# taz.de -- Wie Olympia das China-Bild veränderte: Der Ruck Richtung Westen
       
       > Hat sich das Bild von China verändert? Acht taz-Korrespondenten ziehen
       > Bilanz der Olympischen Spiele in Peking - aus Sicht des Landes, aus dem
       > sie berichten.
       
 (IMG) Bild: Die Welt starrte auf China: Flagge bei Olympia-Eröffnung
       
       ## Der Pragmatismus der China-Hasser
       
       aus Tokio Chikako Yamamoto 
       
       Olympia beim großen Nachbarn - man hätte annehmen können, dass die Spiele
       in Japan für Zündstoff sorgen. Man hätte eifersüchtig sein können. Man
       hätte sich wünschen können, dass es in Peking möglichst viele Probleme
       gäbe. Doch nichts dergleichen.
       
       Die meisten Japaner gehen mit den Spielen pragmatisch um. Sie wissen, dass
       ihre Beziehung zu China derzeit durch die Geschichte, den Streit um
       Ölfelder und den Nationalismus auf beiden Seiten belastet ist. Mit Olympia
       hat das für sie nichts zu tun. Sie wissen auch, dass ihre Medien aus Anlass
       der Spiele vor allem über die Schattenseiten berichten: vom Smog, von
       vergifteten Lebensmitteln, von Menschenrechtsverletzungen in China. Aber
       das ist alles nichts Neues, das kann das eigene China-Bild nicht
       erschüttern. In Wirklichkeit entdeckte man mit Blick auf die Olympischen
       Spiele kaum neue Themen.
       
       Chinas allgemeine sportliche Überlegenheit in Asien wird in Japan seit
       langem neidlos anerkannt. Um mit China im Medaillenwettbewerb mitzuhalten,
       gibt es für Japan nicht mehr den Hauch einer Chance. Deshalb existiert auch
       kein Konkurrenzgefühl mehr. Sensibel ist man nur, wenn die japanischen
       Sportler in China schlecht behandelt werden. Das war diesmal nicht so
       auffällig. Neben den üblichen Buhrufen gab es sogar gelegentlich Applaus
       für japanische Olympioniken vom chinesischen Publikum. Zudem wissen die
       japanischen Sportler mittlerweile, was sie in China erwartet. Tatsächlich
       hat sich diesmal kein japanischer Olympiateilnehmer über das Publikum oder
       die Behandlung in China beschwert. Auch die japanische Berichterstattung
       über die chinesischen Sportler war neutral.
       
       Nur einer ließ sich scheinbar beeindrucken: Shintaro Ishihara, Gouverneur
       von Tokio und Japans berühmtester China-Hasser. Er hatte aus seiner
       China-Verachtung bislang nie einen Hehl gemacht, sogar zum Boykott der
       Spiele in Peking aufgerufen. Doch jetzt nahm er an der Eröffnungsfeier in
       Peking teil und kam voller Lob zurück. Sein Ziel: Er will die Olympischen
       Spiele 2016 nach Tokio holen. Insofern reagierte auch er nur pragmatisch.
       
       ## Brasilien träumt von Rio 2016
       
       aus Porto Alegre Gerhard Dilger 
       
       Dass sich Brasilien im Olympiataumel befinde, lässt sich wirklich nicht
       behaupten. Trotz breiter medialer Berieselung fiebert das Volk nur selten
       wirklich mit - so bei der unglücklichen 0:1-Endspielniederlage der
       Fußballerinnen gegen die US-Damen. Mit bislang elf Medaillen, darunter zwei
       goldenen, dümpeln die gelb-grünen AthletInnen wie gewohnt bescheiden im
       Mittelfeld.
       
       Und doch ist diesmal etwas anders. Mit dem aufstrebenden Schwellenland
       China hat die südamerikanische Regionalmacht Etliches gemeinsam, worauf
       Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Lula genannt, immer wieder gerne
       hinweist. Auch Brasilien möchte sich als Global Player positionieren, und
       dabei ist es in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen.
       
       Die Prestigeveranstaltung Olympia ist ein Baustein in dieser Strategie.
       Vorgestern stieg Fußball-Legende Pelé als Botschafter für Rio de Janeiro in
       den Ring. Die Metropole am Zuckerhut hat es zusammen mit Tokio, Madrid und
       Chicago unter die letzten vier Bewerber für die Sommerspiele 2016
       geschafft, die Entscheidung fällt im Oktober 2009. "Brasilien ist zum Sport
       berufen", schwärmte Pelé, "die Wirtschaft, die normalerweise Sorgen macht,
       steht auch gut da. Wir sind bereit."
       
       Bereits vor der Eröffnungsfeier in Peking war Lula in die Offensive
       gegangen: "Vor zehn Jahren hätte man auch nicht gedacht, dass die Chinesen
       in der Lage gewesen wären, die Spiele zu organisieren." Brasilien wolle
       Olympische Spiele "für die Armen" organisieren, versprach der Volkstribun,
       der selber aus einfachsten Verhältnissen stammt. Aus den Nachbarstaaten
       würden die Massen an die Copacabana ziehen, und auch die Kosten in
       Milliardenhöhe seien kein Problem: "Man muss immer darauf achten, was für
       das Volk übrigbleibt."
       
       Gerade dieser Punkt jagt Skeptikern Schauer über den Rücken. Die
       Panamerikanischen Spiele in Rio 2007 waren neunmal so teuer wie geplant,
       die dauerhaften Erträge bescheiden. Egal. Arataca Loureiro Gomes, Trainer
       der brasilianischen Leichtathleten, verrät der taz, warum Brasilien zwei
       Jahre nach der Fußball-WM auch Olympia ausrichten wird: "Die nächsten
       Spiele sind in London, schlechte Karten also für Madrid. Gleiches gilt für
       Tokio. Bleibt Chicago - doch die Amis hatten die Sommerspiele schon vier
       Mal, und in Rio gibt es keine Terrorismusgefahr. Schließlich haben wir João
       Havelange." Der 92-jährige Olympiateilnehmer von 1936 und Ex-Fifa-Chef
       weilt gerade in Peking und zieht auch im IOC viele Strippen - und das seit
       45 Jahren.
       
       ## Der Ruck Richtung Westen
       
       aus Peking Georg Blume 
       
       Das Ende der Spiele ist in Sicht. Die zensierte, aber relativ kritische
       chinesische Wochenzeitung Nanfang Zhoumo zieht Bilanz: "Aus historischer
       Perspektive wird nicht der gute Platz auf dem Medaillenspiegel oder die
       Präsentation eines neuen Chinabildes der wichtigste Erfolg sein", schreibt
       das Blatt. Der eigentliche Erfolg der Spiele habe mit den acht
       Goldmedaillen des amerikanischen Schwimmers Michael Phelps zu tun. Den
       Chinesen wäre durch ihn der Wert des Individuums beim Sport begegnet. "Der
       Kernwert des Sportgeists wird vom einzelnen Menschen verkörpert", heißt es
       im Leitartikel der Zeitung - ein Plädoyer also für den westlichen
       Individualismus, der in Gestalt der großen westlichen Sportstars mit den
       Olympischen Spielen in China Einzug gehalten habe.
       
       Das ist jetzt die liberale und vorherrschende Lesart der Spiele: dass sie
       China doch einen Ruck gegeben haben - in Richtung Westen. Auch Chinas
       bekanntester Rockmusiker Cui Jian sieht das so: "Olympia hat die westliche
       Konsumkultur in China gestärkt. Sie verändert wirklich unser Leben", sagt
       Cui, der heute eines seiner seltenen Konzerte in Peking geben wird. Cui
       schrieb einst die Protesthymnen der Studentenrevolte von 1989. Er gilt als
       Vater der chinesischen Rockmusik, und seine Auftritte waren in der
       Hauptstadt lange Zeit verboten. Heute nicht mehr, auch nicht während der
       Spiele, als andere Konzerte anderer Künstler zum Teil untersagt waren. Cui
       lobt den alltäglichen Einfluss des Westens in China: "Alles, was wir
       brauchen, ist vom Westen. Alle Labels, alle Marken. Insofern waren die
       Olympischen Spiele eine Chance für jedermann in China. Mindestens 51
       Prozent an ihnen war positiv für die Chinesen."
       
       Eine zweite, konservative Lesart der Spiele stärkt das nationale
       Selbstbewusstsein. Für sie steht der populäre Fernsehmoderator Bai Yansong
       vom Staatssender CCTV. Bai erinnert sich an die Spiele in Sydney vor acht
       Jahren, bei denen er noch sehr empfindlich auf westliche Kritik an China
       reagiert habe. "Durch die Olympischen Spiele in Peking ist China
       entsensibilisiert worden. Es sieht jetzt auch aus wie ein großes Land." Bai
       umschreibt damit die Überwindung des alten chinesischen
       Minderwertigkeitskomplexes gegenüber dem Westen. Die Medaillenflut zeige
       China endlich auch vor aller Welt als das große Land, das es in
       Wirklichkeit immer war.
       
       ## Wir wollen auch! Aber können wirs?
       
       aus Delhi Sascha Zastiral 
       
       Indien und China: Wenn es um neue, aufstrebende Wirtschaftsmächte geht,
       fallen diese Namen immer gemeinsam. Kein Wunder also, dass in Indien immer
       sehr genau darauf geachtet wird, was sich beim großen Nachbarn im Norden
       abspielt. Besonders bei den Olympischen Spielen. Denn die lösen in Indien
       äußerst gemischte Gefühle aus.
       
       Das von der Führung in Peking durch massive PR entworfene China-Bild
       verfehlt seine Wirkung nicht: Glitzernde Skylines, moderne Städte und ein
       nicht mehr aufzuhaltender Aufschwung. Angesichts dieser glamourösen
       Selbstdarstellung schaut Indien besonders beschämt auf seine brüchigen
       Straßen, das ewige Chaos und das kaum kleiner gewordene Millionenheer der
       Armen.
       
       Doch auf eines ist Indien ausnahmslos stolz: Trotz allem ist es eine
       Demokratie - China nicht. Daher entzündete sich vor den Olympischen Spielen
       eine massive Debatte darüber, ob Indien sie nicht wegen der
       Menschenrechtsverletzungen in Tibet boykottieren sollte. Baichung Bhutia,
       Kapitän der indischen Fußballnationalmannschaft, war der erste Sportler
       weltweit, der seine Teilnahme am Fackellauf deswegen absagte. Während sich
       die Debatte über Monate zog, unternahm die Regierung in Delhi alles, damit
       kein Schatten auf die Olympischen Spiele und damit auf die mühevoll
       verbesserten Beziehungen zum Nachbarn China fiel. Proteste von Exiltibetern
       wurden klein gehalten, mehrfach nahm die Polizei Aktivisten fest. Der
       Fackellauf durch die Hauptstadt Delhi wurde aus Sorge vor Protesten auf
       gerade einmal zwei Kilometer verkürzt, die Strecke von 15.000 Polizisten
       hermetisch abgeriegelt. China zeigte sich hochzufrieden und bedankte sich
       für so viel Engagement.
       
       Die Debatte der vergangenen Monate ist mittlerweile jedoch abgeflaut. Kein
       indischer Sportler hat letztlich die Spiele boykottiert oder protestiert.
       Stattdessen herrscht Begeisterung über den reibungslosen Ablauf der Spiele,
       Bewunderung für die futuristische Architektur und für die eindrucksvolle
       Eröffnungszeremonie. Auch die über Indiens Sportler hereinbrechende
       "Medaillenflut" (einmal Gold, einmal Bronze) lässt alle Diskussionen
       vergessen.
       
       Doch die Diskussionen und der Selbstvergleich mit China werden spätestens
       nach Olympia-Ende wieder einsetzen. Denn Indien möchte sich für die
       Ausrichtung der Olympischen Spiele 2020 bewerben. Schon jetzt fragen einige
       Zeitungen, ob das Land überhaupt in der Lage wäre, so ein Großereignis
       auszurichten.
       
       ## Wie? Die Spiele sind in Peking?
       
       aus Nairobi Marc Engelhardt 
       
       Kenianer befinden sich dieser Tage im olympischen Freudentaumel. "Wir sind
       Olympia", grölt ein Gast in einer der Kneipen, die derzeit kaum etwas
       anderes zeigen als die Livebilder aus Peking. Nur Leichtathletik, versteht
       sich. Immerhin zwei Goldmedaillen hat Kenia sich bisher gesichert, viermal
       Silber, zweimal Bronze. Für ein Land, das sonst wenig zu feiern hat, ist
       das enorm.
       
       In den Zeitungen überbieten sich Kommentatoren darin, die Erfolge des
       kenianischen Teams als Zeichen für die Heilung eines Landes zu deuten, das
       noch Anfang des Jahres von ethnischen Kämpfen zerrissen wurde. Tatsächlich:
       Auch vor dem Großbildschirm sieht man sich - nach der dritten oder vierten
       Flasche Tusker-Bier - kollektiv als Sieger, egal ob Kikuyu oder Luo: "Lass
       sein mit der Politik, endlich ist mal was anderes", lallt einer der
       Sportbegeisterten.
       
       Für Kenianer, die das Prinzip des amerikanischen Traums im eigenen Land
       mehr verinnerlicht haben als irgendjemand sonst in Afrika, sind die
       Olympischen Spiele auch der Beweis, dass die Ärmsten es schaffen können.
       800-Meter-Siegerin Pamela Jelimo etwa stammt aus dem kleinen Dörfchen
       Kaptamok im nördlichen Rift Valley. Ihre Eltern, Kleinbauern, leben mit
       ihren acht anderen Kindern in einem fensterlosen Häuschen mit
       Wellblechdach. Darüber, dass die 18-Jährige beinahe in die USA ausgewandert
       wäre, sich dann aber doch für einen Job bei Kenias Polizei und eine
       Sportkarriere in der Heimat entschieden hat, berichten Kenias Medien
       genauso ausführlich wie darüber, wie viel Preisgeld sie mit nach Hause
       bringen wird: 7.500 Euro, für die meisten Kenianer sind das mehrere
       Jahreseinkommen. Dass ein Bauernmädchen das vollbracht hat, nährt die
       Hoffnung der Arbeitslosen und Enttäuschten, die auf ein ähnliches Wunder
       warten.
       
       Dass "Kenias" Spiele in China stattfinden, ist kaum ein Thema. "Ich dachte,
       die wären in Peking", wundert sich ein Fernsehzuschauer. Darfur, Tibet,
       Angst vor einer chinesischen "Invasion" in Afrika: All das ist im
       Zusammenhang mit den Spielen kein Thema. Im Gegenteil: Medaillenmäßig ist
       China Kenia schließlich unterlegen. Statt des Gesamtmedaillenspiegels liest
       man schließlich hier nur den der Leichtathleten. Da steht Kenia auf Platz
       4, hinter Jamaika, Russland und den USA und vor Erzrivale Äthiopien. China
       taucht in der Top 10 gar nicht auf.
       
       ## Big Ben mit großen Brüsten
       
       aus Dublin Ralf Sotscheck 
       
       Erfolg macht blind. Der unerwartete Medaillensegen für das britische Team
       hat Bedenken wegen der Menschenrechtsverletzungen in China in den
       Hintergrund gedrängt. Sicher, man bedauert die Christenverfolgung sowie die
       Beschlagnahmung von 315 Bibeln, die vier US-amerikanische Christen im
       Gepäck hatten. Auch die neue chinesische Mauer, nämlich die
       Internet-Firewall, die missliebige Webseiten blockiert, ist ärgerlich. Aber
       stammt die Technologie dafür nicht aus dem Westen, und zwar von den Firmen,
       die in den Wettkampfpausen Werbespots ausstrahlen?
       
       Der Journalist Brendan ONeill argumentierte in seiner Rede auf der
       Konferenz "Battle for China", die vom Londoner Institute of Ideas
       organisiert worden war, dass die westlichen Regierungen keinen Grund haben,
       sich über Menschenrechtsverletzungen in China aufzuregen. Der Respekt für
       Freiheit sei in Europa und den USA auf einem historischen Tiefstand, sagte
       er. Man denke an die Internierung von Verdächtigen für 42 Tage, das
       Ausspionieren durch Überwachungskameras, das Mitlesen von E-Mails und die
       Einführung neuer "gedanklicher Verbrechen".
       
       Und schließlich sei die Eröffnungsfeier der Spiele nicht zu verachten
       gewesen. Allerdings hätte man den Tänzerinnen vermutlich einen Knieschuss
       verpasst, wenn ihnen bei der Eröffnungszeremonie drei falsche Schritte
       unterlaufen wären, sinniert Guardian-Kolumnist Charlie Brooker. "Ich bin
       zwar kein Patriot, aber mir wird bange um unseren Nationalstolz, wenn ich
       an die Londoner Spiele 2012 denke", schreibt er. "Wie zum Teufel sollen wir
       eine noch bessere Feier auf die Beine stellen? Wir können genauso gut
       einzeln ins Stadion marschieren, unsere Hosen herunterlassen und der Welt
       unsere Arschbacken zeigen."
       
       Aber Brooker schöpft Hoffnung, da die Feier in Peking eine Lüge war:
       Computer-Images und ein niedliches Mädchen, das lediglich die Lippen
       bewegte, während Aschenputtel aus dem Off sang. Auch die Wettkampfkulissen
       sind nicht immer echt, Jubelperser werden bei weniger besuchten Events ins
       Stadion gekarrt. Erstaunt ist Brooker aber über die Taktik der Chinesen.
       Selbst ein Sechsjähriger wisse, dass man an einer Lüge festhalten müsse.
       Aber die Chinesen hätten bei der ersten Nachfrage die Manipulationen
       zugegeben.
       
       Die aber könnten eine Blaupause für London 2012 sein. Brooker schlägt für
       die Eröffnungsfeier einen genetisch verbesserten Big Ben mit großen Brüsten
       vor - während ein Vulkan auf der Themse die Olympia-Ringe ausspuckt.
       
       ## Die Oberlehrer gegen die Gold-Diktatoren
       
       aus Washington Karin Deckenbach 
       
       "Sie haben ja einen guten Job gemacht", sagt die Nachbarin, "aber bei
       diesen Turnerinnen konnte ich gar nicht hingucken, die armen chinesischen
       Kinder." "Hast du diesen Flughafen gesehen", sagt der Nachbar, "so was
       haben wir hier nicht." "Falls China sein Erscheinen als große Macht
       ankündigen wollte, dann haben wir die Botschaft verstanden", schreibt
       Eugene Robinson in der Washington Post. Wie er das meint? So: "Jeder, der
       schon paranoid war über Chinas aufkeimenden Reichtum und seinen Status, hat
       nun weiteren Grund, alarmiert zu sein. Denn die Chinesen haben die
       vielleicht unvergesslichsten Spiele aller Zeiten inszeniert."
       
       Vor Olympia haben die Amerikaner paranoid auf die Flut von Billigwaren aus
       China reagiert. Nun müssen sie die Bilder der teuren Arenen, des
       hypermodernen Flughafens, der strotzenden Symbolbauten verdauen. "Das
       erinnert unweigerlich daran, dass unsere Beziehung zu China die eines
       Schuldners zu seinem Kreditgeber ist", seufzt Robinson, "Tatsache ist, dass
       man dazu tendiert, höflich mit der Bank umzugehen, die einem das Haus
       finanziert." Höflich, auch wenn es wehtut, dass China erstmals mehr
       Medaillen hat als die USA.
       
       Anerkennung mischt sich mit Angst, Überheblichkeit mit Unsicherheit. Und
       über allem steht die Systemfrage. "Bei uns ist das Züchten von Athleten
       eben kein Staatsziel", verteidigen sich Sportfunktionäre. In vielen
       Zeitungsberichten schwingt oberlehrerhaft mit, dass "bei uns" der Sport
       privatwirtschaftlich gefördert wird, aber in einem "freien Land" niemand
       Dreijährige auf den Stufenbarren zwingt und nur "kommunistische Diktatoren"
       Erwachsene in abgeriegelten Camps auf Gold drillen.
       
       Mit den Spielen haben die Amerikaner mehr über China erfahren als je zuvor.
       Sie wissen jetzt, dass es Tibet, Umweltprobleme, Zensur, Einreiseverbot
       gibt. "Aber ich glaube, in der Wahrnehmung überwiegen nicht neue
       Informationen, sondern alte Stereotype", meint Politologin Laurie Dundon.
       
       "Perfekt organisiert", lobt ein Fernsehzuschauer in der Lucky Sports Bar in
       Washington. "Perfekt manipuliert", ätzt ein anderer und meint damit nicht
       nur die vorfabrizierten Bilder des Eröffnungsfeuerwerks. Vor allem die
       Masse Mensch, "perfekt kontrolliert und synchronisiert", beeindruckt die
       Sportreporter; aber nie vergessen sie zu erwähnen, dass der größte, beste,
       wunderbarste Individualist dieser Spiele eben doch ein Amerikaner ist.
       Keine Woche hat es gedauert, bis Michael Phelps die Cornflakespackungen in
       ein achtfaches Goldbad taucht. Offenbar vorfabriziert.
       
       ## Der Bär ist vom Drachen hypnotisiert
       
       aus Moskau Klaus-Helge Donath 
       
       Der Krieg im Kaukasus überschattet in Russland die Olympischen Spiele.
       Russische Medien berichten zwar von den Sportereignissen. Chinas Land und
       Leute finden in den russischen Medien indes nur schwachen Widerhall.
       
       Grundsätzlich ist die Haltung Russlands zu China ambivalent. Die politische
       Führung buhlt seit Jahren um Chinas Aufmerksamkeit, das man gerne als
       Verbündeten gegen den Westen gewinnen würde. Die russische Bevölkerung
       bringt dem asiatischen Nachbarn jedoch eher Misstrauen denn Sympathie
       entgegen. Als der Kreml im Juli mit Peking im Fernen Osten einen
       Gebietsaustausch am Amur vereinbarte, waren viele Russen irritiert. Denn
       russischer Boden ist heilig.
       
       Ohnehin verdächtigt der Durchschnittsbürger die Chinesen, sie hätten es auf
       Sibiriens Raum und Bodenschätze abgesehen. Die Kosaken von Chabarowsk in
       Sibirien haben sich soeben neu formiert, um einer chinesischen Invasion
       zuvorzukommen. Von Zuneigung lässt sich da kaum sprechen.
       
       Moskaus aggressive Haltung gegenüber den USA und dem Westen hat unterdessen
       zur Folge, dass die Herausforderungen, seien sie demografisch,
       wirtschaftlich oder territorial-militärisch, von der politischen Führung
       verdrängt und öffentlich auch nicht angesprochen werden. Auffällige
       Ratlosigkeit herrscht. Manchmal hat es den Anschein, als sei der russische
       Bär wie hypnotisiert von der gigantischen Wachstumsleistung des
       chinesischen Drachens und harre nur, bis er zupacke.
       
       Auf den anstehenden Rollentausch mit China ist Russland innerlich nicht
       vorbereitet. Bislang verstand sich das eurasische Russland gegenüber China
       als europäischer Lehrmeister. Rassistische Motive sitzen in Russland tief
       und sind weit verbreitet. Aus Moskauer Perspektive eignet der chinesischen
       Zivilisation etwas "Barbarisches".
       
       Wenn es gelegentlich doch mal einen Blick zum Nachbarn gibt, dann sind es
       meist folkloristische Beiträge, die wohl die Angst vertreiben helfen und
       die Gefahr verniedlichen sollen. Langfristig dürfte der chinesische
       Vormarsch noch schlimmere Verheerungen im russischen Psychohaushalt
       anrichten als der Zusammenbruch des Imperiums. Bislang stellt sich Russland
       taub und klagt nicht einmal, dass China auch im Sport die einstige
       Führungsrolle der Sowjetunion übernommen hat.
       
       23 Aug 2008
       
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