# taz.de -- Bosnische "Frauen als Kriegsopfer"-Leiterin: "Das Monster ist gefangen"
       
       > Als Bakira Hasecic hörte, dass Ex-Serbenführer Karadzic gefasst ist, war
       > sie leicht optimistisch. Die Bosnierin kämpft dafür, dass die Täter nicht
       > entkommen. Sie war eines ihrer Opfer.
       
 (IMG) Bild: Getarnter Ex-Serbenführer Karadzic
       
       Sie kann jetzt manchmal wieder lächeln. Dann erhellt sich ihr sonst wie
       versteinert wirkendes Gesicht. Dieser Tage, sagt Bakira Hasecic und hebt
       ihre Stimme, gebe es doch immerhin einen Lichtblick. Die Verhaftung von
       Radovan Karadzic, des Führers der nationalistischen Serben in Bosnien und
       Herzegowina, lässt die Leiterin der Organisation "Frauen als Kriegsopfer"
       natürlich nicht unberührt. "Das Monster ist gefangen," sagt sie, als die
       Nachricht sie erreicht.
       
       Bakira Hasecic, 55, gehört zu den Frauen in Bosnien, die nicht locker
       lassen, die nicht einfach vergeben und zur Tagesordnung übergehen. Ihre
       persönliche Geschichte ist verwoben mit der des Balkankrieges, sie und ihre
       minderjährigen Töchter wurden von serbischen Männern vergewaltigt und
       gefoltert. Damals, 1992, lebte die Familie in Visegrad, der Stadt an der
       Drina, der Stadt mit der von dem Schriftsteller Ivo Andric beschriebenen
       berühmten Brücke über den reißenden Fluss, dessen Unterlauf die Grenze
       zwischen Serbien und Bosnien markiert. Von ihrem Garten aus konnte Bakira
       Hasecic auf die einst von einem Osmanenherrscher gebaute Brücke schauen,
       das einstige Symbol des Miteinanders der Kulturen. Jahrhundertelang lebten
       in der Stadt Muslime, Christen und Juden friedlich zusammen. Als aber die
       serbischen Freischärler die mehrheitlich von muslimischen Bosniaken
       bewohnte Stadt mit ihren 21.000 Einwohnern in ihre Gewalt brachten, brach
       über Hasecic das Inferno herein.
       
       An dem Haus bei Sarajevo weist kein Schild auf den Verein "Frauen als
       Kriegsopfer" hin. Aber die Menschen hier wissen Bescheid, die
       Interessenvertretung der Vergewaltigungsopfer ist hier eine bekannte
       Institution. Leider, erklärt Bakira Hasecic, fehle es an Geld, nur der
       deutsche Arbeitersamariterbund gebe regelmäßig einen bescheidenen Betrag.
       "Aber wir arbeiten trotzdem. Ich lebe ja hier in Sarajevo nur wie hinter
       einem Schleier, mit meinen Gedanken bin ich Tag und Nacht in Visegrad".
       
       Grauenhaftes hat sie dort gesehen. Wie die Peiniger die Menschen lebendig
       in die Drina warfen. Und wie sie die, die es schafften, das Ufer zu
       erreichen, erschossen oder erschlugen. Damals wurden 3.000 Menschen
       ermordet, sagt sie. Internationale Quellen sprechen von 1.500 Opfern - auch
       dies eine ungeheuerliche Zahl, so viele Tote in dieser kleinen Stadt.
       Frauen und Kinder wurden zu Hunderten in das Hotel Vilina Vlas und in die
       nahe Kaserne der Jugoslawischen Armee verschleppt, dort wurden sie
       gefoltert, vergewaltigt. Immer wieder, manche monatelang. "Einigen gelang
       es, aus dem Fenster zu springen und sich selbst zu töten", sagt Bakira
       Hasecic.
       
       Die berühmte Brücke über den Fluss war schon während des Zweiten Weltkriegs
       Schauplatz schlimmer Verbrechen. Im Jahr 1943 ermordeten serbische
       Tschetniks eine ähnlich große Anzahl von Menschen. Unter anderem wegen
       dieser Verbrechen wurde 1946 der Tschetnikführer Drazen Mihailovic von den
       Partisanen zum Tode verurteilt. "Als ich jung war", sagt Hasecic, "erzählte
       mir mein Vater die Geschichte von damals. Ich glaubte sie einfach nicht.
       Wie sollte das denn möglich sein, fragte ich ihn, so was ist doch
       unvorstellbar."
       
       Und dann, vor 16 Jahren, musste sie all dies selbst durchleben. "Ich bat
       meine Peiniger, mich zu töten." Sie taten es nicht. "Danach habe ich mir
       geschworen, mich zu wehren."
       
       Bakira kam irgendwie frei. Und begann, ihr Trauma zu verarbeiten. Sie
       sprach über das Erlebte. Ermutigte auch andere überlebende Frauen, zu
       reden, nicht, wie die meisten es getan haben, aus Scham zu schweigen. Die
       Täter sollten büßen.
       
       Ihre Organisation gründete sie 2003, nachdem sie zusammen mit anderen
       Frauen zum ersten Mal nach dem Krieg ihre Heimatstadt besucht hatte. "Wir
       waren schockiert, denn wir erkannten drei unserer Peiniger wieder, einer
       war Polizist." Unbehelligt lebten diese Leute in der Stadt. "Wir mussten
       etwas tun." Sie gründeten das Büro. Und sie begannen, systematisch
       Informationen zu sammeln. Brachten serbische Zeugen dazu, ihr Schweigen zu
       brechen. Ließen nicht locker, als in der Anklageschrift des UN-Tribunals in
       Den Haag gegen Milan Lukic, den Führer der paramilitärischen Gruppe "Weißer
       Adler", Schlächter von Visegrad, die Vergewaltigungen nicht einmal erwähnt
       wurden.
       
       Der 1967 in Foca geborene Milan Lukic wurde im Jahr 2000 vom Tribunal
       angeklagt. Dennoch blieb er noch jahrelang in der Region, er fühlte sich
       sicher, die zuständigen französischen Truppen und die serbisch-bosnische
       Polizei unternahmen nichts. Die Anklage gegen ihn liest sich wie ein
       Horrorroman. Er soll 70 Frauen, Kinder und ältere Leute in einem Haus in
       der Pionirska-Straße in Visegrad eingesperrt und das Haus in Brand gesetzt
       haben. Wer durch die Fenster zu fliehen versuchte, wurde von ihm
       erschossen.
       
       Ähnliches soll in Bikavac geschehen sein. Mehrfach stellte er Gruppen
       gefangener Männer ans Ufer der Drina und erschoss sie eigenhändig.
       
       Irgendwann wurde Lukic der Boden doch zu heiß. Denn wegen der Ermordung von
       19 serbischen Staatsbürgern hatte ihn ein serbisches Gericht zu 20 Jahren
       Haft verurteilt. Er floh nach Argentinien und wurde im August 2005 dort
       verhaftet.
       
       "Immerhin hat Serbien damals reagiert", sagt Bakira Hasecic. "Die Polizei
       der Republika Srpska aber hat bis heute keinen einzigen Kriegsverbrecher
       verhaftet." Das, meint sie, sei das Erbe von Karadzic. "Die politische
       Führung der Serben in der Stadt leugnet jegliche Schuld, so wie die meisten
       Funktionsträger in der Republika Srpska." Täter würden sogar noch als
       serbische Helden verehrt. "Karadzic ist es gelungen, unsere gemischte und
       tolerante Gesellschaft auseinanderzureißen." Bis heute.
       
       Natürlich beklagt auch die internationale Gemeinschaft, dass die
       bosnisch-serbische Polizei sich weigert, gegen die von Den Haag und dem
       bosnischen Gerichtshof gesuchten Kriegsverbrecher vorzugehen. Doch sie übt
       nur schwachen Druck auf die serbische Teilrepublik in Bosnien aus. Im Büro
       des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo weiß
       man zwar, dass viele der Kriminellen von damals heute als Polizisten
       arbeiten, unternimmt aber nichts. Der Hohe Repräsentant hätte die Macht,
       diese Leute wenigstens aus dem Polizeidienst zu entlassen. Erst kürzlich,
       am Jahrestag des Massakers von Srebrenica, beklagten überlebende Frauen,
       heute aktive serbische Polizisten seien an dem Massaker beteiligt gewesen.
       
       Die Frauen lassen sich dadurch nicht beirren. Sie sind es nicht anders
       gewöhnt. Doch zumindest im Fall Lukic haben sie Erfolg: Die
       Vergewaltigungen werden wahrscheinlich in die Anklage aufgenommen. Und mit
       ihren Nachforschungen haben sie geholfen, zehn weitere Vergewaltiger und
       Mörder ausfindig zu machen. Zum Beispiel Momir Savic, den Schlächter von
       Rudo, der Ende Dezember 2007 verhaftet wurde. "Jahrelang haben wir nach
       Beweisen gesucht", erzählt Bakira Hasecic. "Wir übernehmen ja praktisch die
       Polizeiarbeit, die nicht gemacht wird." Die Gruppe arbeitet manchmal mit
       der Sipa zusammen, der gesamtstaatlichen Polizei für Korruption und
       Kriegsverbrechen, die befugt ist, Leute zu verhaften.
       
       Auch in anderen Fällen waren die Frauen erfolgreich. So wurde Vrdoje Smisic
       wegen Vergewaltigung und Mordes vor dem Gerichtshof von Bosnien und
       Herzegowina angeklagt. Das Urteil, fünf Jahre Haft, enttäuschte sie. Und
       Zeljko Lelek musste Anfang Dezember 2007 vor Gericht erscheinen. Andere
       blieben bisher unbehelligt, etwa ein Arzt, der heute in Mrkonjic-Grad
       praktiziert, oder ein Mann, der noch am letzten Tag des Krieges eine
       muslimische Frau ermordet hat.
       
       Bakira Hasecic fährt jetzt regelmäßig nach Visegrad. Sehr zum Missfallen
       der serbischen Behörden hat sie ihr Haus wieder in Besitz genommen. Vor
       drei Monaten, am 24. Mai, hat sie organisiert, dass zum Gedenken an die
       Opfer 3.000 Rosen in der Drina schwammen.
       
       Natürlich haben die Behörden der jetzt rein serbischen Stadt ein Auge auf
       sie. Mehrfach wurde sie kurzzeitig festgenommen. Die von den Frauen an der
       Brücke angebrachte Gedenktafel wurde von der in der Stadt regierenden
       Karadzic-Partei SDS entfernt. Und es gab deutliche Warnungen aus den
       Kreisen der Täter. Am 1. Mai stürzte ein Serbe, der als Zeuge der Anklage
       aussagen wollte, von einer Klippe in den Tod. Die Polizei behauptet, der
       Mann habe sich umgebracht, Bakira Hasecic aber ahnt, wer hinter diesem
       "Selbstmord" steckt. Sie hofft, dass mit der Verhaftung Karadzic die alte
       Garde verunsichert wird.
       
       Doch nach wie vor feiern sich die Täter. Mit einem gewaltigen Monument
       kräftiger Kämpfer in faschistisch-stalinistischem Stil wird nahe der
       Drina-Brücke der serbischen Gefallenen gedacht. Die Unesco stört das nicht
       - gerade hat sie die Brücke zum Weltkulturerbe erklärt. Die Stadtoberen
       bemühen sich, Visegrad zur Touristenstadt zu machen. Sie werben mit Ivo
       Andric, seinen Büchern und dem Geist, den sie selbst vor 16 Jahren zerstört
       haben.
       
       An ein Denkmal für die Opfer ist bisher nicht gedacht. Bakira Hasecic wird
       das nicht hinnehmen.
       
       25 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
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