# taz.de -- Militärs im Netz: Das Phantom des Cyberwar
> Angeblich herrscht zwischen Russland und Georgien auch ein digitaler
> Krieg. Schreckensszenarien vom Cyberwar dienen Militärs - der virtuelle
> Krieg ist bislang ausgeblieben.
(IMG) Bild: Hier hat der virtuelle Krieg den Weg in die analoge Realität gefunden: Streetart mit Space Invader-Protagonisten.
Es war nur eine Frage der Zeit, dass er wieder aus dem Nichts auftaucht:
der "Cyberwar". Die New York Times berichtet am 8. August von Anzeichen
einer russischen Computerattacke auf Georgien. Blogger identifizieren gar
punktgenau ein Russian Business Network als Aggressor. Der Beginn des
Kaukasuskrieges, im virtuellen Raum, wird mit der Website des georgischen
Außenministeriums begründet: Ein Porträt von Präsident Michail Saakaschwili
erinnerte plötzlich sehr an Adolf H.
Der Cyberwar ist rhetorischer Kernbestand höchster politischer Diskurse.
Mitte Juli erst betonte der amerikanische Präsidentschaftskandidat Barack
Obama, unter seiner Ägide würde die "cyber security" die Priorität
erhalten, "die ihr im 21. Jahrhundert zusteht". Die Bush-Administration
habe "die Sache acht Jahre schleifen lassen", nun müssten Amerikas
Netzwerke gegen terroristische Cyber-Attacken geschützt werden. Das klingt
sehr zeitgemäß.
Im Juni 2008 dringen nach Angaben des US-Abgeordneten Frank Wolf
chinesische Hacker in mehrere Rechner des Kongresses ein. Es sei ihnen
dabei um Listen mit politischen Dissidenten gegangen. Das chinesische
Außenministerium weist die Anschuldigung zurück. Im Januar sollen nach
Angaben der CIA Cyber-Terroristen bei Stromversorgern außerhalb der USA
eingedrungen und das Licht ausgeknipst haben. Das
US-Verteidigungsministerium teilte im Mai 2008 dem Geheimdienstausschuss
mit, das Rechnernetz des Ministeriums werde täglich mehr als 300 Millionen
Mal von außerhalb gescannt und angegriffen. An anderer Stelle ist von einer
Million Zugriffen die Rede. Michael Chertoff vom Department of Homeland
Security (DHS) sprach kürzlich von rund 13.000 Angriffen auf seine Behörde.
Auch Deutschland ist davon nicht ausgenommen. Im Mai 2007 unterrichtete der
Verfassungsschutz im deutschen Kanzleramt Staatssekretäre des Innen-,
Außen-, Justiz- und Verteidigungsministeriums von einem Computerangriff.
Spähprogramme aus Lanzhou infizierten Rechner verschiedener Ministerien.
Vermuteter Angreifer: die chinesische Volksbefreiungsarmee - Dementi aus
Peking.
Der Höhepunkt, von Sicherheitsexperten als "erster Cyberkrieg" diskutiert:
Im Frühjahr 2007 legen Hacker nahezu ganz Estland lahm, die Nato
beschäftigte sich mit der Angelegenheit. Hinter der Attacke soll der
russische Geheimdienst stehen. Im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons,
Belgien, am Nato Computer Incident Response Capabilitys Technical Center
(NITC), arbeiten rund 120 Militärs und zivile Computerexperten. Sie
schützen die Kommunikationsinfrastruktur der Bündnisstaaten. Übergeordnet
ist die Nato-Agentur für Informationssysteme (NCSA) unter der Leitung des
deutschen Generalleutnants Ulrich Wolf. Die Fachzeitschrift Janes Defence
Weekly bezeichnet diese Agentur als eines der wichtigsten des
Militärbündnisses. In diesem Monat fährt deren neu geschaffenes Center of
Excellence Cyber Defense in der estnischen Hauptstadt Tallinn seine Rechner
hoch. Auch Deutschland ist daran beteiligt. Doch während sich in Tallinn
gerade mal 30 Experten mit elektronischer Kriegführung beschäftigen, sind
entgegen Obamas Expertise die Amerikaner um Lichtgeschwindigkeit schneller.
Der amerikanische Präsident George W. Bush hat erklärt, mit einer
zweistelligen Summe im Milliardenbereich eine "Cyber-Initiative" für die
nächsten sieben Jahre flankieren zu wollen - ein neues "Manhattan Project",
wie Michael Chertoff vom Department of Home Security betont. Chertoff
begründet das gigantische Vorhaben mit den neuen digitalen Gefahren, einer
"verheerenden Kriegführung", die "Zerstörungen der schlimmsten Art" nach
sich ziehen könnte. Schon durch die namentliche Anlehnung verleihen die
Falken dem Programm eine Bedeutung, die eine Zeitenwende markieren soll:
Das "Manhattan-Projekt" war 1942 der Tarnname der Amerikaner zur
Entwicklung und zum Bau der Atombombe.
In einer ultravernetzten Welt klingt es plausibel, wenn der digitale Krieg
als Szenarion entdeckt wird. Er fügt sich in das Konzept asymmetrischer
Auseinandersetzungen, in dem Gefährder mit minimalem Einsatz maximalen
Schaden anrichten. Die digitale Aufrüstung wirkt da wie ein nötiges
Sicherheits-Update der Web-2.0.-Informationsgesellschaft. Tatsächlich wird
der schon morgen drohende Cyberkrieg bereits seit fast zwei Jahrzehnten
beschworen. Doch etwas, was die kriegerische Wortwahl rechtfertigen würde,
ist in Real World 1.0 empirisch ausgeblieben. Bisher war nicht ein einziges
Todesopfer etwaiger Computerkriege zu beklagen.
Belegbar ist hingegen Folgendes: Was als Cyberkrieg firmiert, entstammt der
Retorte einer militärischen Diskurspolitik der Amerikaner, die von
konservativen Think-Tanks vorbereitet wurde. Der Zeitpunkt der Geburt
dieses virtuellen Babys ist aufschlussreich: nahezu nahtlos anschließend an
das Ende des Kalten Krieges. Seit dem Wegfall der Blockkonfrontation
mussten Militärs um den Verlust des klassischen Gegners fürchten. Sie
erfanden den digitalen Krieg.
1991 generierte der Sicherheitsexperte Winn Schwartau die für Amerikaner
historisch nachhallende Formulierung des "electronic Pearl Harbor". Eine
Bezeichnung, die Geheimdienstchefs und Verteidigungsminister nun seit
siebzehn Jahren wiederholen. 1992 schuf das Pentagon mit der Direktive
TS-3600.1 den Begriff des "Information Warfare", des "Informationskrieges".
1993 veröffentlichte der einflussreiche Publizist John Arquilla einen
Artikel über den Cyberwar. In seriösen Zeitungen wie der Times oder der
Washington Post tauchen seither diese plakativen Keywords auf. Ein Effekt
von Rückkopplung und Verstärkung: Militärische Studien über die
Verletzbarkeit der Informationsgesellschaft nehmen rasant zu, Journalisten
berichten über das Phänomen. In Washington wurde 1994 die School for
Information Warfare and Strategy gegründet. 1996 begann die
Clinton-Regierung systematisch mit dem Schutz der US-Infrastruktur vor
Hackerangriffen. Seit 1997 beschäftigt sich die National Security Agency
(NSA) in Querschnittsabteilungen aus Geheimdiensten und Militärs mit dem
Thema. Immer wieder steht der Cyberwar bevor. Derzeit besonders en vogue:
der "digitale 11. September".
Der Friedensforscher Ralf Bendrath beschäftigt sich seit Jahren mit den
Debatten um den Cyberwar. Er analysiert den Cyberwar als eine
Selffulfilling Prophecy. Dass nun auch hochrangige Nato-Militärs den akut
drohenden Krieg aus dem Netz im Munde führen, ist für Bendrath ein
Alarmsignal. Gefährlich werde es, "wenn die Nato von einer defensiven zu
einer offensiven Strategie umschwenkt. Es gibt dann ein gegenseitiges
Hochschaukeln." Wenn das Hacken von Internetseiten oder der Einsatz von
Trojanern zum Cyberkrieg erklärt werden, so Bendrath, befasse sich
plötzlich der Nato-Rat damit. "Es ist ein strategisches Pushen, um sich
weitergehende Befugnisse wie Abhörerlaubnisse zu beschaffen, doch zum Teil
ist es einfach auch Dummheit und Unverständnis."
Das interdisziplinäre Forschungszentrum Jülich veröffentlichte im
vergangenen Jahr eine umfassende Studie, der eine komplexe Simulation
strategischer Angriffe auf das Internet zugrunde lag. Dabei wurde ein
Angriff auf die Backbones - die Hauptstränge eines Netzwerks - und die
Exchange Points - die zentralen Netzknoten des Internets - einer virtuellen
Regierung getestet. Grundsätzliches Ergebnis: "Terrorismus gegen den
Cyberspace darf keinesfalls auf große Erfolgschancen hoffen. Das Internet
ist, wie von seinen Erfindern gewollt, relativ flexibel und resilient." Die
Studie kommt noch zu einem anderen Ergebnis: "Es gibt keinen Staat oder
eine Organisation, die exakt definiert, wann ein Cyberangriff vorliegt.
Daher sind Zahlen über Cyberangriffe bestenfalls Nährungswerte, im
schlechtesten Fall gezielt gestreut."
Gerade die Schwammigkeit solcher Begriffe wie Cyberwar macht sie so
wertvoll. Sie lassen sich mit diffusem Wissen und Ängsten verknüpfen, mit
neuen Bedeutungen aufladen und sind aktualisierungsfähig. Das macht sie
profitabel und für Lobbyisten interessant.
Der Erfinder des "Cyberwar", John Arquilla, beriet Donald Rumsfeld und
arbeitet für RAND, eine Pentagon-nahe Denkfabrik. Der Professor an der
Naval Postgraduate School in Californien verdient sein Geld unter anderem
mit populärwissenschaftlichen Publikationen. Winn Schwartaum schreibt
Science-fictionromane und betreibt die Security Awareness Company. Eine
Sicherheitsfirma, die vor genau den Gefahren schützt, die er seit Jahren
skizziert. Dass es ihm um bares Geld geht, verdeutlichte er auch
juristisch: Als eine Firma den Slogan "InfowarCon" verwendete, kündigte er
eine 3-Millionen-Dollar-Klage an. Unter demselben Namen hat Schwartau seit
1998 eine Sicherheitskonferenz etabliert.
Der Nato-Oberste für den Cyberkrieg, Ulrich Wolf, betonte in einem
Interview, was für ihn die "größte Herausforderung" ist: "die Manpower und
Mittel, die wir von den Mitgliedsländern erhalten, aufzustocken". Im
Haushaltsplan der Bundesregierung 2008 sind für das Cyber Defense Center in
Tallinn gerade mal 30.000 Euro vorgesehen.
Der Angriff auf Estland, der von sämtlichen Militärs als Nachweis des
echten Cyberwar herhalten musste, ist unterdessen aufgeklärt. Wie die
Fachzeitschrift Wired berichtet, waren es keine "Cyber-Krieger in Putins
Geheimdienst. Es handelte sich um einen ethnischen Russen in Estland, der
angepisst war. Ein Gericht verurteilte ihn zu 1.620 Dollar Strafe und ließ
ihn ziehen."
Der amerikanische Philosoph Paul Edwards hat die Wirksamkeit von Metaphern
im Krieg analysiert. Er schreibt: "Der Kalte Krieg muss im Sinne von
Diskursen verstanden werden, die Technologie, Strategie und Kultur
miteinander verknüpfen. Der Kalte Krieg wurde buchstäblich in einem im
Wesentlichen semiotischen Raum ausgefochten."
11 Aug 2008
## AUTOREN
(DIR) Kai Schlieter
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