# taz.de -- Fechterin über olympisches Feeling: "Quadratisch, praktisch, gedopt"
       
       > Degenfechterin Imke Duplitzer will endlich eine olympische
       > Einzelmedaille. Vorher spricht sie über Olympia und verdächtig aussehende
       > Kollegen.
       
 (IMG) Bild: Duplitzers Degen. Hier rechts, bei der Europameisterschaft in Kiew.
       
       Imke Duplitzer hat sich in der Fechthalle mit einer Ägypterin zum
       Degen-Training verabredet. Es ist Montag, noch zwei Tage bis zu ihrem
       Wettkampf. Weil die Nordafrikanerin auf sich warten lässt, plaudert sie mit
       einem australischen Coach, dem sie erklärt, wie man im Olympischen Dorf an
       Bier kommt und warum sie widerwillig zu McDonalds gegangen ist. "That's
       Imke", sagt der Coach und lacht.
       
       taz: Frau Duplitzer, Sie scheinen in der Fechtszene eine Marke zu sein:
       "That's Imke"!? 
       
       Imke Duplitzer: Es gibt nichts, was ich im Dorf nicht organisieren könnte.
       Ich bin ja ziemlich umtriebig und seit 16 Jahren dabei. Und für ein
       Bierchen tut man ja einiges.
       
       Sie sind seit knapp einer Woche in Peking. Wie ist es denn so im Kreis der
       großen olympischen Familie? 
       
       Es ist schon schön. Wenn ich den Italiener sehe …
       
       Italiener? 
       
       … Matteo Tagliariol, der Gold mit dem Degen gewonnen hat, dann ist das
       wunderbar. Dem habe ich den Sieg richtig gegönnt. Ich habe mich sooo sehr
       für ihn gefreut. Rein sportlich ist es toll, aber wenn ich die Funktionäre
       des Deutschen Olympischen Sportbundes sehe, die überhaupt keinen Bezug zum
       Ereignis haben, dann vergeht es mir. Die produzieren sich doch nur selbst.
       Wenn du olympisches Feeling haben willst, dann musst du nur mit Athleten
       abhängen.
       
       Zum Beispiel in der Mensa, die ja so kommunikativ sein soll. 
       
       Die Mensa ist der soziale Treffpunkt, aber wenn ich noch weitere sechs Tage
       Peking-Ente esse, dann krieg ich Federn. Ich kann auch keinen warmen Reis
       mehr sehen. Deswegen der Ausflug zum Fast Food. In der Mensa kann man
       übrigens prima Sportarten-Raten machen. Welcher Athlet macht was? Die
       Basketballer erkennt man schnell, auch die Gewichtheber, die
       Ritter-Sportler: quadratisch, praktisch, gedopt. Bei uns wissen die anderen
       aber nie, was wir machen. Wir sehen so normal aus. Das Ganze hat schon was.
       Es ist für mich ein Familientreffen.
       
       Wenn nur die Funktionäre nicht wären. 
       
       Die verwalten dieses olympische Gefühl nur noch. Sie leben es nicht mehr.
       Sie sichern ihre Posten. Das ist grauenvoll. Wie im Sozialismus. Der ist
       auch totverwaltet worden.
       
       Haben Sie diesen Eindruck auch von den Spielen in Peking? 
       
       Das nicht, aber wir leben hier in einer absoluten Parallelwelt. Alles ist
       superkommerzialisiert und superorganisiert. China erscheint mir als das
       Land des eingefrorenen Lächelns. Es gibt eine schöne Geschichte zum
       Organisationswahn: Jeder Bus hat hier ein menschliches Navigationssystem
       mit an Bord, also einen chinesischen Volunteer. Der kam am ersten Tag zu
       unserer Physiotherapeutin und sagte: "Please prepare for arrival!" Die hat
       ihn etwas verwundert angeguckt. Er sagte dann: "Do you know the way out of
       the bus?"
       
       Es ist doch nur nett gemeint! 
       
       Ja natürlich, aber es kommt so extrem programmiert daher. An jeder Ecke
       steht einer, der sagt: "This way please!" Vielleicht muss man einen
       Computer-Virus in dieses Programm der Olympia-Organisatoren einschleusen,
       um für ein bisschen Turbulenzen zu sorgen.
       
       Und draußen, außerhalb des hermetischen Olympischen Dorfes, finden Sie es
       da ähnlich? 
       
       Ich habe den Eindruck, dass vieles weggesperrt wurde, was man nicht sehen
       darf. Aber draußen sieht man viele freundliche Pekinger, die einfach nur
       neugierig sind und auf eine natürliche Weise freundlich. Es gibt das
       Olympia, das auf Hochglanz poliert wurde, das surreale Spiel unter den fünf
       Ringen, es gibt aber auch noch das Urwüchsige in der Stadt. Doch Olympia
       hinter den Absperrungen ist optimal geschmacksneutral: mittlerweile nur
       noch ein Musikantenstadl des Sports. Oder wie Karneval: befohlen
       freundlich.
       
       Was meinen Sie damit? 
       
       Die Spiele lebten immer davon, dass es die eine oder andere liebevolle
       Panne gegeben hat. Das wirst du hier nicht sehen.
       
       Doch. Beim Basketball-Spiel der US-Boys gegen China ist ein
       Olympiamaskottchen auf Stelzen böse hingefallen. 
       
       Oh. Das habe ich nicht gesehen. Aber im Großen und Ganzen wird penibel auf
       alles geachtet. Es gibt ein Heer von Helfern. Es gibt den Putzdienst, das
       sind die Weiß-Roten. Dann die Gärtner, die sind grün gekleidet mit einem
       Smiley-Sticker am T-Shirt. Die schneiden mit Akribie braune Blätter aus den
       Bäumen. Irre. Aber den Baum vor meinem Fenster, den haben sie noch nicht
       gefunden. Da sind noch vier braune Blätter dran. Für mich ist das zu
       perfekt. Interessant sind auch die Spruchbänder überall auf den Brücken. Da
       steht drauf: "Jeder ist ein Gastgeber, alle bauen das neue Peking auf".
       
       Woran erinnert Sie so ein Slogan? 
       
       An den Osten. Kollegen kennen das ja noch aus einem gewissen totalitären
       Staat. Die durchblättern dann die zensierten Zeitungen, zum Beispiel China
       Daily, und sagen: "Lesen wir doch mal ein bisschen Agitation. Ist ja wie
       früher." Es entwickelt sich so eine Art Galgenhumor.
       
       Haben Sie sich beim Surfen im Internet zensiert gefühlt? 
       
       Ich wollte auf einen Artikel in der Zeit über China zugreifen. Da hat sich
       permanent mein Computer aufgehängt. Ansonsten hatte ich keine Probleme.
       
       Sie haben die Eröffnungsfeier boykottiert, aus Protest gegen Chinas
       Tibetpolitik. Hat es Sie gereut, dass Sie nicht dabei waren bei dieser
       spektakulären Show? 
       
       Nein, das war ja klar, dass es die größte, beste, geilste, spektakulärste,
       aufgehypteste Show wird. Was haben Sie erwartet?
       
       Gute Unterhaltung. 
       
       Und dafür wollte ich mich nicht hergeben, obwohl ich als Sportler gern
       dabei gewesen wäre. Nicht aber als politisch denkender Mensch.
       
       Sehr viele Proteste gegen Chinas Tibetpolitik hat es ja nicht gegeben. Auch
       die Wasserballer haben von ihrer Aktion, orangene Bademäntel zu tragen,
       abgesehen. 
       
       Das ist ja ein politisches Statement und vom IOC verboten. Hätten es die
       Wasserballer darauf ankommen lassen sollen? Das wäre doch Wahnsinn gewesen.
       Der Sportler bewegt sich hier in einem Dschungel von Verboten. Das ist so
       unendlich kompliziert für einen Athleten, der nur seinen Sport machen soll.
       Viele junge Athleten sind hier, die noch dabei sind, sich selbst zu finden.
       Da kann man von ihnen kaum verlangen, politisch pointierte Aussagen zu
       treffen. Trotzdem ist es schade, dass ich fast allein dastehe mit meiner
       Kritik.
       
       Werden Sie deswegen angefeindet? 
       
       Ich kriege unschöne Mails. Man wünscht mir, dass ich in der ersten Runde
       ausscheide. Man wünscht mir die Pestilenz an den Hals. Es gibt immer diese
       Wahnsinnigen, die sich durchs Internet fummeln, sich die Mühe machen, meine
       E-Mail-Adresse herauszubekommen, und dann zuschlagen. Wenn man sich als
       Athlet erhebt aus der Masse in dieser sportlichen Disney-World, dann muss
       man ein verdammt breites Kreuz haben.
       
       Gab es auch Zuspruch? 
       
       Ja, sehr viel, weltweit.
       
       Wie ist das, wenn Sie deutschen Funktionären wie dem Chef de Mission,
       Michael Vesper, oder IOC-Vize Thomas Bach über den Weg laufen? 
       
       Ich bin Michael Vesper mehrmals im Olympischen Dorf begegnet. Er hat mir
       das Du angeboten, ich habe aber abgelehnt. Ich habe ein Nicht-Verhältnis zu
       ihm. Er vertritt mich nicht, er ist nur Delegationsleiter der deutschen
       Mannschaft, mehr nicht.
       
       Er hat die chinesische Internetzensur indirekt gerechtfertigt. 
       
       Das war ein rhetorischer Schnitzer. Der Herr Vesper verhaspelt sich halt
       manchmal. Aber er ist nicht allein. Die Rolle des IOC bei der
       Internetzensur ist doch auch erbärmlich. Die wussten doch von Anfang an,
       dass die Chinesen keinen freien Zugang garantieren, und jetzt heuchelt das
       IOC eine gewisse Naivität - nach dem Motto: Damit konnten wir nicht
       rechnen, wir haben unser Möglichstes getan.
       
       IOC-Chef Jacques Rogge hat gesagt: Wir sind alles Idealisten, und dazu
       gehört auch ein Schuss Naivität. 
       
       Also bitte schön! Plötzlich sind sie naiv, aber wenn es darum geht, einen
       neuen Sponsorvertrag mit der Firma X, Y oder Z abzuschließen, sind sie
       wieder abgezockt wie eh und je. Das stimmt doch etwas nicht!
       
       Das IOC ist in Rechtfertigungsnöten. 
       
       Sie suchen nach einer Ausrede. So wie wenn ich sage: Ich habe heute
       verloren, weil ich die falschen Socken anhatte. Je höher man sich in der
       Funktionärshierarchie gearbeitet hat, desto billiger können offenbar die
       Ausflüchte sein. Ich bin der Meinung, dass das IOC aus dieser Sache nicht
       ohne Gesichtsverlust herauskommt. Nach ihrem Lavieren in der Tibetfrage,
       internen Maulkorberlassen und dem Aussitzen der Internetzensur haben sie
       ein paar Kratzer im Lack, ach was, eine richtige Delle. Vielleicht merken
       es auch künftig die Großsponsoren: Die Hüter der heilen Sportwelt sind
       keine Musterknaben. Diese Leute sind nicht dem freiheitlichen Geist
       verpflichtet.
       
       Sondern? 
       
       Kommerz und Machterhalt.
       
       INTERVIEW: MARKUS VÖLKER
       
       11 Aug 2008
       
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