# taz.de -- die wahrheit: das grauen in bordeaux
       
       > Charly, der alte Fahrensmann, wollte sein Gnadenbrot nicht mehr in
       > ausgeleierten "Fruit of the loom"-T-Shirts verspielen, die 1982 irgendwo
       > an der jugoslawischen Adriaküste ...
       
       Charly, der alte Fahrensmann, wollte sein Gnadenbrot nicht mehr in
       ausgeleierten "Fruit of the loom"-T-Shirts verspielen, die 1982 irgendwo an
       der jugoslawischen Adriaküste aufgetaucht waren. Das hatten wir schon
       länger gemerkt. Genug war genug. Lokomotive Lünischteich sollte zum
       25-jährigen Jubiläum neue Trikots bekommen. Alle Blindsäcke, Rohdiamanten
       und Best-Ager unserer "Spaßtruppe" (allein das Wort schon!) waren sofort
       begeistert. Selbst die härtesten Knochen fingen an zu weinen. "Wisst Ihr
       noch, Beckenbauer 1981, mit BP drauf, beim HSV …". Sie erzählten von
       Jägermeister, Uhu und Magirus Deutz und von ihren hautengen
       Baumwolltrikots, damals. Geld sollte dieses eine Mal nun wirklich keine
       Rolle spielen.
       
       Als Generalsekretär des selbst ernannten Designkompetenzteams schlug meine
       patriotische Stunde. Ich kündigte meine Arbeit und erlegte sofort alle
       Google-Retro-Seiten mit Dackelohrkragen. Im Rückblick sage ich: Nicht weil
       ich einen Orden verlangte, sondern weil ich es als meine Pflicht ansah. Das
       Auge spielt ja mit, auch international. Meine Favoriten waren schnell
       gefunden: Absteigende Exoten der WM 1970 mit fragwürdigem, operettenhaften
       Führungspersonal; postkoloniale Entwicklungsländer mit Bruttoinlandsprodukt
       knapp unterhalb des saarländischen; finstere Ostblock-Armeetruppen, Cosmos
       New York, und selbstverständlich Zaire 1974.
       
       Es war eine herrliche Zeit, "Fruit of the loom" sollte bald schon
       überwunden sein. Dann aber schlug das Imperium zurück. Der Aufstand der
       Diskutierer und Problematisierer begann: Das da "macht Allergien", und
       jenes "wird bei Regen drei Meter lang". Und wie lägen die denn eigentlich
       alle so, "preislich gesehen", fragten die Fahrer eher kleinerer
       Großlimousinen. Menschen sprachen, die unserer historischen Verantwortung
       nicht gerecht werden konnten, ja wollten. Vorbei war es mit den goldenen
       Siebzigern, mit Bob Marley und Adidas, jetzt herrschte fußballpolitische
       Eiszeit. Die Helsinki-Schlussakte von 1975 war ein Spaziergang dagegen.
       
       Wie aber sollte man verhandeln mit Akteuren, die getreu Luhmann im binären
       Code "praktisch / sau-unpraktisch" denken? Wie, bitteschön, so klagte ich
       dem treuen Charly, mit oder ohne Habermas argumentieren gegen den Satz
       "Weiß ist zu empfindlich"? Wir beschlossen eine Umfrage durchzuführen. Und
       verifizierten mit diesem Experiment die Arbeitshypothese, dass
       Akademikerfußball und Demokratie nicht zusammenpassen. Wir richteten eine
       Online-Abstimmung ein. Drei stimmten ab: Charly, ich und ein entfernter
       Verwanderter, dem ich dafür eine gebrauchte Camping-Herdplatte schenkte.
       Ansonsten bekamen wir Dutzende Hass-Mails und getippte Abhandlungen
       darüber, warum die Abstimmungsfrage falsch gestellt sei, aus theologischer,
       spieltheoretischer und moralphilosophischer Perspektive.
       
       Wir haben viel gelernt über Menschen, Verhandlungssysteme,
       Entscheidungstheorien und Waschqualitäten. Am Ende haben wir dann einfach
       diese bordeauxroten Zelte von, ähem, Jako gekauft. Superpflegeleicht,
       großzügig geschnitten, sehr praktisch - und vor allem überraschend günstig.
       Na bitte, geht doch.
       
       9 Oct 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerald Fricke
       
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