# taz.de -- 50. Geburtstag von Michael Jackson: Geliebt, geehrt und tief gefallen
       
       > Michael Jackson feiert seinen 50. Geburtstag. Der einstige "King of Pop"
       > ist über seine Extravaganzen und Missbrauchsvorwürfe gestürzt - und wird
       > nicht mehr aufstehen.
       
 (IMG) Bild: Scheut mittlerweile die Öffentlichkeit: Michael Jackson.
       
       Wir wissen alles über ihn. Jede und jeder kann sich zu Michael Jackson
       äußern. Dennoch wären wir froh, alsbald noch einiges zu erfahren. Etwa,
       dass er sich mit einem gefährlichen Heroin-Kokain-Crack-Cocktail versorgt,
       dass er säuft, dass er schwul oder heterosexuell oder bi und mit seinem
       Lebensgefährten beziehungsweise seiner Lebensgefährtin bereits seit 1983
       zusammen ist und völlig monogam lebt, dass er beim Sprechen über seine
       Vorlieben gelogen hat, dass er überschuldet ist und dass er seine
       unzähligen Schönheitsoperationen bereut.
       
       Wenn wir das erfahren würden, dann würden wir ihm nämlich verzeihen. Wir
       würden ihn vom Vorwurf des Kindesmissbrauchs erlösen, wir wüssten, warum er
       so kaputt ist, wir würden Geld sammeln, und wir würden für ihn beten. Denn
       wir hätten ihn zurück: Der King of Pop wäre einer von uns. Er wäre wie wir.
       Kein unerreichbarer Superstar mehr, kein bewundertes bizarres Wesen,
       sondern ein Mensch, schwach, verlogen, makelbehaftet, so wie wir also.
       
       George Michael lieben wir wieder, seit er auf einer Toilette verhaftet
       wurde. Prince mögen wir wieder, weil er Schwäche gezeigt hat und weil er
       nun ein normaler Mucker ist, ein Mucker von Gottes Gnaden zwar, aber nicht
       mehr gottgleich. Madonna dagegen lieben wir immer weniger, sie, die als
       kleine Kellnerin und kleines Popsternchen eine von uns war, ist nun
       britischer Landadel, Popmaschine und höchstens spleenig, sie lässt uns
       nicht an der Ehekrise, die wir uns so herbeiwünschen, teilhaben und ist für
       die Magersucht, die wir ihr unterstellen, viel zu gut trainiert.
       
       Das zumindest erscheint so, wenn man sich überlegt, was hierzulande zu den
       50. Geburtstagen der Superstars publiziert wurde. Der Künstler Prince, der
       im Juni 50 wurde, erntete wenig Aufmerksamkeit. Madonna wurde maßvoll
       gehuldigt, einige Jungjournalisten forderten, wenig originell, ihren Abgang
       ins Altersheim, alle aber schrieben über das neue Album und die gerade
       laufende Tour. (Nicht die taz. Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg
       behauptet, es gebe keine Plätze mehr. Bei einem Konzert im Olympiastadion!
       Wers glaubt. Uns egal. Soll Madonna doch unter Ausschluss der
       Öffentlichkeit auftreten. Also: heute kein Madonna-Text. Und soll mir bloß
       niemand mehr mit "Madonna ist so wichtig" kommen, wenn schon Achtziger und
       Sexfront, dann Martina Navratilova. d. Musikred.) 
       
       Im Falle Michael Jacksons wiederum, der, nach Verkäufen und auch an der
       musikalischen Leistung gemessen, der Primus dieses Trios ist, läuft keine
       Promotionmaschine. Das Album, nein, DAS Album "Thriller" wurde zum 25.
       Jahrestag seines Erscheinens im Frühjahr noch einmal herausgegeben. Das
       wars.
       
       Nicht einmal neue Biografien sind in Deutschland erschienen, nur die
       kleine, aber umso bedeutendere Schrift "Über Michael Jackson" von Margo
       Jefferson. Doch dieser hat sich nicht die Mühe gemacht, sie besonders gut
       übersetzen zu lassen oder gar zu aktualisieren. So endet das in den USA im
       Jahr 2006 erschienene Buch genau an dem Punkt, an dem "Jacko" für uns nicht
       mehr zu retten war - mit dem Freispruch im zweiten großen Prozess wegen
       Kindesmissbrauchs im Juni 2005. Einem fairen Prozess, bei dem Michael
       Jackson allerdings bereits vor Prozessbeginn von der Öffentlichkeit
       schuldig gesprochen worden war. Dieser Star wurde fertiggemacht. Vom Himmel
       geholt. Entblößt.
       
       Doch auch jetzt, nach all den Kommentaren und Features, auch nach Jacksons
       großen Interviews, nach der Autobiografie "Moonwalk", nach all den
       Videobotschaften an die Fans müssen wir uns fragen: Was wissen wir
       eigentlich über Michael Jackson? Die Antwort ist einfach: genauso viel, wie
       wir über Madonna wissen. Oder über Greta Garbo. Oder über den Papst.
       
       Michael Jackson wurde vor fünfzig Jahren in eine arme Familie
       hineingeboren, er wuchs mit acht Geschwistern auf. Sein Vater prügelte ihn
       und vier seiner Brüder auf die Showbühne. Der alte Mann ist bis heute stolz
       auf seine rigorosen Erziehungsmethoden. Die Mutter stand den Kinderstars
       zwar bei, schritt gegen die Prügelattacken des Vaters jedoch nicht ein. Als
       Jackson Five werden die fünf Brüder zu Berühmtheiten des Soulbusiness.
       Schnell wird der kleine Michael mit seiner außerordentlichen stimmlichen
       und tänzerischen Begabung zum Liebling der Fans. Dass der Minderjährige
       anspielungsreiche Liebeslieder singen muss, steigert nur seinen Erfolg.
       
       In den frühen 70er-Jahren veröffentlicht er daher bereits Soloalben, das
       erste, "Got To Be There" als Dreizehnjähriger. Doch erst 1979, mit dem
       Album "Off The Wall", das Michael Jackson in enger Zusammenarbeit mit
       Quincy Jones erstellt, zeigt sich, dass Michael Jackson viel mehr ist als
       nur ein besonders talentierter Kinderstar. "Off The Wall" erweitert den R n
       B allmählich zu Pop, auch die Kritiker zeigen sich begeistert. 1982 legt
       das gleiche Duo "Thriller" vor, das bis heute das erfolgreichste Album
       aller Zeiten ist und geschätzte 60 Millionen Mal verkauft wurde, Downloads
       aus dem Internet nicht eingerechnet. Das Video zum Titelsong, dass immerhin
       13 Minuten lang war, begründete das Verständnis vom Musikvideo neu, es
       wurde sogar mit einer Dokumentation über die Dreharbeiten als
       Kaufvideokassette veröffentlicht. Vor einem Vierteljahrhundert schon war
       Michael Jackson größer als Elvis und die Beatles. Spätestens seit
       "Thriller" ist Michael Jackson auch als außergewöhnlicher Tänzer beliebt,
       nicht nur der "Moonwalk", dessen Technik sich Jackson bei berühmten
       Pantomimen entlieh, sondern auch die beeindruckend schnelle Abfolge von
       Drehungen, der sichere Stand auf den Zehenspitzen und nicht zuletzt der
       Griff in den Schritt machten aus Michael Jackson endgültig einen Weltstar.
       
       Seine weiteren Alben, "Bad" und "Dangerous", unterstrichen Michael Jacksons
       Anspruch auf den Titel King of Pop, doch Gerüchte über seine Extravaganzen
       und die Veränderung seines Äußeren ließen Jackson in der öffentlichen
       Wahrnehmung immer mehr zum seltsamen Freak werden. Als 1993 dann der erste
       Prozess wegen Kindesmissbrauchs begann, der mit einem Vergleich zwischen
       dem Hauptzeugen und Jackson beigelegt wurde, schienen die Vorurteile
       bestätigt.
       
       Vor allem aber machte Jackson einen PR-Fehler - er wehrte sich gegen die
       Anwürfe. Stets betonte er, dass die Anklage ihn verletzt habe, er sah sein
       langjähriges Engagement für notleidende Kinder ins falsche Licht gesetzt.
       Er verteidigte auch seine Nasenoperationen, gab zudem an, unter einer
       Hautkrankheit zu leiden, die die Pigmente zerstört, sodass die Haut bleicht
       und empfindlich auf Sonnenlicht reagiert. Obwohl dies sein Hautarzt
       bestätigte, ist der Großteil der Öffentlichkeit weiter davon überzeugt,
       dass Jackson lieber "ein Weißer" wäre als "ein Schwarzer".
       
       Zugleich erschien Michael Jackson als Größenwahnsinniger - während er mit
       hoher Stimme "I love you all" in die Kameras hauchte, bestritt er allzu
       gigantomanische Touren und ließ riesige Jackson-Statuen zur Bewerbung
       seines Albums "HIStory" aufstellen. Das bislang letzte Album, "Invincible",
       das 2001 erschien, verkaufte zwar beachtliche sieben Millionen Exemplare
       und ist bei weitem nicht so schlecht wie sein Ruf, dennoch trennte sich
       Sony von seinem Superstar. Und während Michael Jackson in den vergangenen
       Monaten mehrfach ankündigte, an einem neuen Album zu arbeiten, bei dem ihm
       unter anderem Will.i.am von den Black Eyed Peas als Produzent zur Seite
       stehe, ist bislang nicht einmal klar, ob er über dieses Album schon einen
       Vertrag mit einem Label abgeschlossen hat.
       
       Stattdessen ist sich die Öffentlichkeit sicher, dass er ein - sagen wir es
       mild - gestörtes Verhältnis zu sich selbst hat. Man glaubt zu wissen, dass
       er trotz der zwei Ehen, die er führte, nicht als heterosexuell zu sehen
       ist, dass er, obschon er sich in die Nähe zu nationalistischen
       Black-Muslim-Organisationen begab, kein Schwarzer sein wolle, dass er,
       obschon freigesprochen, ein Kinderschänder sei, dass man für seine Kinder
       das Allerschlimmste befürchten müsse und dass er überhaupt eine Vollmeise
       habe.
       
       Während alle Welt ein bisschen morpht und an der Identitätenverwischung
       arbeitet, will man ausgerechnet Michael Jackson, der den Umgang mit der
       Medienbranche bereits vor seiner Pubertät perfekt beherrschen lernte, als
       authentische Figur begreifen. Diese Forderung ist selbstredend völlig
       unsinnig. Auch dass Michael Jackson immer wieder behauptet, er sei
       tatsächlich, was er auf der Bühne gebe, spricht nicht für seinen Wunsch
       nach Authentizität. Der Mann will nur die Fans bedienen.
       
       Die größere Öffentlichkeit dagegen scheint den Untergang dieses Superstars
       mit einigem Genuss zu betrachten. Michael Jackson hatte in den letzten 45
       Jahren seines Lebens nur einen einzigen wirklichen Freund, dieser war der
       Spiegel der Medien. Darin konnte sich das narzisstische Kind sehen, ebenso
       der Star. Michael Jackson konnte sich über mehr als ein Jahrzehnt lang
       stets neu erfinden, und er tat dies, im Gegensatz zu Madonna, mit ganzem
       Körper. Anders als Madonna muss er jetzt dafür die Rechnung bezahlen. Für
       die geschundene Seele, für die er nichts kann, ebenso. Michael Jackson weiß
       nahezu alles über Außenwirkung und PR-Arbeit, aber er wusste nicht, dass es
       eine gängige journalistische Methode ist, diejenigen, die man hochgelobt
       hat, anschließend niederzuschreiben. Als ihm das bewusst wurde, zeigte er
       Nerven. Seitdem sehen wir diesen Star verzweifeln. Dies allerdings immer
       seltener öffentlich.
       
       "Thriller" war unübertreffbar. Der Niedergang beginnt immer auf dem
       Höhepunkt. Wenn der Höhepunkt aber noch vor dem 25. Geburtstag erreicht
       worden ist, was kann dann noch folgen? Unendlicher Ruhm. Den aber werden
       wir Michael Jackson erst zuteil werden lassen, wenn er tot ist. Denn tote
       Stars behindern die Verehrung nicht mit ihrem Leben.
       
       29 Aug 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Sundermeier
       
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