# taz.de -- Jeder schwärmt: Ganz dicke Tortenstücke
       
       > Einst Luxuskurort der Aristokraten, heute ist Opatija vor allem Ziel
       > junger Familienurlauber
       
 (IMG) Bild: Hotel Kvarner, bereits 1884 eröffnet
       
       Wunderschön. Jeder sagt es, der einmal in Kroatien war, jeder schwärmt.
       Schöner als Italien. Näher als Portugal, anmutiger als Spanien, maßvoller
       als Frankreich. Hans oder Franz nennen die Kroaten die Deutschen. Klingt
       hübsch. Ich bin in Richtung Opatija unterwegs, Halbinsel Istrien. Die Stadt
       ist mal österreichisch gewesen. Piefke, sagt der Österreicher zum
       Deutschen. Macho heißt das kroatische Eis am Stiel. Schwarze Schokolade,
       Überzug und Füllung. Es muss schön sein in Kroatien. Wunderschön.
       
       Nach Zagreb mit dem Flugzeug, von München aus eine Stunde, eine einfache
       Sache. Dann mit dem Bus, das dauert, aber das ist nicht schlimm. Bald
       kommen die Palmen, die Pinien, die Felsen, die Rundungen, die die Berge
       sind. Dann das große Wasser, die Adria. Dann helle Mauern, rote Dächer,
       Opatija, eine Stadt wie aus Zuckerwerk. Das Tal hinunter breitet sie sich
       an der Kvarner Bucht aus, kleine Boote im Hafen, Segelboote, Ruderboote.
       Darüber ein grüner Gipfel, von dem aus der Blick bis nach Venedig reicht.
       Dann kommt nichts mehr. Es muss nichts mehr kommen. Du bist da.
       
       Verlange nie Cevapcici, habe ich von Mladen gehört. Ein türkisches Gericht,
       hat er gesagt. Die Kroaten mögen das nicht. Schinken, Schafskäse,
       Goldbrasse, oh ja, aber nie Cevapcici. Vor dem Spielcasino hatte Mladen
       gesessen und sich Regina, die Miss Oktoberfest, im kroatischen Playboy
       angesehen. Deutschland hat er kennengelernt, vor langer Zeit, damals noch
       als Jugoslawe. Jetzt zwinkert er den Leuten zu, die seinen Blick erwidern.
       In seinen Brillengläsern funkelte die Sonne, und durch die Tür des Casinos
       gingen Männer, die sich umblickten, als würden sie ein Bordell betreten.
       Ich stehe vor der Vitrine der Konditorei am Grand Hotel, sehe mir den
       Kuchen an.
       
       15 Zentimeter dick die Cremeschnitten, 20 die Trüffel-, die Nugat-, die
       Schwarzwälder-Kirsch-, die Herrentorte. Sahne-, Butter-, Puddingschichten,
       es türmt sich auf und quillt über auf dünnen Teigböden. Warm ist es, das
       Licht gedämpft, das Personal flüstert und schwebt durch den Raum. Sie sind
       da gewesen, fällt mir bei der Gelegenheit ein. Kaiser, Könige und Barone,
       der Geldadel und die Neureichen Europas. Ein sogenanntes Stelldichein.
       
       Den Kuchen ließen sie mit der Eisenbahn kommen, Sachertorte vor allem. Ein
       halber Tag, dann war sie da. Anders als aus Wien, aus dem Café Sacher
       wollten sie sie nicht. Sie pflegten ihre Zipperlein in Bädern und in
       Thermen, sie schwelgten in Genüssen, Intrigen darunter und die neueste
       Liaison. Danach der Höhepunkt des Tages, dann war die Geliebte dran. Kur
       nannten sie es, und es war ihnen ein großes Vergnügen. Ein einziges Fest,
       ein einziges Rauschen, die Bälle und die Empfänge, das ganze Jahr durch,
       ohne Pause. Gründerzeit war Aufbruch, und Opatija hieß Sankt Jakob.
       
       Heute ist die Stadt wieder europäisch, nach kurzer italienischer und langer
       jugoslawischer Zeit. Kur in Opatija heißt heute Wellness, was sogar global
       und auch nach Aufbruch klingt. Plebejisch die Gäste, sie tragen
       Bauchtaschen, Tennissocken, kurze Hosen, Badepantoffeln, Stringbikini, sie
       schieben Kinderwagen vor sich her, die Promenade rauf, die Promenade
       runter, kilometerweit. Manchmal Hüte aus Stroh, toupiertes Haar, starres
       Make up, ältere Damen, Wiener Dialekt.
       
       Ich möchte noch ein Macho-Eis. Ausverkauft. Macht nichts. Dann eben King,
       Nugat-Vanille. Auch nicht übel. Am Abend kehren die Gäste in die
       Hemingwaybar ein. Sie beobachten die tief liegenden Autos, die vorgefahren
       kommen. Später das Mädchen oben auf dem Podest, wie sie zuckt und oben ohne
       Musik auflegt. Was Schnelles, Dröhnendes.
       
       Die Nächte in Opatija sind laut und schnell und voller Paare, die eng
       umschlungen sind, am steinigen Ufer, auf Bänken unter Palmen. Dunkel muss
       es sein, nachtschwarz. Erst ist der Mond aufgegangen, dann die Venus. Und
       gegenüber die mächtigen, gebirgigen Silhouetten der Inseln Krk und Cres,
       Ruhepunkte. Ein Anblick wie die Ewigkeit.
       
       Stadt der Blumen. Die Kamelien, die Magnolien. Die wilden Orchideen, im
       Gras verborgen. Der Park Angiolina soll über hundert Pflanzenarten haben.
       Alles subtropisch, alles mitgebracht von Seeleuten, deren Schiffe einst im
       Hafen lagen. Ich gehe an einem Mammutbaum vorbei, will zum Kvarner Hof, dem
       alten Hotel. Sehr groß, sehr hoch, sehr gerade, der Baum. Erhaben steht er
       da, Lorbeerbäume ringsum, Bambus- und Bananenstauden.
       
       Franz Josef I. hat den Baum umkreist, an seiner Seite eine Schauspielerin
       aus Wien. Da ist der Baum noch ein Bäumchen gewesen, und Sisi, die
       Kaiserin, verbrachte die Tage auf Korfu, mit einem ungarischen Grafen. Der
       Uferweg, der in den Park mündet, trägt Franz Josefs Namen. Doch darüber,
       oben in der Stadt, ist die Marschall-Tito-Promenade, größer, breiter,
       heiterer. Dort oben vergnügt sich das Volk. Es hat Tito geliebt, weil er
       Kroate war und stark, und es liebt ihn immer noch. Dort oben hat er seine
       Reden gehalten, wenn er in der Stadt war.
       
       Der Kvarner Hof, Kroatiens ältestes Hotel. Gründerzeitbau, Schloss
       Schönbrunn in Wien nachempfunden. Auf der Meerseite eine Terrasse,
       Marmorfußboden, und ein Pool, hellblau gefliest, verlassen. Die
       Fensterläden geschlossen, das Hotel wirkt unbewohnt. Winzig die Lobby. Die
       Rezeption nicht besetzt, die Bar, an der keiner steht. Leer die Korridore,
       der Schritt hallt. An einem Tisch im Speisesaal ein Mann, eine Frau, ein
       altes Ehepaar beim Frühstück, Rührei mit Spargel, Pinienbrot dazu.
       
       Sie schweigen, sie gucken in die Luft. Wie schön es hier einmal gewesen
       sein muss. Wunderschön. Dahin die Zeit, da berühmte Leute sich von einem
       Aufenthalt in Opatija Linderung ihrer Leiden versprachen und im Kvarner Hof
       abgestiegen waren. Tschechow und Sienkiewicz, die Schriftsteller, Kalman
       und Mahler, die Komponisten. Für die Linderung vieler Leiden ist der
       Aufenthalt in Opatija gut. Für Bronchitis und Asthma, für Rheuma, Diabetes,
       Ischias. Trocken die Luft, hoch angereichert mit Meersalz, befreiend. Milde
       Winter, lange Sommer. Bura und Jugo, die das bewirken, die Winde, die über
       die Berge kommen, einfach sagenhaft.
       
       Im Kristallsaal des Kvarner Hofs ein Kongress, Computerfirmen, und ich darf
       nicht rein. Spiegel, Lüster, durchgesessene Stühle. Nach den Prinzessinnen
       und Prinzen sind die sozialistischen Schlagersänger da gewesen, sie haben
       im Saal ihre Wettbewerbe abgehalten, als Gegenstück zu den Festivals in San
       Remo. Ein Zwischenspiel. Man wird bald wieder unter sich sein. Das Hotel
       wird jetzt renoviert, Schritt für Schritt. Opatija soll wieder Luxuskurort
       werden, fünf Sterne, für die Erfolgreichen und Verwöhnten. Den sogenannten
       Jetset. Warum nicht.
       
       Ich will weiter, Richtung Süden, die Küste entlang. Nach Senj und Nehaj,
       die Stätten des Romans "Die rote Zora und ihre Bande" sehen. Danach Rab,
       die Insel, nicht mehr weit. Rab hat einen Nacktbadestrand, feinster Sand.
       Ich werde vorher die Raber Torte versuchen, echt kroatisch. Marzipan,
       Zitronenaroma, trockener, fester Teigmantel, sonst nichts. Eine Explosion
       im Mund, heißt es. Aber das alles wird eine eigene Geschichte sein.
       
       16 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Feix
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Kroatien
       
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