zeit nimmt und nicht immer nur auf die Symptome guckt,
sondern versucht, die Person zu sehen, so einen Ansatz hat, von
ganzheitlicher Medizin. Akupunktur hat sie ja auch gemacht. Und das denk
ich mir, das war ihr größtes Pfund, deshalb ist das auch ganz gut gelaufen.
Sie hat sich auch viel mit Fixern und Prostituierten …" Heike ergänzt:
"Aidsgruppe hat sie gemacht." Und Höge sagt: "Konnte sie auch nicht
abrechnen, Krebsgruppe hatte sie auch, Schmerztherapie hat sie gemacht. Und
dann war sie eine der Ersten, die mit Methadon gearbeitet hat. Das sind
alles so Sachen, die kosten unheimlich viel Arbeit, können aber nicht als
ärztliche Leistungen abgerechnet werden." "Deswegen ja!", sagt Klaus, "sie
hatte einen unheimlich tollen, idealistischen Ansatz gehabt, der natürlich
nicht mehr in die moderne Medizin hineinpasste." Höge sagt: "Also die
Leute, die ich kenne, als Patienten, die meinen, sie war die beste Ärztin
in Berlin." Klaus brummt und sagt: "Nu ja, medizinisch vielleicht nicht in
jeder Hinsicht. Ich war Patient bei ihr. Bis Mitte der 80er Jahre war ich
sehr viel in Afrika - wir hatten da so ein kleines Hotel betrieben - und da
habe ich mir das typische Tropenohr zugezogen. Geschwitzt, Zug bekommen
beim Autofahren, abends und morgens im Meer gebadet, das trocknet das
Ohrenschmalz aus, und dann ist aus den Borken ein so genanntes Cholesteatom
entstanden, eine gutartige Geschwulst, die aber schon das Trommelfell
durchdrungen hatte und ans Gleichgewichtsorgan ranging. Dorothea hat das
Ohr gespült und mich dann doch irgendwann zum HNO-Arzt auf die andere
Straßenseite geschickt. Aber der war auch nicht gut, und so hatte ich eine
ziemliche Odyssee hinter mich zu bringen. Also in dem Bereich war sie nicht
so die Ärztin meines Vertrauens. Aber ich weiß es von vielen Bekannten -
und du Helmut, warst ja auch Patient bei ihr - und auch andere Freunde
waren bei ihr, und alle waren sehr zufrieden. Nicht jeder Arzt kann alles,
das ist klar. Und für mein Ohr musste ich dann auch operiert werden." Zu
Heike gewandt fragt er: "Wann haben wir das gemacht? 1988, gell? Bevor ich
verheiratet war …" Allgemeines heftiges Lachen unterbricht ihn. Er
korrigiert: "Bevor wir verheiratet waren."
Höge sagt: "Jedenfalls, normal bei ihr war, dass man erst mal redet. Ganz
allgemein, was machst du, was hast du gemacht, was machst du demnächst, wie
läuft's? Ich hatte mal so eine Samenleiterentzündung, da sagte sie, hier,
probier das mal, Antibiotika auf Ananasbasis. Oder Erich Fried zum
Beispiel, der schwärmte ja so: Sie hat mir das Leben gerettet, sie ist die
allergrößte Ärztin. Er hatte Krebs. Und da hat sie dann auch mal die
Ardennesche Sauerstofftherapie … und die Krebstherapie, das war relativ
neu." Klaus fügt hinzu: "Der Udo Lindenberg war ja auch bei ihr Patient.
Sie hatte einige Promis." Auf unsere Frage, wo Dorothea eigentlich den
Schlaganfall hatte, in der Praxis oder zu Hause, sagt Heike: "In ihrem
Gartenhäuschen. Hier am Seddiner See. Auf der Südseite bei Kähnsdorf, da
hatte sie ein Grundstück gekauft und sich eine Blockhütte hinbauen lassen,
ein Gärtchen angelegt. Claudia hat da auch viel gemacht - jetzt hat sie es
übernommen, glaub ich - und Claudia hat sie damals auch gefunden, Dorothea
lag auf der Gartenliege und da war es passiert. Sie hat sie gleich mit dem
Krankenwagen nach Zehlendorf bringen lassen."
Höge: "Und damit war ihr Leben als Ärztin plötzlich beendet." Heike sagt:
"Ich kann mich erinnern, dass ich sie besuchte im Krankenhaus - sie lag ja
lange im Krankenhaus - und sie konnte kaum reden. Sie konnte sich an
vieles, an persönliche Dinge, jüngst zurückliegende und auch länger
zurückliegende Ereignisse überhaupt nicht erinnern, brachte Personen und
Zeiten durcheinander, aber wenn man auf Medizinisches zu sprechen kam, dann
legte sie los, wusste noch alles, konnte sich artikulieren. Vielleicht
liegt es daran, dass das Medizinstudium für sie identitätsstiftend war?!"
Höge: "Kann sein. Umso schlimmer. Jedenfalls ist sie dann umgezogen nach
der Reha, in die Nachbarschaft von Claudia." Klaus: "Vorher wohnte sie in
der Teutonenstraße in Nikolassee. Da hatte sie eine Etage, und zwar bei
einer Frau, die war die erste Justiziarin der Deutschen Bank. Die war uralt
und sie hatten eine Hassliebe. Sie kam ewig hoch und war neidisch auf jeden
Besuch, den Dorothea hatte." Heike: "Dann haben sie oben an der Treppe so
ein Türchen eingebaut für Kinder." Klaus: "Ja, und sie hat sie drei oder
vier Mal reanimiert, bis sie sich dann irgendwann gefragt hat, warum mach
ich das eigentlich mit der blöden Kuh?! Das war eine ganz witzige Zeit, da
habe ich schöne Erinnerungen. Sie lebte in dieser Wohnung zusammen mit
Andrew und sie haben da immer so einen schönen Salon gehabt, ein offenes
Haus, einfach auch so spontan, auch mal mit Ansage. Dort habe ich auch
Nuruddin Farah zum ersten Mal getroffen, das ist ein somalischer
Schriftsteller. Superspannend. Sehr interessanter Mensch. Der ist schon
mehrfach zum Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden. Andrew hatte ihn in
Berlin kennengelernt und eingeladen. Dann habe ich ihn durch Zufall in
Gambia wieder getroffen, mit einem befreundeten Architekten, der jetzt das
Bauhaus in Dessau leitet und der auch unser Hotel damals geplant und
gezeichnet hat, Also ein paar Leute habe ich damals bei Dorothea getroffen,
es war immer interessant bei ihr." Höge: "Dass sie überhaupt noch so viel
gemacht hat nach der Praxisarbeit?" Klaus: "Ja, dann war sie oft natürlich
ziemlich fertigt. Sie hat ja zehn bis zwölf Stunden gearbeitet. Und dann
ist sie auch keine Kostverächterin gewesen, hat getrunken, hat geraucht,
hat sich nichts erspart, auch meines Erachtens auch zu viele Medikamente
genommen …" Höge: "Aufputschmittel. War ja auch völlig normal damals."
Klaus: "Wollte nur sagen, sie war keine Kostverächterin, ihr Liebesleben,
das war ja nun auch nicht ohne, sie hat immer sehr hochgedreht. Aber es
geht ja nicht, wenn man ständig an zwei Seiten brennt. Na ja, das war die
Bremse, die einfach kommen musste!
Sie war auch eine leidenschaftliche Autofahrerin. Es mussten immer kleine,
spritzig schnelle Autos sein. Sie fuhr gern richtig bretter, bretter! Sie
ist auch viel verreist." Höge: "Und immer zu Manfred gefahren." Heike: "So
alle zwei, drei Monate." Klaus: "Er konnte nur einmal im Monat Besuch
haben. Wir haben uns abgewechselt, mal bin ich hingefahren oder wer sonst
da war. Dort musste man erst mal alles ausleeren, alle Taschen, alles
abgeben. Strenge Sicherheitsmaßnahmen. Geld konnte man mit reinnehmen, da
war ein Zigarettenautomat. Wir haben immer gleich eine Schachtel gezogen.
Die haben wir in der Stunde geraucht, und vielleicht eine Cola dazu, zehn
Mark durfte ich mitnehmen. Das reichte damals dann noch für eine Schachtel,
die er mit reinnehmen konnte. Eigentlich kannte ich Manfred nur ganz
flüchtig, aus den 70ern, aus der Grunewaldstraße. Ich hatte später ja mit
Philip Sauber zu tun, den kannte ich, er war auch in dieser WG. Also von
Manfred hörte ich erst wieder nach diesem Showdown in der konspirativen
Wohnung in Hamburg, wo die Bullen schon gewartet haben und sofort anfingen
zu schießen. Manfred hat ja selber zwei Schüsse abgekriegt, und hätte er
nicht zurückgeschossen - wobei einer verletzt worden ist und einer
erschossen -, dann wäre er ja auch nicht mehr am Leben gewesen. Seine
Freundin, Petra Schelm, war im Jahr davor erschossen worden. Man nannte das
dann ,putative Notwehr', damals eine neue Begrifflichkeit, die jetzt
wahrscheinlich wieder aktuell wird durch Herrn Schäuble - die ,putative
Notwehr', das werd ich nie vergessen.
Einige Zeit nachher bin ich nach Hamburg geflogen, ich musste an der
Dresdner Bank am Jungfernstieg für 15.000 Mark Reiseschecks abholen, für
meine erste Gruppe, die ich für den DAAD betreut habe, sudanesische
Studenten. Ich habe mir fast das Handgelenk abgebrochen beim
Unterschreiben. Ich komme da raus, ist alles voller Bullen. Da ist grade
Gudrun Ensslin in der Boutique nebenan verhaftet worden. Ich dachte, jetzt
hast du 15.000, machst du das weiter mit dem DAAD, oder gehst du mit dem
Geld woandershin? Ich habe mich dann", lacht, "zum Weg durch die
Institutionen entschieden. Also das war im Juni, als Ensslin verhaftet
wurde und im Juni haben sie auch den Baader … Das mit Manfred war vorher,
da bin ich sicher, Heike, wann war das?" Heike geht zum Laptop, während
Klaus weiter erzählt: "Ich habe damals ja sehr viel amerikanische Kultur
produziert, mit verschiedenen Musikern, das war so eine gemischte Gruppe
aus Westafrikanern, Jamaikanern, Deutschen, Amerikanern, die haben 150
Konzerte im Jahr gegeben, und Manfred hat ja im Knast eine Band gehabt
später, spielte Gitarre und Harmonika - ein guter Musiker! So Blues und
Rock n Roll …" Heike ruft uns zu: "Am 3. März 1972 hat Manfred diesen
Kriminalhauptkommissar erschossen." Klaus fährt fort: "Und dafür hat er
glaube ich zwei mal lebenslänglich plus 15 Jahre gekriegt und 16 Jahre hat
er gesessen. Jedenfalls habe ich es dann irgendwann geschafft, mit dem
Pfarrer, gegen den großen Widerstand von dem Gefängnisdirektor, über ein
Konzert unserer Gruppe im Knast zu reden. Und wir haben es durchgesetzt,
mit diesem Pfarrer zusammen, der ganz toll war, ein Holländer katholischer
Pfarrer - natürlich hatte Manfred nichts mit Religion am Hut, aber so über
die Jahre… Das war 84/5 etwa. Und dann bin ich mit der Band rein. Durch die
Kontrolle mit dem ganzen Lkw, den Instrumenten und der Anlage reingefahren.
Ein Tor, noch ein Tor, noch eins … Da waren dann 500 Männer - und da war
eine afrikanische Tänzerin, und die afrikanische Musik ist ja schon auch
sehr rhythmisch, also der ganze Boden hat vibriert, so ähnlich wie im
Metropol am Nollendorfplatz. Also das war ein Wahnsinnskonzert! Die Wärter
haben hinterher gesagt, dass die Gefangenen noch nie so schnell wieder
eingeschlossen werden wollten wie an diesem Abend. Die wollten das wohl
alle in Ruhe noch mal ,nacharbeiten'.
Rausgekommen ist Manfred dann 1988, das hat ja noch Bernhard Vogel gemacht,
der war damals Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, und dieser
Justizminister Caesar, von der ,guten' FDP, auch Baum, Hirsch usw. Und vor
allen Dingen der Bischof von Limburg, schon ein bisschen ein Aufgeklärter,
hieß Kamphaus. Und natürlich hat das sehr geholfen, dass Dorothea den
Manfred im Knast geheiratet hatte, vier Jahre vorher. Das galt als
Sozialisierungsgeschichte. Gut, das war die Manfred-Geschichte." Höge sagt:
"Noch mal zum Knast jetzt, also danach war der Manfred so lebensgeil, er
wollte all die Jahre aufholen. Es reichte nicht nur Bier, es musste dann
Bier, Sekt, Wein sein, und rauchen und kiffen und reden, und jetzt gehen
wir noch mal hierhin und dahin … also es war sehr anstrengend! Und es gab
bei Dorothea auch so eine Phase nach dem Knast …" Klaus widerspricht: "Ach
nee, da muss man einen Unterschied machen, weil Manfred die ersten Jahre im
Knast Zweibrücken voll in Isolationshaft saß, in Diez ging es ihm dann
schon ein bisschen besser. Dorothea war ja nicht lange im Knast, gut, sie
war im toten Trakt in Köln-Ossendorf, aber es kommt immer darauf an, was du
für eine Perspektive hast. Ihre war gut, die von Manfred nicht, da war ja
lange unklar, wie jetzt der Staat … Das ging eigentlich erst los mit Astrid
Proll unter Baum als Innenminister, wo sozusagen der erste Diskurs war. Das
hat dieser Prozess auch irgendwie mit eingeleitet. Aber man sieht ja, wie
die Diskussionen heute verlaufen, mit wie viel Verve die noch geführt
worden sind bei Christian Klar und den anderen. Also Dorothea hatte nicht
diese Aussichtslosigkeit des ewigen Gefangenseins zu befürchten. Manfred
schon. Er hat sich irgendwie konserviert im Knast, andere werden dabei
steinalt. Er war 42, als er rauskam, heute ist er 62, mit 26 kam er rein.
Er hat viel gelesen, hat eine ungeheure Bildung, der weiß so viel, hat die
ganzen Klassiker gelesen und Geschichte war sein großes Hobby. Für Dorothea
war er ein sehr attraktiver Mann. Und sie hat es geschafft, ganz viele
Leute zu animieren sich für ihn einzusetzen. Auch meinen Bezug zu Manfred
hat Dorothea hergestellt.
Aber über Dorotheas RAF-Zeit oder Sympathie, muss ich ehrlich sagen, da
weiß ich gar nichts. Sie hat das auch später nie irgendwie vertreten. Sie
hat sich nur allen gegenüber immer sehr solidarisch verhalten. Ich war nie
ein RAF-Sympathisant. Als Westberliner Lokalpatriot fühlte ich mich zum 2.
Juni hingezogen. Die waren nicht so trocken. Es gab ja den berühmten
Banküberfall damals, wo sie eine Kiste Negerküsse hinstellten, für das
Publikum und die Bankbeamten. Und dann hatten sie die Frechheit, vier
Wochen später die gleiche Bank noch mal zu überfallen. Und die
Lorenz-Entführung, muss ich sagen, die wurde in Westberlin goutiert!" Höge
sagt: "Und Fritz Teufel hat ja dann fünf Jahre eingesessen dafür." "Ja,
Teufel hat fünf Jahre im Knast gesessen, und erst am Ende des Prozesses,
als der Staatsanwalt schon fertig war und 15 Jahre gefordert hatte, da kam
Teufel mit seinem ,Alibi/Belibi', er konnte nachweisen, dass er bei
Klöckner oder wo immer gearbeitet hatte in der fraglichen Zeit." Höge: "In
einer Toilettendeckelfabrik in Essen, unter falschem Namen. Er hat damit
die in all diesen Prozessen übliche Urteilsfindung und Gruppentheorie als
Schwindel entlarvt." Klaus: "Ja, aber noch mal zu meiner Sympathie und
Antipathie: Also ich hatte relativ früh Kontakt, hab mich aber immer
verweigert, weil mir das alles zu unklar war. Ich kam eigentlich dazu durch
die persönliche Beziehung zu Philip Sauber. Aber ich fand diese
Bombenanschlagsgeschichten immer idiotisch. Er war ja auch wegen so einer
Geschichte zur Fahndung ausgeschrieben, obwohl er meines Erachtens nicht
wirklich daran beteiligt war. Jedenfalls, diesen Diskurs mit Philip, den
fand ich halt spannend. Er war ja dann unter falschem Namen als Arbeiter
bei der Klöckner-Humboldt-Deutz in Köln. Er war im Untergrund und hatte den
Kontakt zu den Arbeitern. Bei mir war es so, dass ich mehrere Identitäten
gleichzeitig gelebt habe, ich habe mit ihm die Zelle aufgebaut,
andererseits habe ich für den DAAD gearbeitet und ich war Student.
Philip hat sich so ein bisschen angelehnt an die POTERE OPERAIO in
Italien." (Potere Operaio vertrat eine neue antikapitalistische Richtung,
eine Arbeiterbewegung autonomer Fabrikarbeiter, jenseits von Gewerkschaft
und KP. Ziel war die Zerrüttung des Fabrikarbeitssystems, der Fließbänder
und Taktsysteme, praktiziert wurde Arbeitsverweigerung und Sabotage.
Arbeitskampf verstand man nicht als Kampf um bessere Löhne und
Arbeitsbedingungen, sondern als Aufstand der Arbeiter gegen eine Existenz
als Ware. Obwohl sich die meisten dieser Gruppen in den 70er Jahren
auflösten, war ihre gesellschaftliche Wirkung doch tiefgreifender als bei
uns, zum Beispiel in der Gesundheitspolitik mit der Antipsychiatriebewegung
von Basaglio und dem bis heute existierenden staatlichen Gesundheitssystem,
einem bürgerlichen Grundrecht auf Gesundheit, auf kostenlose medizinische
Versorgung. Anm. G.G.) "Damals, das muss man sagen, gab es auch bei uns
eine linke ,ausländische' Arbeiterbewegung. Viele waren Türken. Die ist
dann aber zerschlagen worden, viele sind ausgewandert. Die nächste
Generation wurde dann eher von den ,Grauen Wölfen' unterwandert. Also unser
Ansatz war, Kontakt herstellen, es ging uns um Auseinandersetzungen mit den
konkreten Kämpfen. Erst mal eine sehr enge Zielrichtung, die nicht gleich
aus war auf die Weltreligion. Und dann war eben dieser wahnsinnige Schock
1975, dieses Feuergefecht auf dem Parkplatz bei Köln, wo drei verschiedene
Bullenteams ihnen aufgelauert haben - der Philip, dem Roth, und der dritte
Name fällt mir jetzt nicht ein -, bei dem Philip erschossen worden ist.
Zehn Schüsse hat er, glaub ich, abgekriegt. Den letzten aus zehn Zentimeter
Entfernung. Er ist hingerichtet worden! Ich war in Berlin, als die
Nachricht kam. Bin gleich abends mit dem Zug gefahren und habe die zwei
Wohnungen, die halt illegal waren, grundgereinigt. Ich war vollkommen
fertig. Das war wirklich eine sehr persönliche und sehr private Geschichte,
nicht wies bei den ganzen stalinistischen Ansätzen oder der RAF oder so
war, wo man eigentlich zur Nummer wurde. Ich war dann auch persönlich in
einer sehr tiefen Krise und habe für mich selber einen Ausweg gesucht. Ich
dachte, ich muss raus, weg aus Deutschland. Dann war ich ab 1975 mit
Unterbrechungen immer im Ausland und kam dann erst Ende 78 wieder nach
Berlin, um zu Ende zu studieren. Aber irgendwie hatte ich keine Böcke mehr,
schon gar nicht auf eine akademische Karriere, auch auf keine beim DAAD.
Also habe ich angefangen mit afrikanischer Kulturarbeit, bis dann 1981 …"
Da lernte er Heike kennen. Wir möchten von ihr noch etwas zum Leben im
Vogelsberg hören. Klaus referiert, noch bevor Heike das Wort ergreifen
kann: "Der Vogelsberg, das ist so ein bisschen Hessisch-Sibirien, liegt
zwischen Gießen und Fulda, eine Landschaft im deutschen Mittelgebirge, der
größte erloschene Vulkan Zentraleuropas, und es war so ein Rückzugsgebiet
der Frankfurter Szene. In den 80er Jahren waren die Hauspreise niedrig …"
Heike beginnt ruhig zu erzählen: "1978 haben Helmut und ich den Wohnwagen
ausgebaut und uns damit 79 aufgemacht zu einem Treffen von Fahrenden und
Leuten mit Tipis, das im Vogelsberg stattfinden sollte. Helmut und ich sind
dann dort geblieben über den Winter. Er hat sein ,Neues lotes Folum'
geschrieben (eine anarchistische situationistisch orientierte Zeitschrift
f. Poesie und Revolution, seit 1975 von Helmut Höge herausgegeben. Seine
Herausgeberschaft hielt er lange geheim. Anm. G.G.) und ich habe eine
Übersetzung gemacht. Ich bin dann, teilweise allein oder mit anderen viel
rumgefahren, aber irgendwann wurde ich schwanger, und da dachte ich, in
diesem Zustand weiter auf dem Traktor sitzen und herumfahren, das will ich
nicht. Also bin ich zum Vogelsberg zurückgefahren und stand dann dort mit
dem Wohnwagen. Helmut kam auch mal wieder, kurz vor der Geburt glaub ich,
da wollte er gerne dabei sein." Klaus bescheiden: "Und wir haben uns
kennengelernt …" Heike sagt: "Stimmt genau. Da war ich schon hochschwanger.
Dann habe ich meine Tochter bekommen. Und wir haben noch ein Jahr im
Wohnwagen zusammengelebt, das wurde aber zu eng zu dritt. Ich habe mich
also aufgemacht und ein Haus gesucht und gefunden. Das, in dem wir dann
später gelebt haben am Vogelsberg, ein völlig heruntergekommenes
Bauernhaus, aber schön gelegen, an einem Bach, am Rand des Dorfes. Da sind
wir hingezogen, Helmut, meine Tochter und ich, und Klaus kam dann auch
dazu. Und 1984 kamen die ganzen Tipi-Leute und haben quasi bei uns dann
auch noch mal einen Winter verbracht. Ums Haus herum hatten sie ihre Tipis
und Wagen aufgestellt, Badezimmer und Toilette war bei uns im Haus. Klaus
war vollkommen abgenervt." Klaus sagt barsch: "Ich bin ja nicht besonders
pingelig, aber ich konnte den Dreck nicht ausstehen. Und was mir noch mehr
auf den Sack ging, waren die ganzen gruppendynamischen Sitzungen!" Heike
sagt scharf: "Das waren Plenumssitzungen und keine gruppendynamischen
Sitzungen! Aber mir ist das auch auf den Keks gegangen, 15 Leute, immer in
der eigenen Soße. 1985 sind sie dann weitergezogen und 85 ging auch Helmut
weg. Und da hat das dann mit der Gambia-Geschichte angefangen, mit dem
Hotel. Wir haben weiterhin am Vogelsberg gewohnt. 93 bin ich noch mal
schwanger geworden. Ich saß dann da mit einer zehnjährigen Tochter und
einem Baby in so einem Dorf. Da wirst du depressiv. Bis 97 blieben wir da,
13 Jahre lang haben wir renoviert, und als es fertig war, sind wir weg nach
Berlin und haben hier gebaut."
Klaus sagt: "Das Hotel hatten wir weitgehend vom Vogelsberg aus betrieben.
Ich hab bei meiner afrikanischen Kulturarbeit ja viele Künstler eingeladen,
da dachte ich, machen wir das doch mal andersrum. Wir bringen Leute von
hier dorthin. Das Hotel war ein kommerzielles Ding mit dem Zweck:
Kulturaustausch. 87 ging die erste Gruppe runter, war glaube ich, sogar
eine Frauen-Reise. Wir haben auch Heiler-Reisen gemacht, Trommel-Kurse,
Ornitologen-Reisen, 14-tägige Seminare. Heute existiert es nicht mehr. Es
ist einfach nicht mehr gegangen, zu viele Enttäuschungen … Alles wurde
geklaut, wir wurden beschissen von vorne bis hinten! Und ewig dieses
Genöle, dass irgendwie der Kolonialismus schuld ist, der ja nun auch schon
zwei Generationen zurückliegt. Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, nur
weil ich Weißer bin, ich habe keinen Kolonialismus gebracht! Das sind
Penner da, die kriegen den Arsch nicht hoch!" Ich rufe: "Hör auf!" Klaus
scharf: "Ne, lass uns doch darüber streiten, wir können nicht immer
Eiapopeia machen! Ich finde, das ist eine Scheißmentalität, immer nur die
Hand aufhalten. Genau wie ich hier Probleme habe mit den Leuten, die seit
Jahrzehnten auf Stütze leben. Ich hab mich noch nie staatlich aushalten
lassen, ich hab Tennisbälle als 14-Jähriger aufgesammelt, habe Blumen
ausgefahren, habe immer gearbeitet. Und ich finde das nicht in Ordnung, bei
uns nicht und nicht in Afrika." Heike gibt zu bedenken: " Es gibt viele
Afrikaner, die daran ja auch verzweifeln, an ihren eigenen Leuten." Klaus
sagt wütend: "Guck dir den blöden Mugabe an, Simbabwe war eines der
reichsten Länder Afrikas. Was haben wir gefeiert 1980. Bob Marley da - und
die Unabhängigkeit! Und was ist das für ein Arschloch, der das Land
ruiniert hat bis in den Grund und nun einen Krieg androht, um seine
beschissene Macht da zu erhalten?!"
6 Jul 2008
## AUTOREN
(DIR) Gabriele Goettle
## ARTIKEL ZUM THEMA