# taz.de -- Türkei vor Mammutprozess: Mutmaßliche Putschisten vor Gericht
       
       > Die türkische Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen 86 Personen. Sie
       > sollen einen Sturz der Regierung unter Tayyip Erdogan geplant haben.
       
 (IMG) Bild: Putschverusch: Der Oberstaatsanwalt klagt an - aber nicht alle.
       
       ISTANBUL taz Die Istanbuler Staatsanwaltschaft will in dem so genannten
       Ergenekon-Verfahren 86 Personen wegen eines Putschversuches gegen die
       Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan anklagen. Wie
       Oberstaatsanwalt Aykut Cengiz Engin gestern gegenüber der Presse erklärte,
       werden die Verdächtigen, die teilweise seit fast einem Jahr in
       Untersuchungshaft sitzen, als Mitglieder einer bewaffneten Organisation
       angeklagt, die einen Umsturz geplant hätten beziehungsweise die Armee zu
       einem Putsch provozieren wollten. Falls das zuständige Gericht entscheidet,
       das Verfahren aufzunehmen, wird ein Mammutprozess auf die Türkei zukommen.
       Die Anklageschrift umfasst 2455 Seiten.
       
       Viele Beobachter reagierten dennoch enttäuscht auf die Vorstellung des
       Staatsanwaltes. So wurde mit Befremden registriert, dass die vor zwei
       Wochen festgenommenen Vier-Sterne Generäle Sener Eruygur und Hursit Tolon
       nicht zu den Angeklagten gehören. Auf Fragen sagte Staatsanwalt Engin, es
       sei möglich, dass es noch Zusätze zu der Anklage geben werde, also die
       Generäle später ebenfalls noch angeklagt würden.
       
       Nach den bisherigen Veröffentlichungen wollte die in Ergenekon organisierte
       Putschistentruppe das Land durch Terrorakte destabilisieren, um
       letztendlich die Armee dazu zu veranlassen, die Macht zu übernehmen. Bisher
       war spekuliert worden, dass der Mord an dem armenischen Publizisten Hrant
       Dink und die Morde an Christen in Malatya mit auf das Konto von Ergenekon
       gingen. Beide Fälle tauchen jedoch in der Anklage nicht auf. Stattdessen
       wird Ergenekon beschuldigt, beim Mord an einem der höchsten
       Verwaltungsrichter und einem Anschlag auf die kemalistische Tageszeitung
       Cumhuriyet - in beiden Fällen wurde Islamisten beschuldigt und verurteilt -
       die eigentlichen Drahtzieher gewesen zu sein.
       
       Am auffälligsten ist, dass die Anklage keinen Bezug nimmt auf ein Tagebuch
       des früheren Admirals und Marinechefs Özcan Örnek. Vor bereits gut einem
       Jahr war es in dem Magazin Nokta veröffentlicht worden, es berichtet
       ausgiebig über Putschvorbereitungen in Kreisen des Generalstabs. Weder ist
       Örnek angeklagt, noch werden die Tagebücher für die Anklage herangezogen.
       Das Verfahren macht deshalb den Eindruck, als schrecke die
       Staatsanwaltschaft letztlich doch davor zurück, die Spuren der
       Putschvorbereitungen bis in die ehemals höchsten Ränge der Armee zurück zu
       verfolgen.
       
       Politische Kommentatoren spekulierten deshalb gestern darüber, ob
       vielleicht doch hinter den Kulissen ein Deal zwischen Armeeführung und der
       AKP-Regierung ausgehandelt worden sei. Eine Antwort darauf, so der Tenor,
       werde es wohl erst geben, wenn das Verfassungsgericht sein Urteil im
       Verbotsverfahren gegen die AKP spricht. Kommt die Partei mit einer
       Verwarnung davon, spräche das für Verhandlungen hinter den Kulissen. Wird
       die Partei verboten und Ministerpräsident Erdogan mit einem Politikverbot
       belegt, könnte die Anklage doch noch auf die Generäle erweitert werden.
       
       14 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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