# taz.de -- "Erleben sie das vereinigte Korea": Glitzernde Oase im Reich der Finsternis
       
       > Echte Entspannung oder nur Devisen für Kim Jong Il? Nirgendwo kommen sich
       > Nord- und Südkoreaner näher als in der Tourismuszone Kumgangsan
       
 (IMG) Bild: Südkoreanische Touristen am Strand von Kumgangsan, Nordkorea
       
       Der nordkoreanische Clown zaubert eine Bombenstimmung herbei. Erst legt er
       den Südkoreaner aus dem Publikum auf die Bühne. Nun lässt er eine
       zentnerschwere Metallkugel beinahe auf den Bauch seines Opfers fallen - und
       tauscht sie im letzten Moment mit einer Attrappe aus. Zuschauer johlen,
       pfeifen, klatschen. Der Zirkusmann aus dem Norden und der Student aus dem
       Süden umarmen sich herzhaft, ein Fähnchen mit einem Korea ohne Grenze
       flattert.
       
       "Erleben sie das vereinigte Korea", wirbt die südkoreanische Firma Hyundai
       Asan kess. In der nordkoreanischen Kumgangsan-Region ("Diamantenberge") hat
       sie einen märchenhaften Touristenpark erschaffen. Nordkoreanische
       Serviertöchter umsorgen südkoreanische Wanderer mit Nudeln nach Pjöngjanger
       Art. Die Gäste erstehen für US-Dollars Heilung versprechende Ginsengwurzeln
       und lockern ihre Muskeln in heißen Quellen. Die glitzernde kapitalistische
       Oase inmitten kommunistischer Tristesse ist ein Kind der
       Sonnenscheinpolitik des früheren Präsidenten Kim Dae Jung. Seine Vision:
       Über Kooperation und Austausch die Spannungen zwischen den beiden
       koreanischen Staaten abbauen.
       
       Mit der Aufführung des Pjöngjanger Staatszirkus endet auch die Illusion
       eines vereinten Koreas. In der einbrechenden Dunkelheit kommt die Trennung
       vollends ans Licht. Hier die Tourismuszone, mit Supermarkt, einem
       zollfreien Laden und dem grell violett beleuchteten Hotel Oekumgang. 20
       Meter nebenan beginnt das andere Nordkorea - Kim Jong Ils Arbeiterparadies.
       Ärmliche Bauerndörfer ohne Strom, die abends in der Finsternis versinken.
       Das Feriendorf bezieht Elektrizität vom eigenen Kraftwerk.
       
       Mauern und Maschenzaun trennen die beiden Welten. An den wenigen
       Schnittstellen führen Soldaten Regie. Hinter dem Hotel Oekumgang kreuzt ein
       Dorfsträßchen den Touristenkorridor. Aus dem Dunkeln nähern sich zwei
       Gestalten, einen Baumstamm hinter sich herziehend. Trotz schneidender Kälte
       haben sie nur dünne Stoffschuhe an den Füßen. Der bewaffnete Wachtposten
       hält ein rotes Fähnchen in die Luft und lässt die Nordkoreaner erst
       passieren, nachdem der ausländische Besucher die Straße überquert hat. In
       diesem Abschnitt gilt ein rigoros Fotografierverbot und offenbar ein Zwang
       zum Gehen. Mit scharfen Trillerpfiffen und fuchtelnden Handbewegungen weist
       uns der Volksarmist an, schneller zu marschieren.
       
       Am nächsten Morgen glänzen die sagenumwobenen Diamantenberge im
       Sonnenlicht. Vom Balkon des "Familienstrandhotels Kumgangsang" zeigt sich
       in Umrissen die nordkoreanische Hafenstadt Kosung. Dumm nur, dass man keine
       Einzelheiten heranzoomen kann. Feldstecher mussten in Südkorea bleiben,
       ebenso Kameras mit einer Objektivbrennweite von mehr als 160 Millimetern.
       Auch Handys wurden an der Grenze eingesammelt. Das Hotel im Chaletstil mit
       den Zimmertypen "Standard", "Familie", "Royal" und "VIP" beherbergt eine
       Gruppe von 30 Südkoreanern, viele im Pensionsalter. Kwak Yong Kwon, ein
       34-jähriger Rot-Kreuz-Angestellter, begleitet seine Eltern. "Ich wollte
       ihnen diesen Wunsch erfüllen - wer weiß, wie lange diese Touren noch
       möglich sind."
       
       Seit den Atombombentest vom Oktober ist der Kumgang-Tourismus von vielen
       Seiten unter Beschuss. Die Standard-Drei-Tages-Tour kostet umgerechnet 250
       Euro, davon streicht das Gastgeberland rund ein Viertel ein. 1,4 Millionen
       Touristen haben diese de facto südkoreanische Exklave seit 1998 besucht.
       Ein Goldgrube für Diktator Kim, schnauben konservative Kreise in Südkorea
       und auch in Washington. Südkoreas Regierung unterstützt zwar die
       UNO-Sanktionen, die auf den Handel mit Rüstungs- und Luxusgütern zielen.
       Allerdings ist Seoul nicht bereit, dieses "Projekt der Annäherung" zu
       opfern.
       
       Die südkoreanische Reiseleiterin repetiert am ersten Ausflugstag die
       Regeln: Pass und Visumkarte sichtbar im Plastikbeutel um den Hals tragen
       ("Ziehen Sie den nur unter der Dusche ab!"), keine Fotos aus dem Bus, keine
       politischen Diskussionen mit nordkoreanischen Angestellten. Erst dann setzt
       sich der Autobus in Fahrt. Links und rechts des eingehegten
       Tourismuskorridors stehen Soldaten. Alle paar hundert Meter einer, auf
       Hügelkuppen, am Damm des Baches, auf Feldwegen, die auf den
       Transportkorridor zulaufen. Stramm und unbeweglich, man könnte sie für
       Vogelscheuchen halten.
       
       Mitten auf dem Feld steht ein Ochsenkarren. Entlang langer, gerader Fußwege
       tragen Frauen Stoffbündel auf dem Kopf. Ein lottriger Militärlastwagen, mit
       den Vorderrädern im Morast eingesunken, wird mit Kohl beladen. An einem der
       bewachten Kreuzungspunkte wird der Bus langsam. Die Nordkoreaner springen
       von ihren Fahrrädern, gehen langsam an den Soldaten vorbei. Das freudige
       Winken der Wanderschar im Bus erwidern sie mit einem zaghaften Nicken. Die
       Reiseleiterin redet derweil unaufhörlich über Fauna und Flora.
       
       Auf dem Parkplatz schrauben die Touristen ihre Wanderstöcke zurecht,
       montieren Markenkäppis und Sonnenbrillen. Als Höhepunkt locken die
       Kuryong-Wasserfälle. Das enge Tal strahlt in goldenen Herbstfarben, umgeben
       von den Gipfeln des Diamantengebirges, das seit Jahrhunderten koreanische
       Schriftsteller und Maler inspiriert. Eine Steintafel am Wegrand preist den
       "Leuchtstern des 21. Jahrhunderts, Marschall Kim Jong Il". Zwei
       Denkmalpfleger befreien den Granitstein von herabfallenden Nadeln. Der
       Fußweg windet sich über Brücken und Stufen das Tal hinauf.
       
       Rascheln im Unterholz durchbricht die Stille - ein frecher Lemming huscht
       durch das Laub und blickt keck umher. Doch hinter den Bäumen blinzelt noch
       ein Augenpaar hervor. Die Kopfbekleidung enttarnt ihn als Angehörigen der
       Koreanischen Volksarmee. "Überall die Militärs - unheimlich", flüstert
       Kwak, der Rot-Kreuz-Angestellte, beim Mittagessen. Die Serviertöchter
       tragen, wie alle Nordkoreaner, eine rote Anstecknadel mit dem "Großen
       Führer" im Revers und lächeln, bis jemand den Fotoapparat zückt. "Keine
       Fotos!" Sie sind adrett geschminkt und haben ihr Haar alle mit einem gleich
       aussehenden perlenbestickten Band gebunden. Der Stil der 70er-Jahre
       kontrastiert seltsam mit den neuesten Outdoor-Kollektionen der Gäste aus
       dem Süden.
       
       In der Ecke des hellblau-weiß gestrichenen Lokals sitzen zwei Pin-Träger
       herum. Einer im braunen Mao-Anzug, wie Kim Jong Il sie liebt. Nach der
       Aufwärmrunde über Natur und Wetter spricht er die politischen Spannungen an
       und erklärt etwas unvermittelt: "Wir sind stolz auf unser Atomprogramm." Im
       Fernseher läuft in Endlosschlaufe ein Videoclip: Untermalt von flotter
       Unterhaltungsmusik gehen Jünglinge mit Farbkesseln und Spachteln an einer
       Baustelle zu Werke. Schnitt. Zu den gleichen Klängen schießen nun Panzer
       aus allen Rohren. Kampfpiloten, den Helm unter dem Arm, salutieren und
       steigen mit einsatzfreudig-entschlossener Miene in ihre Maschinen.
       
       Nach dem Atombombentest vom 9. Oktober ist vielen die Lust auf Annäherung
       mit dem Norden vergangen. Auch Kwak Yong Kwon und seine Eltern haben
       erwogen, die Reise zu annullieren. "Vielleicht geht ein Teil der
       Tourismuseinnahmen an Nordkoreas Militär." Schließlich sind die Kwaks doch
       gefahren.
       
       Am Nachmittag wird die Gruppe ins Zentrum des Touristendorfes chauffiert.
       Thermalbaden oder Shopping empfiehlt das Programm. In seinem Containerbüro
       empfängt Feriendorfchef Kim Young Hyun zum Interview. Auf den
       Kunstlederfauteuils saß soeben noch eine nordkoreanische Delegation. Eine
       Holztafel erinnert an den Kumgang-Besuch Kim Jong Ils im Jahr 2000. Doch
       auch sechs Jahre später gibt es viel zu besprechen, denn Hyundai Asan hegt
       forsche Ausbaupläne. Die Tourismuszone soll stark vergrößert werden. Als
       nächstes wird ein 18-Loch-Golfplatz eröffnet. Bedenken, der südkoreanische
       Konzern alimentiere damit indirekt das Atomprogramm, wischt der
       Hyundai-Asan-Manager vom Tisch. "Wir beschäftigen 1.600 Nordkoreaner - es
       sind diese Leute, die von diesem Tourismus profitieren!" Die Visaerträge
       würden in die zivile Wirtschaft investiert, hätten ihm die Partner aus dem
       Norden versichert. Dann kontert Kim Young Hyun: "Wenn wir den
       Kumgang-Tourismus stoppen, wirft uns dies in den innerkoreanischen
       Beziehungen 30 Jahre zurück - in Zeiten, in denen wir nur Waffen
       aufeinander richteten statt miteinander zu reden."
       
       Doch wurde in den Diamantenbergen nicht ein bizarrer Menschenzoo
       geschaffen, der ein paar auserwählte Nordkoreaner in die Glitzeroase
       blicken lässt und den Rest in ihren Dörfern einsperrt? Man müsse die
       langfristige Entwicklung im Auge behalten, entgegnet Kim. "Als wir hier
       1998 anfingen, waren die Regeln viel strikter - in ein paar Jahren werden
       wir auch Zugang zu den Dörfern haben."
       
       Nach 48 Stunden auf dieser kapitalistischen Insel im kommunistischen
       Kernland macht sich die Wagenkolonne mit den Touristen auf in Richtung
       Süden. In einem Anflug von Ungehorsam winkt Mutter Kwak einem Soldaten zu.
       Ihr Mann packt sie unwirsch am Arm. Solche Regelwidrigkeiten können mit
       Dollar-Bußen geahndet werden.
       
       Manche haben in den Diamantenbergen zum ersten Mal mit Nordkoreanern
       gesprochen, andere wie Kwak Yong Kwon zum x-ten Mal. "Die sind immer zu
       zweit und kontrollieren sich gegenseitig. Alle, die mit uns in Kontakt
       kommen, sind trainiert." Doch glauben einige der Reisenden an die
       subversive Kraft ihres Trips ins Diamantenland. "Die Propaganda gaukelte
       den Nordkoreanern vor, wir würden im Süden darben, von US-Besatzern
       geknechtet - und wenn sie uns hier sehen, was mögen sie dann denken?"
       
       Am nördlichen Kontrollpunkt müssen alle aussteigen. Die Touristen stellen
       sich nach einer zugeteilten Nummer in die Reihe, marschieren durch die
       Kontrollschleusen, wo, wie bei der Einreise, Taschen und Koffer
       durchleuchtet werden. Der Bus darf weiterfahren, die Reiseleiterin gibt
       Handys und Kameras zurück. Aus Unterständen in den Hügeln sind Panzerrohre
       auf die Straße gerichtet. Nur ein zwei Fahrbahnen breiter Pfad führt durch
       den sandigen Minenkorridor. Der nordkoreanische Wachtposten öffnet ein Tor
       in die entmilitarisierte Zone, ein von seltsamer Ruhe berührtes
       Niemandsland. Zwei Minuten Fahrt, dann wieder Soldaten, diesmal
       südkoreanische. Das Auto wird gründlich mit einem Desinfektionsmittel
       abgespritzt.
       
       3 Sep 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Kauffmann
       
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 (DIR) Reiseland Südkorea
       
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