# taz.de -- Zum Start des Teilchenbeschleunigers LHC: Der Prophet des Planetentods
       
       > Das Kernforschungszentrum Cern will ab Mittwoch mit dem
       > Teilchenbeschleuniger LHC erforschen, wie das All entstand. Der Forscher
       > Otto Rössler sieht dann die Erde verschwinden.
       
 (IMG) Bild: Ein Urknall im Kleinen: Die Illustration zeigt die Kollision von Atomkernen, Tausende von neuerzeugten Teilchen fliegen dabei in alle Richtungen.
       
       Normalerweise sind nur Ufo-Sekten so präzise mit einem Termin für den
       Weltuntergang. Oder Schwarzseher in der Nachfolge Nostradamus. Von jemandem
       wie Otto Rössler, 68, würde man ein solches Endzeitszenario nicht erwarten.
       Rössler ist ein grauhaariger, stets zuvorkommender und häufig lächelnder
       Professor aus Tübingen. Manche halten ihn für nobelpreiswürdig - andere für
       einen Fall für den Psychiater.
       
       Für Rössler ist der 10. September der Anfang vom Ende. 50 Monate von da an
       hätten wir noch zu leben. Vielleicht auch 50 Jahre. Dann wird die Erde in
       einem Schwarzen Loch versunken sein. "Der Planet wird aufs Spiel gesetzt",
       sagt er.
       
       Am Mittwoch wird im europäischen Kernforschungszentrum Cern nahe Genf das
       größte Experiment der Menschheitsgeschichte gestartet. An diesem Tag nimmt
       der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) den Betrieb auf, eine
       27 Kilometer lange, kreisförmige Röhre 100 Meter unter der Erde. Dort
       schießen Wissenschaftler mit 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit
       Protonen aufeinander. Das Ziel: nicht weniger, als zu erforschen, wie unser
       Universum entstand. Bei der Kollision der Teilchen werden enorme Kräfte auf
       engstem Raum frei - ein Urknall im Kleinen.
       
       Rössler zufolge könnten dabei allerdings mikroskopisch kleine Schwarze
       Löcher entstehen - ein Szenario, auf das einige Physiker sogar hoffen,
       würde es doch ihre verschwurbelten Theorien stützen, die von weit mehr als
       drei Raumdimensionen ausgehen. Nahezu alle Experten sind jedoch davon
       überzeugt, dass diese Mini-Löcher, sollten sie denn entstehen, innerhalb
       eines Bruchteils einer Millisekunde verdampfen. Sie berufen sich dabei auf
       den Physik-Superstar schlechthin: Stephen Hawking.
       
       Rössler, von Haus aus Chaosforscher, meint dagegen: Die Schwarzen Löcher
       verdampfen nicht. Sie wachsen, bis die Welt darin verschwunden ist.
       
       Als Ort für ein Gespräch hat Rössler ein Café an der Tübinger Sternwarte
       gewählt. Ein hübscher Platz, um über den Untergang des Planeten zu
       plaudern. Rössler trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, dazu weiße
       Socken in weißen Birkenstocksandalen. Er bestellt sich Weißbrot und Wasser.
       Und legt los.
       
       Der Chaosforscher wirbelt mit Begriffen um sich: Quarks, Higgs-Teilchen,
       Planck-Länge, Schwarzschildradius, Strings, Neutrinos, Quasare. Schließlich
       klemmt er sich einen Kugelschreiber zwischen seine langen, dünnen Finger
       und zeichnet einen Kreisel, aus dem oben und unten Lichtstrahlen austreten.
       So soll es also aussehen, das Schwarze Loch, das sich die Erde Teilchen um
       Teilchen einverleibt. "Den Leuten sträuben sich die Haare, aber sie können
       mich nicht widerlegen", sagt Rössler. "Die Erde wird von innen aufgefressen
       werden."
       
       Tatsächlich steht Rössler mit seinen Theorien in der Fachwelt alleine da -
       von einigen wenigen Ausnahmen wie dem US-Physiker Walter Wagner abgesehen,
       der an einem Gericht auf Hawaii gegen das Experiment Klage eingereicht hat.
       Im Internet aber haben die Thesen von Rössler und Wagner eine riesige Schar
       von Anhängern gefunden. In Blogs und Foren fordern sie einen Stopp des
       Experiments. Doch auch Mainstream-Medien wie das ZDF, die BBC oder die New
       York Times griffen das Thema auf. Die Bild-Zeitung fragte besorgt:
       "Versenken Forscher die Erde in einem Schwarzen Loch?" Und das Schweizer
       Boulevardblatt Blick schrieb: "Ein großer Knall und alles ist weg."
       
       So ist die Geschichte des Otto Rössler auch die Geschichte eines
       Außenseiters, dem es gelungen ist, die Wissenschaftswelt aufzumischen. Die
       Geschichte eines Genies, das es geschafft hat, der Gemeinde der
       Teilchenphysiker einen Streich zu spielen.
       
       Inzwischen spielt er ihn sich wohl nur noch selbst.
       
       Wissenschaftler haben in den vergangenen Monaten großen Aufwand betrieben,
       um die Öffentlichkeit von der Ungefährlichkeit des Experiments zu
       überzeugen. Eine "Arbeitsgruppe Sicherheit am LHC" hat sich noch einmal
       alle Einwände der Kritiker angeschaut und ist zu dem Ergebnis gekommen: Die
       Entstehung gefährlicher Schwarzer Löcher sei ausgeschlossen. Ihr Argument:
       Kosmische Strahlen - Elementarteilchen aus dem Weltall - träfen schließlich
       seit mehreren Milliarden Jahren auf die Erdatmosphäre, teils mit noch
       höherer Energie als bald im LHC - und der Planet existiert immer noch.
       
       Rössler reicht das nicht. Am 4. Juli flog er von Stuttgart nach Genf, um
       die "Kathedrale der Physik" zu besuchen, wie der Dichter Hans Magnus
       Enzensberger den LHC einmal nannte. Am Nachmittag empfängt ihn dort
       Cern-Physiker Rolf Landua, der Rössler das Innere des
       Teilchenbeschleunigers zeigt. Mit Sandalen an den Füßen und einem Helm auf
       dem Kopf fährt Rössler im Aufzug nach unten, tief in die Erde, um nach etwa
       einer Minute im Atlas-Detektor anzukommen, einem gigantischen Koloss von 25
       Meter Höhe und 44 Meter Länge. Dort finden die eigentlichen Experimente
       statt. Dort prallen die Protonen aufeinander.
       
       Anschließend sitzen Landua und Rössler in der Cafeteria, mit Blick auf den
       Montblanc, und besprechen Rösslers Weltuntergangsszenario. "Normalerweise
       würde man Theorien wie seine in den Papierkorb werfen und ihn als Spinner
       abtun", sagt Landua rückblickend. "Aber er ist fest davon überzeugt, dass
       er Recht hat."
       
       Landua nahm sich Zeit, diskutierte etwa eineinhalb Stunden mit dem Tübinger
       Chaosforscher. Anschließend bat er noch einen anderen Fachmann, sich
       Rösslers Thesen anzuschauen: Hermann Nicolai, Direktor am
       Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Dessen Urteil fiel
       vernichtend aus. Rösslers Überlegungen basierten auf grundlegenden
       Missverständnissen der Einsteinschen Relativitätstheorie. Vor kurzem legten
       auch noch die Teilchenphysiker von 26 deutschen Universitäten mit einer
       gemeinsamen Stellungnahme nach: "Die Erde wird nicht durch Schwarze Löcher
       verschlungen", lautete die Überschrift.
       
       Die Tübinger Universität will die Thesen ihres Professors nur mit einem
       knappen Satz kommentieren: "Das ist seine Privatangelegenheit." Doch die
       Distanziertheit dürfte auch an dem jahrelangen Streit zwischen beiden
       Seiten liegen, der in der deutschen Wissenschaftsgeschichte einmalig sein
       dürfte. Im August 2001 gipfelte er darin, dass Rössler die Neue Aula der
       Universität mit blauer Farbe besudelte. In großen Lettern sprühte er
       neunmal die Buchstabenfolge "PUT" an das Gebäude. Das Kürzel stand für
       "Pogrom-Universität Tübingen". Rössler protestierte dagegen, wie die
       Behörden mit seiner Frau Reimara Rössler umgegangen waren, die er bis heute
       als Opfer sieht. Reimara Rössler hatte bis Ende der 80er-Jahre eine
       Professur für Endokrinologie inne. Als die Tübinger Poliklinik aufgelöst
       wird, soll sie eine Professur für Gastroenterologie übernehmen. Sie weigert
       sich, forscht aber von zu Hause aus weiter. Ein Rechtsstreit zwischen dem
       Land Baden-Württemberg und der Medizinerin endet 1996 mit ihrer
       rückwirkenden Entlassung. Gleichzeitig fordert das Land mehr als 200.000
       Euro an Bezügen zurück. Im Jahr 2001 wird das Haus der Rösslers
       zwangsversteigert.
       
       Doch das ist noch nicht alles. Mitte der 90er-Jahre wurde Otto Rössler drei
       Mal von der Polizei aus dem Hörsaal getragen. Er hatte sich zunächst
       geweigert, eine Vorlesung für Medizinstudenten zu halten, weil er sich dazu
       fachlich nicht in der Lage sah. Das brachte ihm eine Disziplinarstrafe ein.
       Schließlich hielt er die Vorlesung doch, erklärte den Studenten aber, er
       sei "wie ein Pilot ohne Flugschein". Darauf entzog ihm der Dekan die
       Veranstaltung, nur dass Rössler nun unbedingt weitermachen wollte. Es
       folgten böse Worte, Rangeleien, Polizeieinsätze - und eine Strafe gegen
       Rössler wegen Hausfriedensbruchs. Der damalige baden-württembergische
       Wissenschaftsminister Klaus von Trotha (CDU) wollte Rössler 1995 sogar zu
       einer psychiatrischen Untersuchung zwingen, woraufhin sich 196
       Wissenschaftler aus aller Welt in einem offenen Brief mit Rössler
       solidarisierten. Der bezeichnet sich wegen der Affäre bis heute als
       "Dissidenten". Offiziell ist er inzwischen pensioniert, seine Vorlesungen
       über Chaos hält er aber nach wie vor.
       
       Doch wer Rössler als Spinner abtut, tut ihm unrecht. In der Chaosforschung
       hat er sich seit den 70ern einen internationalen Ruf erarbeitet und sich
       mit dem "Rössler-Attraktor" verewigt, ein Beispiel für Ordnung in der
       Unordnung, das Rössler gerne mit einer Karamellknetmaschine
       veranschaulicht.
       
       1996 hat ihn der angesehene Tübinger Gehirnforscher und
       Leibniz-Preis-Träger Niels Birbaumer für den Nobelpreis vorgeschlagen. Die
       Begründung: Rössler sei "international der bekannteste und geachtetste
       Naturwissenschaftler an der Universität Tübingen in diesem Jahrhundert".
       Auch zwölf Jahre später bleibt Birbaumer dabei. "Meinen Vorschlag für den
       Nobelpreis würde ich erneuern", sagt er. "Er ist ein origineller Denker."
       
       Doch mit seinen Weltuntergangsszenarien scheint sich Rössler endgültig ins
       Abseits zu manövrieren. Rössler gegen den Rest der Wissenschaftswelt.
       Selbst Birbaumer befürchtet, dass Rössler sich lächerlich macht: "Er ist
       kein Teilchenphysiker und hat wie ich keine Ahnung von der Entstehung
       Schwarzer Löcher."
       
       Doch Rössler kämpft weiter. Im August sollte Rössler seine Bedenken dem
       amtierenden Schweizer Bundespräsidenten Pascal Couchepin vortragen, der ihn
       eingeladen hatte. Doch dann hat es sich Couchepin anders überlegt und das
       Treffen abgesagt. Der Grund: Rössler habe die Einladung missbraucht, um
       Publicity in eigener Sache zu machen. Kurz darauf schmetterte der
       Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Eilantrag zum Stopp des
       Superbeschleunigers ab.
       
       Rössler ist enttäuscht, glaubt aber fest an eine glückliche Wendung. "Man
       kann den Menschen nicht gestatten, wahnsinnig zu sein", sagt er gegen Ende
       des Gesprächs an der Sternwarte. Ein Satz, den seine Gegner ihm am liebsten
       selber entgegenschleudern würden.
       
       8 Sep 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Schmidt
       
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 (DIR) Rap über Teilchenbeschleuniger: Schnappt Higgs
       
       Jetzt kann niemand mehr behaupten, nicht zu verstehen, was im
       Kernforschungszentrum Cern mit dem Teilchenbeschleuniger passiert - denn
       die Genfer Nerds habens uns vorgerappt.