# taz.de -- Deutsch-türkische Kampfkünstlerin: Der ultimative Kick
       
       > Die erst 18-jährige Taekwondo-Kämpferin Sümeyye Gülec will in Peking eine
       > Goldmedaille holen - und ist jetzt schon Rollenvorbild für
       > deutsch-türkische Mädchen.
       
 (IMG) Bild: Sümeyye Gülec (m) holte als 15-jährige bei der Taekwondo-WM 2005 die erste deutsche Medaille.
       
       Hier in der Findelwiesenstraße im Treppenhaus eines Hinterhofes kann man
       sie schon hören. Sümeyye Gülec ist gerade damit beschäftigt, einen kleinen
       Jungen zusammenzufalten. "Warum lachst du?", ruft sie. "Nicht lachen!",
       schreit Gülec. Der Junge erschrickt. Alles ernst? Nicht ganz. Die Andeutung
       eines Lächelns umspielt Sümeyye Gülec Mundwinkel.
       
       Nicht lachen! Das gilt für die 30 jungen Taekwondo-Kämpferinnen und
       -Kämpfer, die da dicht auf dem mattierten Boden hocken. "Nicht lachen!" ist
       ein Ausdruck für die Disziplin, die jeder mitbringen muss, wenn er bei
       dieser Übungsstunde mitmachen will. Zum Schluss des Trainings nimmt Sümeyye
       Gülec den kleinen Jungen aber besonders liebevoll in den Arm. Später
       lächelt Gülec unentwegt. "Ich glaube, die wollen, dass ich sie anschreie",
       sagt sie. Mit ihr ist man damals, als sie angefangen hat, auch nicht
       zimperlich umgegangen. Der Nachwuchs will vermutlich von ihr trainiert
       werden, weil sie es zu etwas gebracht hat. Weil sie, Sümeyye Gülec, den
       Sprung geschafft hat aus der Nürnberger Südstadt zu den Olympischen Spielen
       in Peking. Özer Gülec, 4. Dan im Taekwondo, hat festgestellt, dass vor
       allem die Mädchen wegen ihr kommen. "Sümeyye ist ihr Vorbild, sie wollen
       nicht ins Ballett gehen, sie wollen so kämpfen wie Sümeyye", sagt der
       42-Jährige.
       
       Özer Gülec kennt Sümeyye gut. Sie ist seine Nichte. Während ihrer Geburt
       saß er mit seinem Bruder Niyazi zusammen und sagte ihm, dass da eine neue
       Taekwondo-Kämpferin zur Welt gekommen sei. Fünf Jahre später bestritt sie
       ihren ersten Wettkampf. Mittlerweile wiegt sie immerhin 45 Kilo. "Bei den
       Kopftreffern ist sie ganz stark und bei den Drehkicks", sagt er, "obwohl
       bei den Drehkicks könnte sie noch etwas mehr Selbstvertrauen haben."
       Wichtiger ist der Blickkontakt."Sie hat mir mal gesagt", erzählt Özer
       Gülec, "dass sie keine Motivation und keine Kraft mehr hat, wenn sie das
       Onkelauge nicht sieht." Bei einem Wettkampf in den USA war sie mal alleine
       und versagte völlig. Deshalb wird Onkel Özer dabei sein, wenn sie am 20.
       August in Peking kämpft. Um Medaillen? "Deshalb fliegen wir nach China",
       sagt Gülec, "bei der Olympiaqualifikation hat sie die dreifache
       Weltmeisterin besiegt." Ihr Vater Niyazi Gülec erklärt: "Wir hoffen alle,
       dass sie bei Olympia den ersten Platz schafft. Das wäre ein Sieg für die
       Ewigkeit, für unsere Sportschule, für Nürnberg, für Deutschland, für das
       Taekwondo." Aber er betont, dass er keine Belohnung für die Goldmedaille
       ausgesetzt hat. "Da würde sie sich zu sehr unter Druck fühlen." Und
       außerdem habe er dafür kein Geld. 2.000 bis 3.000 Euro koste ihn der Sport.
       Pro Jahr. Und pro Kind. Tahir (15), Rabia (14) und Malik (8) gelten als
       ähnlich talentiert wie die große Schwester. Und als Schichtarbeiter in
       einem Nürnberger Druckgusswerk verdient er nicht viel.
       
       Warum seine Tochter nicht für die Türkei startet? "Sie ist hier geboren und
       aufgewachsen", sagt Niyazi Gülec. Seine Tochter sieht die Sache nüchterner:
       "Hier in Deutschland sind wir die Türken, in der Türkei sind wir es nicht
       mehr. Ich betrachte mich als einen deutsch-türkischen Mix." Als Deutsche
       hat sie einen Platz als Obergefreite in der Sportfördergruppe der
       Bundeswehr bekommen, wo sie unter Profibedingungen trainieren kann.
       
       Aber ein Vorurteil muss da noch ausgeräumt werden. Muslimische Frauen und
       Kampfsport? "Wir haben hier ganz viele Moslems im Verein, inzwischen sind
       es mehr Mädchen und junge Frauen als Jungs und Männer", sagte Sümeyye
       Gülec. "Taekwondo", erläutert Özer Gülec, "ist auch mit Kopftuch möglich
       und von den internationalen Regeln her ausdrücklich erlaubt." Das klingt
       einfach. Auffällig ist aber, das die ältesten der Mädchen, die hier in der
       Findelwiesenstraße trainieren, nicht älter sind als Sümeyye Gülec.
       Erwachsene Sportlerinnen sind nicht zu sehen. Gülec lässt ihren Fuß in die
       Höhe schnellen, knallt ihn mit ordentlicher Wucht ihrem Trainingspartner
       vor den Brustpanzer. Für die 18-Jährige bringt dieser Sport den ultimativen
       Kick. Und in Peking die Chance, ganz groß rauszukommen.
       
       18 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Roos
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
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