# taz.de -- Prozess zum Tod des Journalisten Hrant Dink: "Es war Jennifer Lopez"
       
       > Seit Juli ist der Prozess gegen den Mörder von Hrant Dink nun öffentlich.
       > Ob sich dadurch etwas ändert? Vieles an dem Mordfall des
       > türkischarmenischen Journalisten bleibt dubios.
       
 (IMG) Bild: Im Juni wurde der Hauptangeklagte Ogün Samast volljährig, deshalb konnten jetzt im Juli erstmals öffentliche Anhörungen stattfinden.
       
       Istanbul - eine leichte Meeresbrise schlägt einem ins Gesicht, während
       einzelne Gäste in den noch leeren Cafés am Ufer von Besiktas frühstücken
       und die Morgenruhe der türkischen Metropole genießen. Nichts deutet darauf
       hin, dass zwanzig Meter weiter oben in einer kleinen Seitenstraße seit über
       einem Jahr ein für das Land brisanter Prozess stattfindet. Im Januar 2007
       wurde der türkischarmenische Journalist Hrant Dink ermordet. Seit 2. Juli
       2007 tagte die Justiz in diesem Mordfall unter Ausschluss der
       Öffentlichkeit. Diesen Juni wurde der Hauptangeklagte Ogün Samast nun
       volljährig, und so konnten jetzt im Juli erstmals öffentliche Anhörungen
       stattfinden.
       
       Die ungewöhnlich gelassene Atmosphäre Mitte Juli in Istanbul prägt auch die
       Kulisse vor dem Gerichtsgebäude: Auf dem Boden vor einem winzig kleinen
       Café der engen sanierten Gasse liegen Filmkameras, Aufnahmegeräte, Kabel
       und Mikrofone unbeaufsichtigt herum.
       
       Drinnen dicht aneinandergereiht im Dunstnebel der Zigaretten starren die
       Journalisten bei Tee und Kaffee vor sich hin. Auch die Medienschar vor dem
       Eingang des Gerichtsgebäudes scheint die Ruhe wegzuhaben. Das Türkische
       Staatssicherheitsgericht lasse keine Journalisten mehr hinein, sagt ein
       Mann. Rund 80 Beobachter, Anwälte, Polizisten, Zeugen, Angeklagte und ein
       Dutzend Presseleute quetschen sich schließlich in den kleinen Raum.
       
       Für Istanbuler Justizverhältnisse sei das fast schon ein Luxussaal, bemerkt
       ein Verteidiger. Es ist die sechste Anhörung im Mordfall des
       Intellektuellen Dink, der am 19. Januar 2007 von einem Sechzehnjährigen auf
       offener Straße mit einem Kopfschuss ermordet wurde. Hrant Dink galt als
       prominenter Vermittler zwischen Türken und Armeniern und war überzeugt,
       dass man einer "zitternden Taube" nichts antun würde. Als Chefredakteur und
       Herausgeber der 1996 erscheinenden bilingualen türkisch-armenischen
       Wochenzeitung Agos verlieh er der armenischen Minderheit in der Türkei
       einen politischen und kulturellen Ausdruck. Bis dahin hatte sie lediglich
       eine religiöse Stimme: die des armenischen Patriarchen.
       
       Weil der Querdenker Hrant Dink eine historische Aufarbeitung der
       armenischen Tragödie in der Türkei forderte und sich für die armenische
       Kultur einsetzte, wurde er unzählige Male vor Gericht gestellt und wegen
       "Beleidigung des Türkentums" auch verurteilt. Im Jahr 2005 erreichte eine
       Kampagne gegen ihn ihren Höhepunkt. Nicht wenigen im Staatsapparat und den
       nationalistischen Massenmedien galt Dink als Staatsfeind. So wurde er zum
       prominentesten Opfer staatlich-nationalistischer Hetze in der heutigen
       Türkei.
       
       Neben Dink wurden mehr als sechzig weitere Intellektuelle - vor allem
       Journalisten, Schriftsteller und Verleger - in den letzten zweieinhalb
       Jahren wegen "Verunglimpfung des Türkentums" angeklagt. Darunter auch
       Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk, der ebenfalls aufgrund öffentlicher
       Kritik am Umgang mit dem Völkermord an den Armeniern vor Gericht kam. "Dink
       war für die Türkei ein sehr wichtiger Mensch.
       
       Vielleicht sogar der einflussreichste Armenier seit 1915. Seine Ermordung
       bedeutet den Tod der Demokratisierung, der Meinungsfreiheit und Vielfalt in
       der Türkei", resümiert der renommierte Kolumnist der linksliberalen
       Tageszeitung Radikal Oral Calislar.
       
       Andere Intellektuelle betonen hingegen, dass das Attentat auf Dink einige
       in der Türkei wachgerüttelt habe - auch unter den gemäßigten Islamisten.
       Die Rolle des sehr weit verbreiteten aggressiven Nationalismus wird heute
       in der Gesellschaft mehr und mehr debattiert. Diese Gesellschaft, so der
       Politikwissenschaftler und Publizist Murat Belge, habe den Mut für eine
       couragierte Auseinandersetzung mit dem Nationalismus erst mit der Ermordung
       von Dink gefunden.
       
       Schnell, leise und im Stehen findet die Anhörung statt. Es ist wie bei
       einem zu leise gestellten Fernsehkrimi, dessen Dialoge man trotz
       Geräuschkulisse krampfhaft versucht zu verstehen. Die Frage, ob eventuell
       die Mikrofone lauter gestellt werden könnten, löst irritierende Gesten bei
       den Richtern und Heiterkeit im Saal aus. "Das hier ist kein Radio, das man
       lauter stellen kann", mahnt ein Gerichtshelfer, der inmitten von
       Aktenordnern vor dem Richterpult sitzt. Und ein Anwalt entgegnet grinsend:
       Sie sind von der ausländischen Presse, nicht?
       
       Ob einheimische oder ausländische Presse: Diesen politisch brisanten
       Prozess verstehen nicht einmal Experten ohne eine Schautafel. Zu verworren
       sind die Verflechtungen zwischen Staatsanwälten, Geheimdiensten, Polizei
       und dem Militär.
       
       Absurd wird es auch beim Prozess: Nachdem ein Offizier bestätigt, dass die
       Mordpläne lange im Voraus bekannt waren, was vertuscht wurde, entgegnen
       zwei der deswegen beschuldigten Militäroffiziere, dass bei ihnen die
       Hinweise unter dem Namen "Krant" statt "Hrant" eingegangen seien.
       Recherchen zufolge habe es aber niemanden mit diesem Namen gegeben, also
       hätte es auch niemanden gegeben, der hätte geschützt werden können.
       
       Richtig bizarr wird es, wenn der Attentäter verhört wird. Auf die Frage des
       Richters, ob es Etyen Mahcupyan, der heutige Chefredakteur von Agos, war,
       der ihn damals in den Redaktionsräumen vor der Tat nach Waffen durchsucht
       habe, entgegnet der Angeklagte flapsig: "Nein, es war Jennifer Lopez."
       
       Bis zuletzt bleibt die Anhörung davon geprägt: streng bewachte
       Hauptangeklagte, die sich in Anzügen lässig und sicher fast jede
       Unverschämtheit herausnehmen; die mit faschistischem Gruß posieren und
       selbst ihren Verteidigern mit "Du Idiot!" ins Wort fallen. Staatsanwälten
       drohen sie, ja "keine falschen Fragen" zu stellen, einer Zeugin drohen sie
       mit einer Halsabschneidegeste.
       
       Diese Woche erschien vor dem Tribunal in Istanbul der Polizeipräsident von
       Trabzon. In der Stadt an der Küste des Schwarzen Meers soll die Tat geplant
       worden sein. Eineinhalb Jahre nach der Tat wird immer deutlicher, dass der
       Mord tatsächlich hätte verhindert werden können. Denn im Gegensatz zu Dinks
       Freundes- und Familienzirkeln haben die staatlichen Stellen davon gewusst,
       dass er sterben sollte, so die Einschätzung des Vorsitzenden der Türkischen
       Journalistenvereinigung, Orhan Erinc.
       
       Für die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sei es von erheblicher
       Wichtigkeit, dass nun auch die Hintermänner der Tat ausfindig gemacht
       würden. Dass sie in Istanbul schon vollständig auf der Anklagebank sitzen,
       das glaubt niemand.
       
       23 Jul 2008
       
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